Der Wochenkommentar

Zeitgeist im Altkreis Halle: Ein bisschen rechts sein geht nicht

Die AfD inszeniert sich als Partei, die das Versagen der demokratischen Kräfte offenlegt. Auch in der Region verfängt das zunehmend. Und gefährliche Botschaften werden einfach ausgeblendet.

Wir leben gerade in aufgeheizten Zeiten. Gefährliche Botschaften werden immer wieder ausgeblendet. | © Besim Mazhiqi

Marc Uthmann
01.02.2025 | 05.02.2025, 09:10

Wir leben derzeit in politisch aufgeheizten Zeiten. Und damit meine ich nicht nur das politische Berlin und die „Brandmauer-Debatte“. Ich meine auch unseren konkreten Alltag. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - aber was mir immer häufiger passiert: Wenn das Gespräch auf Politik kommt, verstummen einige - andere laufen heiß. Es steht mittlerweile viel Unausgesprochenes zwischen den Menschen.

Davon können wir uns auch im Altkreis Halle nicht freimachen - auch wenn der Entertainer Jan Böhmermann uns nach seinem Auftritt in der OWL-Arena vor Kurzem einen erfreulich „niedrigen Blutdruck“ attestiert hat.

Das hat nämlich mit den Diskussionen im Alltag, wie ich sie erlebe, nicht viel zu tun. Neulich ging es um eine Talkshow mit Alice Weidel. Da hatte die AfD-Kanzlerkandidatin doch gefordert, Erzieherinnen und Erzieher müssten besser bezahlt werden. Klingt richtig. Prompter Kommentar: „Da hat sie doch recht! Und dann heißt es immer, diese Partei sei rechts.“

Verbale Aussetzer der AfD werden bagatellisiert

Ernsthaft? Erstens ist die Partei doch mittlerweile offen stolz auf ihre Rechtsaußenposition und inszeniert diese mit Genuss. Wenn Alice Weidel von „Remigration“ spricht, dann nutzt sie das bewusst als rechten Kampfbegriff. Diese Partei weiß genau, welche Kreise sie mit ihren Botschaften erreicht - und das sollte allen bewusst sein, die sie jetzt in Schutz nehmen.

Und zweitens: Eine richtige Aussage kann doch nicht als Persilschein für 100 verrückte taugen („Windmühlen der Schande“, „Hitler war Kommunist“). Die sprechen es endlich mal aus und werden dafür zu Unrecht attackiert - dieses Narrativ dieser Partei wird dennoch immer mehr salonfähig. Hören Sie in manchen Ihrer Gespräche im privaten Umfeld mal genau hin.

Die unerträglichen verbalen Aussetzer der AfD werden bagatellisiert - stattdessen erntet man mitunter ein mitleidiges Lächeln nach dem Motto: „Sie erzählen euch nicht alles.“ Sie, das sind die Regierenden, die Entscheider. Zielscheibe einer pauschalen Kritik, in die sich mittlerweile alles mischt: Corona eine Lüge, überzogene Klimapolitik, Ausländer raus, lasst Putin in Ruhe.

Pauschale Medienkritik und Raunen statt Fakten

Das Ganze wird immer offener vermischt - und da bin ich naturgemäß empfindlich - mit Misstrauen gegenüber den so bezeichneten „Systemmedien“. Immer mehr Leute auch in unserer vermeintlich heilen Welt lehnen öffentlich-rechtliche Medien und etablierte Zeitungen ab und informieren sich stattdessen in ihren Bubbles im Netz. Tenor: Ihr seid Staatsmedien - aber wir wissen mehr. Fragt man dann nach, bleibt es oft beim Raunen.

