Reinerts "Herzenssache": Wurstproduzent will Tierwohl-Produkte pushen

Mit seiner neuen Marke setzt Wurstproduzent Hans-Ewald Reinert auf mehr Tierwohl. Bisher ist die Produktlinie hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben. Der Relaunch soll das ändern. Dafür gehen die Vertragspartner neue Wege.

Livestream aus dem Schweinestall | © Eric Eggert

Tasja Klusmeyer
25.02.2021 | 25.02.2021, 10:43

Versmold/Preußisch Oldendorf. Die PR-Profis haben die Kulisse perfekt in Szene gesetzt: ein Podium aus Stroh, davor schlummern und spielen je nach Laune einige Schweine in den getrockneten Getreidehalmen. Zwischendurch ist ein Grunzen oder Schmatzen zu hören. Das Herzenssache-Schild haben die Tiere zum Fressen gerne, stupsen die Dekoration immer wieder neugierig an, während die drei Herren im einheitlichen Dress in Dunkelblau mit Herzenssache-Emblem auf der Brust von ihrer gemeinsamen Vision erzählen. Die Produkte der Version 2.0 sind seit kurzem im Kühlregal. Genau der passende Zeitpunkt für Schweinemäster, Schlachtbetrieb und Wursthersteller, erneut an die Öffentlichkeit zu gehen.

Mehr Regionalität

Von ihren Bildschirmen in ganz Deutschland aus verfolgen Medienvertreter den Livestream aus dem Schweinestall. Ein ungewöhnliches Format, geschuldet der Corona-Zeit und zugleich Symbol für das, was der Versmolder Unternehmer Hans-Ewald Reinert antreibt: Transparenz und Überzeugungsarbeit. Offensiv wirbt er für mehr Tierwohl bei der Fleischerzeugung, mehr Regionalität und eine nachhaltige Wertschöpfungskette. „Wir Verarbeiter können das gar nicht alleine stemmen, wir müssen in Ketten denken: vom Acker bis zur Theke."

Neue Genossenschaft

Herzenssache ist Reinerts Antwort auf die Anforderungen der Verbraucher und die Dauerdiskussion um artgerechte Tierhaltung. Dafür hat der Unternehmer die Genuss-Genossenschaft gegründet, der aktuell sieben Landwirte und das Schlachtunternehmen Brand angehören. Anfang Oktober tätigten die Vertragspartner in Bad Laer die Unterschrift (wir berichteten); nun folgte eine Pressekonferenz im größeren Rahmen.

1,5 Quadratmeter pro Tier
Landwirt Torsten Lange, Niko Brand (Geschäftsführer Brand Qualitätsfleisch), TFB-Chef Hans-Ewald Reinert und Moderator Uwe Kohrs (Agentur Impact) - © Eric Eggert
Landwirt Torsten Lange, Niko Brand (Geschäftsführer Brand Qualitätsfleisch), TFB-Chef Hans-Ewald Reinert und Moderator Uwe Kohrs (Agentur Impact) (© Eric Eggert)

Landwirt und Gastgeber Torsten Lange aus Preußisch Oldendorf (Kreis Minden-Lübbecke) versichert bei der Podiumsrunde, dass seine Schweine sich auch abseits der Kamera frei im Offenstall bewegen können. 1,5 Quadratmeter stehen pro Tier zur Verfügung, doppelt so viel wie in der konventionellen Mast. Stroh und Spielmöglichkeiten, Tageslicht, Frischluft, Wetter- und Umwelteinflüsse – all dies gehört zum neuen Alltag in Langes Schweinestall, unterteilt in die Bereiche Fressen, Schlafen, Aktivität.

Das muss bezahlt werden

Torsten Lange führt den Hof in vierter Generation und hat den Mut, neue Wege zu gehen – auch wenn es ein gewisses Risiko mit sich bringt. „Wenn wir mehr Tierwohl haben möchten, muss jemand dafür bezahlen", sagt der Agrarbetriebswirt. Zunächst hat er in den Umbau investiert. Probleme im Stall – Schweine verletzten sich durch Schwanzbeißen – führten 2015 zum Umdenken. „Wir haben die Tiersignale nicht verstanden", erzählt Lange von einem Lernprozess, bei dem er alles hinterfragt habe, von der Fütterung bis zum Stallmanagement.

„Kleiner" Schlachtbetrieb

In Hans-Ewald Reinert hat er den passenden Partner gefunden. Ebenso in Niko Brand, Geschäftsführer von Brand Qualitätsfleisch im niedersächsischen Lohne. 15.000 Schweine werden dort pro Woche insgesamt geschlachtet. „Das klingt viel. Damit gehören wir aber zu den kleinen Betrieben", sagt der 31-Jährige. Die größeren Kollegen in der Region schlachteten die Menge pro Tag pro Standort. Im Umfeld großer Schlachtkonzerne hat der Betrieb Brand sich auf verschiedene Nischen spezialisiert. „Als wir die Vision von Reinert gehört haben, waren wir begeistert", schildert Niko Brand.

