
Herr Reinert, Herr Klack, »Herzenssache« wirbt damit, dass das Fleisch aus komplett antibiotikafreier Aufzucht stammt. Die Versmolder Landwirte sagen: Das machen wir auch! Ist die Wurst dann also Etikettenschwindel?
JOACHIM KLACK: Das würde ich auf keinen Fall unterstellen. Aber durch den Artikel im HK fühlten wir uns angestoßen und dachten, wenn Herr Reinert so wirbt, was ist denn dann mit dem Fleisch, das wir produzieren? Ist das dann schlechter und antibiotikabelastet? Aber eigentlich sind wir jetzt am Ziel, denn wir sitzen an einem Tisch und reden miteinander und möchten etwas daraus entstehen lassen.
HANS-EWALD REINERT: Das ist auch unser Bestreben, Impulse zu setzen und in den Austausch zu kommen. Denn wir wissen ja alle – zumindest ahnen wir es – dass so, wie momentan gewirtschaftet wird, es nicht weitergehen kann. Wir sprechen in Deutschland seit Jahren über Tierwohl und nichts geht wirklich voran. Und als Unternehmer macht man sich natürlich über den Rohstoff Gedanken und fragt, was wird verfüttert, wo kommt das her?

Und haben Sie Antworten?
REINERT: Wir haben Marktforschung betrieben. Für Menschen ist nur relevant, wenn sie selbst ein Problem bekommen und Antibiotika bei ihnen nicht mehr anschlägt. Ob ein Tier mehr Platz hat oder Spielzeug, ist für Verbraucher weit weg. Aber geht es dem Tier gut, geht es den Menschen besser. Denn wenn du ein Tier so hältst, dass du kein Antibiotika geben musst, dann brauchst du mehr Personal, mehr Platz, gute Lüftung und super Futter. In Dänemark nehmen sie nur vegetarisches Futter.
KLACK : Wenn Sie von Rohstoff sprechen, dann klingelt’s bei mir, denn es ist ein Tier. Und wenn man das Ziel hat, das Sie haben, dann darf man eigentlich nicht mehr von Rohstoff sprechen. Dann muss man von Fleisch sprechen.
REINERT: Ja verstehe, das ist Ihnen zu nüchtern.
KLACK : Und Sie sagten, die Dänen füttern ihre Schweine vegetarisch. Das impliziert, wir tun es nicht. Dagegen möchte ich mich verwehren. Ich wüsste gar nicht, ob ich Eiweißfutter aus tierischer Herkunft hier überhaupt kaufen könnte. Also, es gibt kein Tiermehl mehr. Selbst Fischmehl ist nicht mehr handelbar. Das kann kein Argument sein – bei uns werden Schweine auch vegetarisch gefüttert.
REINERT: Aber das ist doch gut. Es ist auch gar nicht mehr so ein Riesenschritt von einem konventionellen Stall zu einem, der ohne Antibiotika aufzieht.
Also wird auch in den heimischen Ställen Qualität produziert?
REINERT : Wir wollen das Alte nicht diskriminieren, wir wollen nur den nächsten Schritt gehen. Wir machen ja auch noch zu 99 Prozent Wurst aus herkömmlichem Fleisch, aber es ist unser Ziel, das zu ändern. Damit trete ich in der Tat sehr aufmerksamkeitsstark auf.
KLACK: Bei Antibiotika hat sich das Blatt sowieso gewendet. Man darf heute nicht mehr vorbeugend Antibiotika geben. Das ist gar nicht erlaubt. Ich habe auch schon einige Jahre kein Antibiotika mehr eingesetzt. Aber wenn Tiere krank sind, muss man eingreifen. Das machen Sie auch, nur bei Ihnen kommen diese Tiere dann in eine andere Verwertung.
REINERT: Es geht alles in die richtige Richtung, aber es wird immer noch zu viel eingesetzt und trägt dazu bei, dass sich multiresistente Keime entwickeln, die für uns Menschen gefährlich sind. Unsere Initiative führt dazu, dass das Thema eine gewisse Relevanz kriegt und auch eine Machbarkeit. Dass man nicht davor steht und sagt, da kannst du nichts dran machen. Und wenn wir nachher auch hier genügend Landwirte finden, die das machen, habe ich doch gar kein Problem damit.
