
Und jetzt? Was fangen wir mit dem in Teilen erschreckenden Ergebnis bei der Bundestagswahl auch in unseren fünf Kommunen Halle, Versmold, Steinhagen, Werther und Borgholzhausen an? In der Spitze mehr als 21 Prozent für die AfD, die in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Eine Partei, die in den vergangenen Monaten mit drastischen Parolen aufgefallen ist und an demokratischen Grundprinzipien kratzt.
So sehe ich es. Und kann mich dabei auf vielfach zitierte Aussagen aus dieser Partei stützen, die belegbar gefallen und dokumentiert sind. Aber bei aller besorgter Analyse, die wir Journalisten betreiben, müssen wir der AfD ganz nüchtern eines zugestehen: Sie hat offenbar einen Weg gefunden, die Sorgen der Menschen zu adressieren. Oder sie zumindest zu schüren – um dann zu versprechen, alle Probleme zu lösen. Anders als die „Altparteien“, selbstverständlich.
Ich ertappe mich an dieser Stelle immer wieder dabei, wie ich leicht süffisant klinge, moralisch urteilend, ein wenig von oben herab. Haben die 18,4 Prozent der Menschen im Kreis Gütersloh es verdient, dass ihre Wahlentscheidung so abgewertet wird? Das ist immerhin jeder/jede Fünfte.
Migration und Sozialleistungen treiben Menschen im Altkreis Halle um
Wir bewegen uns hier jetzt auf ganz sensiblem Terrain: Einerseits dürfen wir es nicht zulassen, dass rechtes, menschenverachtendes Gedankengut in unserer Gesellschaft wieder Fuß fasst. Und andererseits müssen wir Menschen und ihre Motive doch ernst nehmen. Es gibt in diesen Zeiten offenbar Nöte und Sorgen, die viele Wählerinnen und Wähler dazu gebracht haben, diese Partei zu wählen.

Vor vier Wochen habe ich an dieser Stelle davon geschrieben, dass man eben nicht „ein bisschen rechts“ sein kann und dass, wer braun (oder in diesem Fall blau) wählt, sich auch immer ein wenig schmutzig macht. Inhaltlich stehe ich dazu – aber das entbindet mich und meinen Berufsstand ja nicht davon, nach Ursachen zu fragen.
Also haben wir nach dem Wahlsonntag versucht, in die Bevölkerung hineinzuhören. Aufzufangen, was die Menschen bewegt - und vor allem jene, die vergeblich versucht haben, sie von ihren Ideen zu überzeugen. So wie der Borgholzhausener Hermann Ludewig, dessen Partei FDP grandios gescheitert ist, der sich in seiner Heimatstadt aber vielfältig engagiert und viele Gespräche führt. Sein Fazit: Die vermeintlich ausufernden Leistungen für Migranten und Bürgergeldempfänger sind vielen ein Dorn im Auge – und das vor allem im Lichte eigener Probleme.
Rechtsruck in Versmold: Warum haben die Parteien das Gespräch versäumt?
Letztlich geht es um den Erhalt des Wohlstandes. Und um politische Entscheidungsträger, die es in den vergangenen Jahren aufgrund strategischer Fehler und innerer Streitereien nicht geschafft haben, die Wirtschaftskrise zu meistern und für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Wenn es den Menschen gut geht und sie sich nicht benachteiligt fühlen, dann nehmen sie andere Gruppen auch weniger als Bedrohung wahr.
Also schnell die Wirtschaftskrise lösen und auf den Sommer warten, und schon scheint auch im Altkreis Halle wieder die Sonne. So einfach wird es nicht werden – diese Einsicht setzt sich auch bei den Politikern und Entscheidungsträgern vor Ort immer mehr durch. Der SPD-Kreisvorsitzende Thorsten Klute hat für seine Partei bereits den wichtigsten Kommunalwahlkampf aller Zeiten in NRW ausgerufen, er will mit den Enttäuschten ins Gespräch kommen, mit den Arbeitenden und den Menschen mit niedrigen Einkommen. Das ist zweifellos richtig. Man könnte sich indes fragen: Warum habt ihr das bisher noch nicht getan? Und wenn doch, dann scheint ihr die Menschen ja ohnehin nicht mehr zu erreichen.
Solche Resignation wäre allerdings fatal und auch unangebracht – denn so löst man keine Probleme. Vielleicht lohnt ja ein Blick in die Altkreis-AfD-Hochburg Versmold. Da bekennt Bürgermeister Michael Meyer-Hermann (CDU) schonungslos offen: „Kerzen anzünden und demonstrieren allein reicht nicht - wir müssen auch gute Politik machen.“ Und die 81-jährige Bundesverdienstkreuzträgerin Ulrike Poetter bringt es auf drei Worte, die in unseren Zeiten wichtiger denn je sind: „Wir müssen zuhören.“
AfD brauchte im Altkreis Halle kaum „echte“ Präsenz für ihren Erfolg
Das hätte man bei der AfD mitunter auch gern getan, ihr inhaltlich auf den Zahn gefühlt. Aber die Partei hatte es im Wahlkampf ja nicht einmal nötig, über die Dörfer zu tingeln. Wahlkampfstände in Borgholzhausen wurden angemeldet und dann nicht aufgebaut, in den meisten Städten hingen hier und da mal ein, zwei verlorene Plakate an den Laternen. Und trotzdem strömten die Wähler zu den Rechten – nicht zuletzt aufgrund ihrer erfolgreichen Social-Media-Kampagne.
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Viel Personal hat die Partei in unserer Region noch nicht, auch wenn Alexander Alt, Vorsitzender der AfD-Kreistagsfraktion aus Steinhagen, jetzt mit dem Aufbau weiterer Ortsverbände und Kandidaten für die Kommunalwahl liebäugelt. Offen für die Partei in die Debatte gehen bislang dennoch wenige.
Der heimische AfD-Bundestagskandidat Kai Röchter machte in den vergangenen Monaten jedenfalls kaum von sich reden – außer mit seinem Auftritt bei der Podiumsdiskussion am Haller Berufskolleg: „Den Fachkräftemangel ohne Migration zu beheben, funktioniert nicht“, betonte er da. Eine bemerkenswerte Aussage für einen Mann, der eine Partei vertritt, deren schrille Anti-Ausländer-Rhetorik zuletzt schwindelerregende Höhen erreichte.
Überraschende Zwischentöne von rechts im Haller Berufskolleg
Es war ein Moment, der uns allen beweisen sollte, wie wichtig Zuhören und miteinander im Gespräch zu bleiben in den kommenden Monaten sein wird. Dann werden plötzlich auch Zwischentöne hörbar, mit denen vorher niemand gerechnet hatte – und manche vermeintliche Heilsbringer entzaubern sich selbst. Unsere demokratischen Parteien werden in jedem Fall nur das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen, wenn die sich wieder ernstgenommen fühlen. Und insofern könnte der Kommunalwahlkampf in Gremien, an Haustüren und auf Marktplätzen wirklich einer der wichtigsten aller Zeiten werden. Vielleicht hat er tatsächlich schon jetzt begonnen.
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