Egal, wir müssen mit Kritik leben: Ein von mir geschätzter Diskussionspartner schickt dem „Haller Kreisblatt“ häufiger kritische Mails. Wir sind inhaltlich oft nicht einer Meinung (Corona), aber respektieren uns. Jetzt schreibt er, dass unsere Zeitung seit fünf Jahren „null“ Regierungskritik übe - und das stimmt einfach nicht. Natürlich wird das Regierungshandeln in unseren Artikeln auf verschiedensten Ebenen kritisiert, das gehört doch zur DNA einer Tageszeitung. Solche Pauschalierungen sind bei allem Respekt gefährlich. Immerhin sind wir weiter im Austausch - andere wenden sich ab und haben ihre Urteile schon gebildet.

Wir bekommen jetzt auch verstärkt Leserbriefe pro AfD. Ein Versmolder Leser argumentierte jüngst: „Sollen diese Wähler alles Rechtsextreme sein, die mit dieser Partei (AfD) sympathisieren?“ Das wissen wir natürlich nicht - aber die Partei selbst ist in Teilen gesichert rechtsextrem und bedroht mit ihren Positionen Grundwerte unserer Demokratie. Dessen dürfen sich alle, die jetzt beschwichtigen wollen, ruhig bewusst sein.

Auch im Altkreis Halle gezielte AfD-Nadelstiche

Was ich privat und in meinem Job als Zeitungsredakteur zunehmend spüre: ein Nachlassen des Widerstandes, eine Gewöhnung an immer extremere Positionen. Motto: Nun hackt doch nicht so auf der AfD rum. Weil es mitunter eben doch bequem ist, wenn eine Partei vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Probleme gibt - da können wir Deutschen mit unserem ständigen Hang zur Weltdepression wenigstens „der Regierung“ die Schuld geben.

Kann ja alles sein - aber doch nicht im Altkreis Halle, das sind doch alles abgehobene Berliner Politdebatten, könnten Sie mir jetzt entgegnen. Schauen wir mal auf die Zweitstimmen am 23. Februar - und dann reden wir wieder. Rein statistisch sympathisiert in Deutschland jeder Fünfte in einer Runde mit dem AfD-Gedankengut.

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Auch wenn die AfD hier politisch noch nicht so richtig Fuß fasst - mit aktuell drei von 73 Mitgliedern im Kreistag und einem Einzelkämpfer in Steinhagen. Genau der ist es natürlich, der sich mit einem Statement gegen ein Friedensdenkmal zu Wort meldet - ein wenig Abstauben gegen Woke kommt derzeit gut an. Auch wenn es zu dem Projekt auch weitere kritische Stellungnahmen gab - irgendwie ist immer klar, mit welchem Gedankengut und bei welcher Zielgruppe die AfD punkten will, gezielt auch im Altkreis Halle.

Warum sollten wir nicht zu Weidel recherchieren?

Das Verharmlosen nimmt mitunter absurde Züge an: Da werden wir angegangen, weil wir darüber berichten, dass Alice Weidels Großvater NS-Militärrichter war. Was kann sie denn dafür? Nun ja, die Frau will Kanzlerin für eine sich offen als rechts bezeichnende Partei werden, Opa war alles andere als ein Mitläufer - man könnte eine gewisse Kontinuität unterstellen. Zumal es eine journalistische Aufgabe ist, Werdegang und Hintergründe solch einer öffentlichen Person zu recherchieren, die zudem Wurzeln im Kreis Gütersloh hat. Ist es so weit gekommen, dass „den Medien“ dann eine Kampagne unterstellt wird?

Am Ende habe ich neulich die Frage gehört: Weiß gar nicht, wen ich da noch wählen soll ... Wie wäre es mit einer demokratischen Partei, die sich zu unserem Rechtsstaat bekennt? Da gibt es von liberal über grün und sozialdemokratisch bis zu konservativ eine große Auswahl. Und übrigens: Nur ein bisschen rechts wählen geht nicht - da macht man sich immer schmutzig. Nicht nur im Februar, sondern auch im September bei den Kommunalwahlen. 80 Jahre nach dem Ende eines von deutschen Nazis verursachten Weltkrieges sollten wir da alle mal drüber nachdenken.

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