
Das Foto des übel zugerichteten Rehs im Bett eines Wassergrabens war wirklich schwer verdauliche Kost. Und selbst erfahrene Jäger zeigten sich über den Vorfall an einem Waldrand im Versmolder Ortsteil Bockhorst entsetzt. Aber der Vorfall dokumentiert in schockierender Eindeutigkeit, was wildernde Hunde mit ihren Opfern anrichten könnten.
Dabei rückte hinter den dramatischen Schilderungen ein weiterer Aspekt in den Hintergrund, der ebenfalls Anlass zur Sorge gibt. Denn abseits dieses Falls tut sich ein Problem in ganz anderer Dimension auf. 47 Rehe seien allein im aktuellen Jagdjahr seit April 2024 von Autos überfahren worden – und das nur im Jagdbezirk Bockhorst. Diese Zahlen präsentierte der vor Kurzem verabschiedete Versmolder Hegering-Leiter Tassilo Marowsky, der weiterhin als engagierter Jäger unterwegs ist. Ich musste tatsächlich noch einmal nachfragen, ob diese Zahl stimmen kann.
Tut sie – und sollte vielleicht noch mehr alarmieren als dieser zugegebenermaßen schlimme Fall eines wildernden Hundes. Denn was der Fachmann auch ganz klar betont: Ursache dieser Reh-Unfälle im Straßenverkehr ist für ihn in erster Linie gestresstes Wild, das ständig von frei laufenden Hunden aufgescheucht wird und ständig mehr noch als von Natur aus im Fluchtmodus ist. Ein Problem, das Bockhorst nicht exklusiv hat – es dürfte sich durch den gesamten, ländlich geprägten Altkreis Halle ziehen. Und bedeutet zum einen weiteres Tierleid, zum anderen eine Gefahr für die Autofahrer, die unvermittelt ein Reh auf der Kühlerhaube haben.
Wildernde Hunde sind nur die Spitze des Eisbergs im Altkreis Halle
Die Hunde müssen also gar nicht wildern, um Unheil anzurichten, es reicht schon, wenn sie unkontrolliert in der Natur unterwegs sind. Bitteres Fazit der Jäger: Wir bewahren Kitze vor dem Mähtod, und dann werden sie später überfahren oder gar gerissen. Diese Haltung hat ihnen allerdings schon manchen zynischen bis höhnischen Kommentar eingebracht. Motto: Ihr wollt den Nachwuchs doch nur retten, um ihn später selbst abknallen zu können.
Dahinter steht die Haltung, den Jägern eine Funktion als Naturschützer abzusprechen, eben weil sie Tiere töten. Dieses Argument hat seine moralische Berechtigung, aber es lohnt sich doch, genauer hinzusehen. Denn die heimischen Jäger sind auch die, die sich in unseren Breiten am intensivsten mit unserer Landschaft beschäftigen. Sie sind in den Revieren unterwegs, kennen die Tierbestände, interessieren sich für eine gesunde Flora und Fauna.
Verantwortungslos: Frau lässt 47 Hunde in Gammel-Haus zurück
Keine Angst, das soll hier keine Jäger-Propaganda werden, ich arbeite schließlich nicht für ein Fachmagazin der Waidleute. Trotzdem muss man darauf hinweisen, dass 47 tote Rehe allein im Straßenverkehr in einem so kleinen Revier auch etwas über die Population aussagen: Unreguliert würde sie schlicht zu groß. Ohne natürliche Feinde breiten sich Rehe zunehmend aus und verursachen übermäßige Schäden für Wälder, Pflanzen und Landwirtschaft.
Bestände der Rehe müssen im Altkreis Halle durch Jagd reguliert werden

Und da ist es doch besser, wenn Jäger die Tiere fachmännisch mit gewissen Quoten erlegen, als wenn sie auf der Straße sterben oder von Hunden gehetzt elendig zugrunde gehen. Es braucht die Jagd, um zu regulieren, und es braucht die Jägerinnen und Jäger, um genau hinzusehen, welche wildgewordenen Haus- und Hoftiere da wieder ihr Unwesen treiben.
Kein Jäger will einen wildernden Hund erschießen müssen, betont Tassilos Marowsky. Und wenn es nach dem Naturschutzbund NABU ginge, würde der Zunft dieses Recht auch wieder genommen. Stattdessen solle die Verantwortung an die Halter übergehen: Hunde wären künftig anzuleinen.
Denn was in dieser Debatte auch verblüfft: Außerhalb von Naturschutzgebieten gibt es diese Pflicht in NRW derzeit grundsätzlich gar nicht. Und selbst abseits von Wegen nur, wenn der Hund „nicht aufs Wort hört“. Was ist das denn für ein Kriterium? Da könnte sich der Halter ja immer auf eine Ausnahmesituation berufen, wenn der Schützling mal durchgegangen ist.
Freiheit der Hundehalter beschert ihnen auch Verantwortung
Die Hundehalter haben hierzulande also viele Freiheiten – und auch das mag im Sinne des Tierwohls angemessen sein. Allerdings bringt die Freiheit immer auch eine Verantwortung mit sich. Wer nicht gewährleisten kann, dass der eigene Liebling Wild bei sich bietender Gelegenheit reißen würde, muss eben umso besser aufpassen. Und sollte empfindlich bestraft werden, wenn ihm das nicht gelingt.
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