
Halle. Die Gesellschaft wendet sich zusehends ab von der Kirche und ihren Lehren – davor kann auch Burkhard Steinebel seine Augen nicht verschließen. Der 63-Jährige ist seit 32 Jahren als gewählter Pfarrer zuständig für die Haller Orte Hörste, Bokel und Kölkebeck und seit 17 Jahren auch für Halle-Süd. Während seiner Amtszeit wurde er Zeuge eines erheblichen Mitgliederschwundes. Nun steht Steinebel kurz vorm Ruhestand und blickt zurück: „Als ich hier anfing, hatten wir fünf Pfarrstellen – sobald ich gehe, sind es nur noch zwei. Das ist schon herb“, findet der scheidende Pfarrer, der am 31. August – einem Sonntag – seinen letzten Gottesdienst in Hörste halten wird. Das HK hat Burkhard Steinebel am Hörster Gemeindehaus getroffen. Gemeinsam mit seinem Gast rekapituliert er seine Zeit als Geistlicher und wirft einen vorsichtigen Blick in die Zukunft der Institution Kirche.
Dass der aus dem katholischen Münsterland stammende Pfarrer, der eher zufällig durch einen Studienfreund auf das Dorf Hörste stieß, so viele Jahre hier verbringen würde, hätte er selbst wohl nicht gedacht. „Mein Freund hielt während meines Studiums eine Predigt in Hörste“, erinnert sich Steinebel. „Ich kam zum Zuhören und dachte nur: Das ist eine wirklich schöne Kirche.“ Wegen der Liebe hielt es den jungen Mann damals im Kirchenkreis Halle, sodass Steinebel schließlich am 1. April 1990 als Vikar beim damaligen Pastor Friedrich Karl Völkner in der Kirchengemeinde seine Arbeit aufnahm.
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Zum 1. September 1992 kam Steinebel dann ins Dorf Hörste, in dem er nun schon so lange zu Hause ist. Zunächst als Pastor im Hilfsdienst und dann nach gut einem Jahr als gewählter Pfarrer. Als solchem fielen dem beliebten Prediger etliche Aufgaben zu, die es erforderten, Menschen nahe zu sein, ihnen durch schwere Zeiten zu helfen, sie zu fördern, zu trösten und zu leiten. Katechumenen- und Konfirmandenunterricht, Pfarrkonferenzen, Jugendkreis, Frauenhilfe, Geburtstage, Beerdigungen, Trauungen, Gottesdienste und viele Anlässe mehr, die die Anwesenheit eines Pfarrers erfordern, ließen Burkhard Steinebel nur wenige Pausen.
Beliebter Pfarrer aus Halle hatte wenig Freizeit

Denn wenn am Sonntagvormittag der Gottesdienst absolviert war, wartete ein halber freier Tag auf den Wahl-Hörster. Dieses Arbeitspensum habe ihm zwar einiges abverlangt, aber auch viel Spaß gemacht. „Es ist schön, mit Menschen zu arbeiten. Beim Jugendkreis oder bei der Frauenhilfe zum Beispiel habe ich viele tolle Menschen kennengelernt, völlig unabhängig vom Alter.“ Dass er solche Aufgaben übernehmen will, stand für Burkhard Steinebel ungewöhnlich früh fest: „In der achten Klasse wusste ich, dass ich Pfarrer werden möchte“, erinnert er sich.
„Ich bin selbst in einem kirchlich-geprägten Elternhaus aufgewachsen, aber nicht in einer strengen, sondern eher in einer volkskirchlich lockeren Umgebung.“ Er habe gute Erfahrungen mit der Kirche gemacht und erkannt, was das Pfarramt für vielseitige Aufgaben bereithält. „Du kannst dich mit Menschen freuen und gemeinsam mit ihnen trauern – man erlebt die ganze Bandbreite des Lebens“, sagt Steinebel, während ihm – vor dem Gemeindehaus sitzend – die Hörster Sonne entgegenstrahlt.