Herr Klack, Sie sagten, Sie geben Ihren Schweinen seit Jahren kein Antibiotika mehr.
KLACK: Wenn eines krank wird, muss ich es einzeln behandeln und dann wird auf die Wartezeit geachtet. Ich kann nicht vier Wochen vor der Schlachtung noch behandeln.
REINERT: Aber es ist behandelt worden.
KLACK: Ja, das ist so.
Also, es gibt einzelne Schweine, die mit Antibiotika behandelt werden, aber der Großteil nicht? Auch nicht vorbeugend?
REINERT : Bei Herrn Klack ist es so. Aber es gibt ja 22.000 andere Landwirte.
KLACK: Ich kann nicht für alle sprechen, aber die Bestrebungen gehen dahin. Die Berufskollegen, die ich in Versmold kenne, würden das gerne machen. Aber es muss ein organisiertes Programm her.

Also Sie bräuchten einen Abnehmer, der das finanziert?
KLACK: Das ist der Knackpunkt, an dem wir arbeiten müssen. Sie, Herr Reinert, müssen sich ja die Frage stellen: Ist die Bärchenwurst denn schlechter? Ich behaupte nein. Aber es ist nicht fair zu sagen, dass willkürlich mit Antibiotika umgegangen wird.
REINERT : Das habe ich nie gesagt.
KLACK: Aber wenn ich eine Produktlinie einführe, die diese Abgrenzung betont, dann stelle ich alles andere damit in de Schatten. Wir Landwirte achten das, was Sie machen. Wir möchten nur nicht in eine Ecke gestellt werden und dass mit dem Finger auf uns gezeigt wird: Das sind die Antibiotikabauern.
REINERT: Würde ich nie machen, da würde ich mir ja selber in den Finger schneiden.
KLACK: Aber so kommt es gefühlsmäßig an. Deshalb ist dieses Gespräch so wichtig. Wir haben ja ganz zu Anfang festgestellt, dass wir uns auseinander gelebt haben.
REINERT : Aber wir fangen ja jetzt an, wieder aufeinander zuzugehen. Es ist halt so: Das Bessere ist der Feind des guten. Irgendwann kommt der nächste Schritt. Die neue Generation Wurst. Das ist wie eine Bewegung. In Dänemark sind es derzeit 38 Landwirte, die mitmachen. 90 sind in der Warteschleife, die einsteigen möchten.
Sie nennen sich »Westfälische Privatfleischerei«. Ist es da nicht möglich, auch hier zu kaufen?
REINERT: Das haben wir ja versucht, aber das war sowas von schwierig. Einzelne wollen das. Aber ein Programm aufzuziehen wie in Dänemark, mit einem ganzen Kollektiv von Landwirten, die nach unseren Kriterien produzieren, das hat bislang nicht funktioniert.
Herr Klack, warum können Sie das nicht bieten?
KLACK: Das gibt es in kleinen Anfängen. Aber wir können das natürlich nicht ohne Unterstützung. Außerdem ist Dänemark ein absolut isoliertes Land. Die bauen jetzt an der deutsch-dänischen Grenze noch einen Zaun gegen Wildschweine zur Verhütung der afrikanischen Schweinepest. Die wollen ihren Schweinebestand sauber halten, was bei uns fast nicht möglich ist. Wir sind ein Transitland. Hier fährt alles kreuz und quer durch. Da ist isolierte Schweinehaltung, ohne Infektionen hereinzubekommen, nicht möglich.
Wären denn Ihre Betriebe hier im Kreis nicht zu klein, um als Partner für Reinert in Frage zu kommen?
KLACK: Es geht nicht um Größe, sondern um gute Organisationsstruktur. Da haben wir Defizite. Ich würde mir auch gerne mehr Gemeinsamkeit wünschen, aber das kommt aus unserer Historie, dass wir Landwirte Einzelkämpfer sind.