Kurze Transporte

Anfangs habe er von vielen Seiten gehört: „Nein, das geht nicht. Da habe ich mir gesagt: Jetzt erst recht." Das Herzenssache-Konzept erfordere ein Umdenken in vielen Bereichen. Vergleichsweise kurze Transportzeiten gehören mit zu den Tierwohl-Kriterien. Maximal vier Stunden dauert die Fahrt von den beteiligten Genossenschaftsbetrieben zum Schlachthof.

Enorme Kosten

Das Konstrukt der Genossenschaft mindert für Landwirt Torsten Lange und seine Kollegen das wirtschaftliche Risiko. TFB gibt ihnen eine Abnahmegarantie für drei Jahre – fürs ganze Schwein, nicht nur für die Filetstücke. „Wir werden kein Prozent nach China schicken", betont Hans-Ewald Reinert. Die Kosten seien „enorm", räumt er ein. Sein Unternehmen „The Family Butchers" – Deutschlands zweitgrößter Fleischwarenhersteller – trage als größter Partner die größte Verantwortung. „Unsere Landwirte bekommen einen um 50 Prozent höheren Aufschlag." Ausgehandelt wurden Festpreise unabhängig vom aktuellen Schweinepreis. Zudem gibt es Ausfallvereinbarungen. Diese greifen für den Fall, dass Schweine krank und wider Erwarten mit Antibiotika behandelt und deshalb anschließend konventionell vermarktet werden müssen.

300 Schweine pro Woche

300 Schweine pro Woche nimmt TFB ab. „In zwölf Monaten sollten es 50 Prozent mehr sein", gibt Hans-Ewald Reinert vor. Zu hohe Ziele kann er sich nicht setzen, es geht nicht allein um wirtschaftliches Wachstum. „Hier muss die ganze Wertschöpfungskette mitwachsen." Ferkelaufzucht und Futterproduktion gehören dazu.

Erwartungen nicht erfüllt

Bei der Markteinführung von Herzenssache konnte der Unternehmer die eigenen Erwartungen nicht erfüllen. Zehn Millionen Euro Umsatz hatte Reinert optimistisch fürs erste Jahr angestrebt. Nur vier Millionen Euro waren es 2019. Auf Nachfrage erklärt er, dass man sich umsatztechnisch 2020 nicht weiterentwickelt habe. Die Neuaufstellung der Marke sei umso wichtiger. „Kein Sprint, ein Marathon", umschreibt der TFB-Geschäftsführer die Aufgabe.

Kritische Landwirte

Reinert hat bei seiner Mission dicke Bretter zu bohren, muss sich auf seinem Weg immer wieder Kritikern stellen. Einige Landwirte hat er inzwischen überzeugen können. Bei vielen deutschen Supermarktbetreibern sind die Produkte gelistet. „Aber noch nicht flächendeckend und nicht mit allen Produkten." Bis Mitte des Jahres will man mehr Präsenz und bessere Platzierung im Warenregal.

Pink ist Geschichte

Die knallige rosarote Brille hat der Unternehmer abgelegt. Die Produktlinie kommt nicht mehr in Pink daher, sondern in einem dezenteren Rosaton. „Am Anfang haben wir gedacht, es muss total auffallen." Inzwischen ist man bei TFB lieber etwas zurückhaltender, was der „ganzen Idee mehr Ursprünglichkeit gibt". Der Inhalt soll den Verbraucher überzeugen – auch davon, etwas mehr Geld für seine Wurst auszugeben.

Kein Biosiegel

Die teurere Haltung der Tiere wird sich im Kühlregal oder an der Fleischtheke niederschlagen. „Qualität hat ihren Preis", sagt Hans-Ewald Reinert. Die Preise für den Verbraucher lägen zwischen konventionell und Bio. Ein Bio-Siegel streben die Vertragspartner nicht an. „Wir haben mit Herzenssache eine Marke mit eigenen Parametern", betont der TFB-Geschäftsführer. Die wolle man betonen. Bio heiße nicht zwangsläufig antibiotikafreie Aufzucht und regional.

Hersteller unter Druck

Vom langfristigen Erfolg seiner Produkte ist Hans-Ewald Reinert überzeugt. Bei der Trendwende hin zu „mehr Qualität und vielleicht dafür etwas weniger Fleisch pro Kopf" sieht er sich auf dem richtigen Weg in einer Branche unter Druck und in seiner Sandwichposition zwischen dem mächtigen Handel auf der einen und den riesigen Schlachtkonzernen auf der anderen Seite. „Der Zug ist gerade erst angefahren und wir sind vorne im Abteil mit dabei."