Aufgrund schlechter Zensuren in Latein geriet der Traum aber ins Wanken, sodass er zwischenzeitlich in Erwägung zog, Architektur oder Design zu studieren. „Wegen meiner Farbsehschwäche kam Design dann aber nicht infrage“, erinnert sich Steinebel lachend. Schließlich studierte er doch Theologie. Dafür musste er Griechisch und Hebräisch belegen. „Ich habe – glaube ich – sechs statt der vorgeschriebenen drei Kurse gebraucht, um zu bestehen“, gibt er schmunzelnd zu. Nur gut, dass sich Prüfungen wiederholen lassen.
Stelle von Pfarrer aus Halle entfällt
Ansonsten hätte Tim Henselmeyer, heute Pfarrer in Halle, sein Vikariat wohl kaum bei Burkhard Steinebel gemacht. Henselmeyer wird auch derjenige sein, der die Aufgaben seines alten Mentors mit übernehmen wird – denn neu besetzt wird die Pfarrstelle von Steinebel nicht. Auf die Frage, ob ihn das traurig macht, antwortet Steinebel sachlich: „Die Kirche wird kleiner, das ist einfach so und darauf müssen wir reagieren.“ Er sei froh, einen Freund, der in vielen Bereichen ähnliche Ansichten hätte, als seinen Nachfolger zu wissen. Dennoch sei die Verschlankung der Kirche bedenklich, findet er. „Die Arbeit in der Gemeinde ist sehr zeitintensiv und anstrengend – es macht Angst, dass das jetzt von nur noch zwei Leuten bewältigt werden muss.“
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Doch der Personalabbau kommt nicht von ungefähr, sondern ist unter anderem dem schwindenden Interesse der Menschen geschuldet, das weiß Steinebel. „Es gibt immer mehr Menschen, die die Kirche nur unterstützen – mit der Kirchensteuer etwa – solange sie selbst davon profitieren“, sagt er. „Es ist schade, dass viele nicht sehen, was die Kirche Tolles und Wichtiges leistet.“ So stehe die Kirchengemeinde Halle gut da, findet der 63-Jährige. Demnach habe sie sich mit einem moderneren Angebot, wie etwa dem anderen Gottesdienst, auf Jüngere eingestellt.
Viele Menschen hätten allerdings ein vorgefertigtes Bild von Gott und fühlten sich von ihm enttäuscht, berichtet Steinebel aus seinen Erfahrungen. Damit aber machten es sich die Menschen zu einfach: „Es passieren viele schlimme Dinge, für die Gott nicht verantwortlich ist“, sagt der Geistliche, der weiß, dass manche dies anders sehen. Während Steinebel über dieses schwierige Thema spricht, kommt eine Gruppe Kinder mit ihren Eltern auf den Pfarrer und seinen Gast zu.
Beliebter Pfarrer hält seinen letzten Gottesdienst am 31. August
Steinebels Expertise ist gefragt, denn die Hörster Kirche interessiert die Kinder an diesem Tag besonders. Geduldig beantwortet er ihnen Fragen zum Alter und zur Größe seines Arbeitsplatzes. Schließlich, als die Kinder Eis essend weiterziehen, führt er seinen Gedanken fort: „Gott ist die Liebe und Gott ist allmächtig, wie die Liebe es ist. Aber die Menschen müssen sie zulassen, ansonsten sind Gott und die Liebe machtlos.“ Es liege ihm allerdings fern, betont Steinebel, Menschen den Glauben durch irgendwelche Argumente aufzudrängen. „Erst mal muss man den Menschen zuhören.“
Aber Steinebel ist nicht nur Zuhörer, sondern auch ein Redner. Ein letztes Mal können die Hörster am 31. August einer Predigt von Burkhard Steinebel lauschen. Dann wird sich der Pfarrer von seiner Gemeinde verabschieden. Aber schon jetzt hat er einen kleinen Abschiedsgruß parat: „Ihr hättet ruhig öfters in die Kirche kommen können“, sagt er augenzwinkernd und lacht.
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