Der Wochenkommentar

Haller-Willem-Krise: Eine Bankrott-Erklärung für den ÖPNV im Altkreis Halle

Die jüngste Nachricht von der so wichtigen Bahnstrecke raubt endgültig die letzte Illusion einer erfolgreichen Verkehrswende. Es gibt zwar tolle Ideen - aber im Alltag funktioniert wenig.

Der Haller Willem, hier am Bahnübergang in Künsebeck, ist derzeit von Ausfällen geplagt. | © Tasja Klusmeyer

Marc Uthmann
15.02.2025 | 19.02.2025, 08:57

Als wir am Freitagnachmittag des 7. Februar die Nachricht von den für Monate angekündigten Ausfällen auf der Strecke der RB 75 („Haller Willem“) zwischen Bielefeld und Halle bekamen, mussten wir erst zwei Mal hinschauen. Die Details, die mein Kollege Tobias Barrelmeyer dann am Montag recherchierte, machten das Debakel für die wichtige Zugverbindung offensichtlich.

Man muss sich das noch einmal vor Augen führen: Ein Unfall, der mehr als ein Jahr zurückliegt, führt jetzt zu massiven Ausfällen auf einer für Berufspendler, Schüler und Studenten eminent wichtigen Strecke. Weil es innerhalb von zwölf Monaten nicht gelungen ist, die - zugegebenermaßen - schweren Schäden zu reparieren, und sich vor einigen Wochen ein weiterer Ausfall ereignete. Jetzt sind bei der Nordwestbahn, die auf der Strecke unterwegs ist, alle Reserven aufgebraucht und sie streicht in ihrer Not immer wieder Zwischentakte. Aber nicht für einige Wochen, sondern für sieben Monate. Und das auch nicht planbar, sondern immer wieder kurzfristig.

Dem Verkehrsunternehmen bleibt in seiner Not sicherlich nichts anderes übrig, aber die Umstände dieser Streckenkrise werfen doch ein Schlaglicht auf die Lage des ÖPNV hierzulande: Ein Jahr hat es gedauert, einen Dienstleister für die Reparatur der Fahrzeuge zu finden und einen Termin abzustimmen. Und weil sich das Ganze jetzt so lange hinzieht, tauscht die Nordwestbahn munter Fahrzeuge mit der Senne-Bahn hin und her und lässt ihre Passagiere bis September im Ungewissen. Wer aber nicht mit seinen Verbindungen planen kann, der will doch auch nicht Zug fahren.

Krise des ÖPNV im Altkreis Halle hat sich mit jüngsten Meldungen verschärft

Vor einigen Wochen ging es in unserer Berichterstattung über den Stand der Reaktivierung der Schienenstrecke Verl-Harsewinkel für den Personenverkehr. Ende 2027 sollen auf diesem Abschnitt wieder Züge rollen. Darüber hinaus wurde auch untersucht, ob die Strecke in einem zweiten Schritt von Verl nach Hövelhof und von Harsewinkel nach Versmold verlängert werden könnte. Ergebnis der Machbarkeitsstudie: macht Sinn. Kostet aber auch bis zu 90 Millionen Euro.

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Fazit des Verkehrsverbundes OWL: Dafür ist absehbar kein Geld da, wir müssen erst mal sicherstellen, dass wir unser bestehendes Streckenangebot aufrechterhalten können. Wie wahr diese Aussage ist, hat sich mit der jüngsten Krise des Haller Willem bitter bewahrheitet.

Tolle Ideen für den ÖPNV gibt es immer wieder: Man kann natürlich darüber streiten, ob eine Zugfahrt nach Gütersloh für die Menschen in Versmold jetzt denn ganz großen Durchbruch darstellt. Aber sie wären zumindest an den Fernverkehr angebunden - und ihr Bahnhof wäre wieder mehr als nur der Standort einer kultigen Kneipe.

Ideen für die Verkehrswende treffen auf ländliche Realität in Halle

Letztlich sind solche Pläne allerdings höchstens vage - während der Haller Willem als Verbindung zwischen Osnabrück und Bielefeld für die Menschen in der Region eine eminent wichtige Funktion erfüllt. Wenn er jetzt wackelt, dann wackelt das generelle Vertrauen in den ÖPNV.

Und das wird auch nicht durch sicherlich lobenswerte Projekte wie das viel diskutierte Linien-eCar-Sharing kompensiert, das in Borgholzhausen und künftig auch in Halle angeboten wird. Schön, dass man damit die „letzte Meile“ zum Zug klimaneutral überbrücken kann. Aber was hilft es, wenn der Zug dann nicht oder wie in den vergangenen Monaten immer wieder nur mit zum Teil satten Verspätungen fährt? Vor diesem Hintergrund klingt es fast wie ein Hohn, wenn eine Ausweitung des 30-Minuten-Taktes bis nach Osnabrück geplant wird. Momentan scheint beim Haller Willem gar nichts mehr im Takt.

Hinzu kommt, dass es der ÖPNV auf dem Land ohnehin schwer hat, weil sein Netz zu dünn ist. Ich habe schon häufiger überlegt, mal mit dem Bus zur Arbeit zu fahren: Linie 89 ab Versmold ZOB. Mehr als fünf Euro für eine Einzelfahrt zwar, die laut Fahrplan aber immerhin nur 24 Minuten dauert - fast so schnell wie mit dem Auto. Und wenn ich regelmäßiger mit dem Bus fahren würde, könnte ich mir ja ein Deutschlandticket kaufen, das ist immerhin eine Errungenschaft.

Wege im Altkreis sind weit, die Takte dünn

Aber wofür - außer für meine Pendelfahrt - sollte ich das Ticket denn sonst noch benutzen? Die Wege im Altkreis sind weit, die Bustakte luftig. Einmal in der Stunde käme ich abends von der Arbeit nach Hause - und müsste irgendwie noch vom Büro zur Haltestelle. Flexibel klingt anders.

Hört sich zwar ein wenig nach den Ausreden des Bequemen an, aber viele Menschen wählen für ihren täglichen Arbeitsweg den für sie in jeder Hinsicht effizientesten Weg. Und da schneidet der ÖPNV in unserer Region ganz schlecht ab. Die Autobahn 33 hingegen wurde mit viel Geld und breiter Zustimmung durch unsere Landschaft gefräst - und sie macht ihren Job.

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Klingt zynisch, beschreibt aber unsere Realität. Der Autoverkehr wird auch weiterhin aus pragmatischen Gründen die Nase vorn haben. Das dürfte sich nur abmildern lassen, wenn der ÖPNV eigene Erfolgsgeschichten liefern kann. Für die war in den vergangenen Jahren verlässlich der Haller Willem zuständig. Umso alarmierender, wenn er jetzt vom Kurs abkommt. Womöglich ist es an dieser Stelle Zeit für eine politische Initiative, um Schlimmeres zu verhindern.