Streit unter Schweinen

Vorm Podium aus Stroh wird es plötzlich etwas lauter. Ein durchdringendes Quieken ist zu hören, die Redner verstummen. Schweinemäster Torsten Lange schaut nach dem Rechten. Wenig später folgt die Erklärung für den Streit unter Schweinen: Ein Tier hatte es sich im Durchgang gemütlich gemacht und einem anderen den Weg versperrt. Das sorgte für Ärger. So ist das eben bei Liveübertragungen. Nicht alles ist planbar – auch nicht von gewieften PR-Profis.

Kommentar: Unternehmen muss Gewinn machen

Das Bild passt perfekt in einen Prospekt „Urlaub auf dem Lande". Süße Schweine im Stroh, romantische Bauernhof-Kulisse. Hans-Ewald Reinert gibt zu Protokoll, dass ihn die Situation an seine Kindheit erinnere, an den Schweinestall seines Onkels. „Dort roch es nach Stroh, nicht nach Ammoniak." Damals seien Offenställe ganz normal gewesen. Der Unternehmer möchte dorthin zurück, die Art der Tierhaltung wieder etablieren.

Doch das Umfeld ist längst ein anderes. Früher, da stand Fleisch sonntags auf dem Speiseplan und war für viele Familien eine Besonderheit, ein kleiner Luxus. Früher, da hielt der Landwirt eine kleine Anzahl an Schweinen, da kauften die Menschen ihre Wurst beim Metzger um die Ecke. Heute tobt der Preiskampf, da ist vielen Verbrauchern selbst das Sonderangebot im Discounter noch zehn Cent zu teuer. Die Tönnies-Krise im Sommer hat den Blick kurzzeitig auf die Probleme der Branche gerichtet.

Grundlegend geändert hat sich die Situation seitdem nicht. Landwirte protestieren gegen den Preisverfall. Erst kürzlich reagiert Lidl und hebt die Preise für Schweinefleisch an – die Waren bleiben im Regal liegen. Lidl rudert zurück. Alles wieder beim Alten. Und mittendrin zwischen mächtigem Handel und Schlachtriesen bewegen sich die verarbeitenden Betriebe. Reinert hat sich nicht umsonst vor einem Jahr mit Kemper zusammengeschlossen, um als zweitgrößtes Fleischverarbeitungsunternehmen Deutschlands mehr Gewicht zu bekommen. 733 Millionen Euro setzt The Family Butchers im Jahr um.

Vier Millionen Euro davon bisher mit der Marke Herzenssache. Nicht einmal ein Prozent des Gesamtumsatzes wird mit Produkten aus jenem Fleisch erzielt, für das Hans-Ewald Reinert so flammende Reden hält. Das Geld aber macht er mit Fleisch aus konventioneller Tierhaltung. Denn letztlich geht es genau darum: Ein Unternehmen muss mit dem, was es macht, Gewinne erzielen.

Sind die Worte von Hans-Ewald Reinert da nur Schall und Rauch? Wie glaubwürdig wirkt die Bauernhof-Kulisse? Wird er, der sich als Pionier in diesem Bereich sieht, den Tierwohl-Gedanken am Ende weiterdenken? Die Genossenschaft hat den Anfang gemacht. Die Verträge laufen zunächst über drei Jahre. In dieser Zeit muss der Verbraucher durch sein Kaufverhalten dokumentieren, dass ihm Fleisch etwas wert ist. In Umfragen zu sagen, dass einem Tierwohl und Qualität wichtig sind, ist das eine. Den Worten tatsächlich Taten folgen zu lassen, etwas anderes.

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INFORMATION


Historie von Herzenssache

Im Sommer 2018 startete Reinerts Herzenssache als Pilotprojekt in Kooperation mit dem dänischen Unternehmen Danish Crown. Der Versmolder Betrieb bezog Fleisch von zertifizierten Landwirten aus dem Nachbarland, die bei der Aufzucht ihrer Tiere auf Antibiotika verzichten. Seinerzeit kamen Partnerschaften mit deutschen Schweinemästern nicht zustande.

Hans-Ewald Reinert entwickelte das Konzept weiter: Die Aspekte Tierwohl und Regionalität spielten zunehmend eine Rolle für die Produktlinie. Seit Ende 2019 laufen konkrete Gespräche, wie das dänische Modell auf den deutschen Markt übertragen werden kann.

Sieben Landwirte aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sowie das Schlachtunternehmen Brand aus Lohne (Oldenburg) haben sich Anfang Oktober zur Genuss-Genossenschaft zusammengeschlossen – eine Partnerschaft mit gemeinsamen Werten. Basis sind rechtsgültige Verträge, die Abnahmemengen und Preise regeln.

Acht Produkte von Herzenssache 2.0 sind im Handel zu finden – als SB-Ware im Kühlregal. Nach Ostern soll das Sortiment erweitert werden. Produkte für die Bedienungstheke sind ebenso geplant. Die Produkte werden an den verschiedenen Standorten von TFB produziert.