Und deshalb können Sie, Herr Reinert, hier nicht kaufen, weil Sie nicht einen Ansprechpartner hätten, sondern viele?
REINERT: Zur Zeit nicht. Es gibt sicher einzelne Betriebe, die das machen würden und ihre Schweinehaltung so umstellen, dass es zu »Herzenssache« passt. Aber ich brauche ja keine einzelnen. Wenn alles gut läuft, werden wir in zwei Jahren 2000 Tonnen verarbeiten. Für einen Landwirt zu viel.
Aber ein Kontakt zwischen Landwirten und Wurstunternehmen scheint ohnehin nicht zu bestehen.
KLACK: Es ist schade, dass wir überhaupt keinen geschäftlichen Kontakt zu den fleischverarbeitenden Firmen hier vor Ort haben. Das kommt, weil wir es auf der Schlachtseite ja auch mit großen Playern zu tun haben. Wenn ich einen gut gehenden Schweinestall habe, dann kann ich eigentlich nur an zwei oder drei Vermarkter gehen.
REINERT: Tönnies, Westfleisch und Vion.
KLACK: Genau. Und die ha ben Kriterien, nach denen ein Schwein zu bewerten ist. Da stehe ich als Landwirt dann auch wieder ganz am Ende und erfahre, dass ich nach diesen Kriterien möglicherweise nicht die richtigen Schweine habe. Wir sind von diesen großen Unternehmen absolut abhängig. Und offensichtlich gibt es da dann aber auch wieder zu wenig Kommunikation, so dass Sie sich dann an ein dänisches Landwirtekollektiv wenden, das übrigens auch in Deutschland schlachten lässt.
Herr Reinert, Sie hatten sich bei einem HK-Artikel daran gestoßen, dass die Bauern sagen, Biofleisch sei das gleiche wie Ihre »Herzenssache«. Aber was ist der Unterschied dazu?

REINERT: Dass das Fleisch, das wir verarbeiten, noch nie Antibiotika gesehen hat. Bei Biofleisch ist das nicht ausgeschlossen. Je nach Biolabel darf man zwischen ein und drei mal – bei wenigen auch gar nicht – Antibiotika pro Schwein geben und dann diese Wartefristen beachten. Und dann ist es immer noch Bio. Von daher ist es für den Verbraucher auch ganz schwer zumindest bei Fleisch zu wissen, was steht hinter Bio.
Darf denn Fleisch überhaupt in d en Handel kommen, in dem noch Antibiotikarückstände sind?
REINERT: Nein, darf es nicht. Antibiotikafreie Aufzucht muss man so erklären: Jedes Fleisch, was heute verkehrsüblich ist, ist antibiotikafrei, weil die Wartefristen bis zur Schlachtung gehalten werden. Das Entscheidende sind die Multiresistenzen, die gebildet werden können. Je mehr Nutztiere mit Antibiotika versorgt werden, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich multiresistente Keime bilden, die auch auf Menschen übertragbar sind, bei denen nachher Antibiotika nicht mehr anschlägt. Ich will nicht sagen, es kommt alles nur aus der Nutztierhaltung. Das ist auch Quatsch. Es gibt natürlich auch viele Ärzte, die viel zu viel Antibiotika verschreiben, und die Menschen reagieren dann nicht mehr darauf.
Die Ursachen für die Übertragung solcher Keime sind also sehr vielfältig?
REINERT: Es hängt leider mit vielen Dingen zusammen. Und das wollen wir den Menschen erklären, wenn es auch erstmal nur über Werbung ist. Letztlich gilt der Satz: Du bist, was du isst. Ich weiß, dass Millionen das nicht mehr so wichtig finden, weil sie sagen, Hauptsache satt und es darf nicht so viel kosten. Aber da müssen wir umdenken. Ich weiß, jetzt werden viele sagen: Du kannst gut reden, du hast ja ein Unternehmen und viel Geld. Aber Lebensmittel, Kraft, Energie und Gesundheit, das hängt zusammen.
KLACK: Der Anfang ist gemacht und wir werden das weiterhin kritisch begleiten.
Das Gespräch führten Silke Derkum-Homburg und Marc Uthmann.