
Halle. Es ist still im Naturschutzgebiet Hörster Feuchtwiesen. Keine Autos, keine Spaziergänger. Dafür viel Sonne und ein blauer Himmel. Unterbrochen wird der Dezibelmangel immer mal wieder von Vogelstimmen, oftmals irgendwo zwischen Singen und Schimpfen angesiedelt. Während der Laie noch überlegt, wer die Töne durch seinen Schnabel schickt, hat Andreas Bader in Rekordgeschwindigkeit sein Fernglas aus der Tasche gezogen und es sich gegen seine Augen gepresst.
„Ein Mäusebussard“, sagt der Haller Hobby-Ornithologe kurz und knapp. Er ist mal wieder in den Hörster Feuchtwiesen unterwegs. „Es ist ein wunderbarer Ort, ich bin sehr oft hier“, sagt Bader. Kürzlich habe er einen VHS-Kurs über das Gelände geführt. „Das war am Samstag um 6 Uhr, da waren rund 15 Leute vor Ort“, sagt Bader. Eine beachtliche Anzahl zu einer Zeit, wo die meisten noch im Bett liegen und vom frischen Frühstücksbrötchen träumen. Sie zeigt aber auch, was die auf den ersten Blick eher unspektakulär daherkommenden Feuchtwiesen tatsächlich zu bieten haben.

Immerhin bilden sie unter der offiziellen Bezeichnung GT-005 das mit 231,2 Hektar flächenmäßig größte Naturschutzgebiet im Kreis Gütersloh – und vor rund 50 Jahren stand ihre Existenz auf dem Spiel. „Es war die Zeit der geplanten Flurbereinigung. Man wollte den kleinräumig zersplitterten Landschaftsraum in großflächige, agrarwirtschaftlich besser nutzbare Parzellen umwandeln“, erinnert sich Ulrike Bußmann, die mit ihrer Familie unweit des aus vier Teilflächen bestehenden Gebiets lebt und gemeinsam mit ihrem Ehemann Friedrich den Vogelexperten Bader begleitet.
Früherer NRW-Minister erkundet die Fläche per Kutsche
Von der Wichtigkeit des Areals wollte eine engagierte Bürgergruppe Mitte der 1980er Jahre auch NRW-Landwirtschaftsminister Klaus Matthiesen überzeugen. Der 1998 verstorbene SPD-Politiker wurde persönlich mit einer Pferdekutsche durch das Gebiet gefahren. Die Flurbereinigung wurde schließlich 1986 zu den Akten gelegt. „Das faszinierende Mosaik aus Hecken, Blänken und weiten offenen Landflächen konnte bleiben. Es wäre sonst unwiederbringlich zerstört worden“, sagt Friedrich Bußmann.
Das Landesamt für Natur, Umwelt und Klima Nordrhein-Westfalen (LANUV) stuft die Feuchtwiesen zusammen mit dem FFH-Gebiet Barrelpäule (40,5 Hektar) und dem Naturschutzgebiet Tatenhauser Wald (131 Hektar) als Biotopverbundsystem mit herausragender Bedeutung für den Artenschutz ein. Laut LANUV gibt es auf der Fläche 62 Arten, die auf der roten Liste der gefährdeten Arten in NRW stehen sowie weitere 22 Arten der Vorwarnliste.

„Ich habe bei meinem Rundgang mit dem VHS-Kurs am Samstagmorgen 22 Vogelarten entdeckt. Dabei sind da einige Vögel derzeit noch auf dem Rückweg aus den Winterquartieren“, sagt Bader. „Ich denke, dass in dem Gebiet um die 50 Vogelarten leben“, sagt der Vogelforscher, der früher als Amtsapotheker für Bielefeld, Minden und Lippe den dortigen Arzneimittelverkehr überwacht hat.
Fünf Bäche schlängeln sich durch das Haller Gebiet
Es gibt zwar einen Rundweg an den Hörster Wiesen, dennoch sind hier stets nur wenige Besucher unterwegs. Die Wege sind auch nicht ausgeschildert, man möchte zum Schutz der Natur die Ruhe bewahren und nicht unnötig Wanderer anlocken. „Diese Brombeerhecken sehen immer etwas ungepflegt aus, aber genau so soll es sein“, sagt Bader und zeigt auf den Wildwuchs am Wegesrand. „Diese Hecken sind für Singvögel wie etwa die Grasmücke. Die brauchen solche Nischen, ihr Bestand geht zurück“, sagt Bader.
Kurz darauf sieht er selten gewordene Blumen an einem der Gräben zwischen den Teilflächen. „Buschwindröschen und Schlüsselblume. Die sind man leider immer seltener“, sagt Bader. Offenbar kommen sie auch mit der aktuellen Trockenheit zurecht, denn angesichts der seit Wochen fehlenden Niederschläge müsste das Areal, das von Landwirten bewirtschaftet wird, bald eher in Hörster Trockenwiesen umbenannt werden. Generell handelt es sich bei den Feuchtwiesen um ein Niederungsgebiet, durch das die Alte und die Neue Hessel sowie die Nebenbäche Ruthebach, Laibach und Loddenbach fließen. Da das Grundwasser hier sehr hochsteht, ist der Boden eigentlich großflächig feucht.
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„Lassen sie uns doch noch bis zu der kleinen Wasserstelle gehen“, sagt Friedrich Bußmann. Am Ziel angekommen, wird die Gruppe mit seinem seltenen Anblick belohnt. „Das sind mindestens zwölf Tiere“, sagt Bader, als er sein Fernglas in Richtung einer Gruppe von Rehen hält. Sie grasen ganz in Ruhe in etwa 200 Meter Entfernung.
Kiebitz macht sich in dem Gebiet seit Jahren rar
„Die Feuchtwiesen sind wirklich ein Juwel, und das sollen sie auch bleiben“, sagt Friedrich Bußmann. Den Plan der Stadtwerke Münster, in dieser Gegend sechs Windräder bauen zu wollen, kann er nicht nachvollziehen. Als Mitglied der Bürgerinitiative wehrt er sich gegen dieses Vorhaben. „Wir haben kreis- und landesweit alle Quoten schon erfüllt, es besteht kein Bedarf an weiteren Windrädern. Und selbst wenn, gebe es andere, bessere Standorte“, sagt Bußmann.

„Da hämmert doch gerade ein Kleinspecht“, sagt Bader und schiebt die Wollmütze etwas nach oben, um die Ohren freizuhaben. „Es gibt hier aber auch den Buntspecht und den Schwarzspecht“, ergänzt er. Brachvögel habe er kürzlich auch entdeckt, Sorge bereitet ihm aber der Kiebitz. „Früher habe ich den häufig gesehen, nun ist er aber schon seit Jahren verschwunden“, sagt der Ex-Apotheker.
Die Hörster Feuchtwiesen sind seit Jahrzehnten als Schutzgebiet ausgewiesen, doch ihr Zustand gibt durchaus Anlass zur Sorge. Norbert Walter, Leiter der Biologischen Station, warnt davor, dass der ökologische Wert des Gebiets schleichend abnimmt. Windräder wären da, so sehen es auch Friedrich und Ulrike Bußmann, wohl eher kontraproduktiv.