Der Wochenkommentar

Mutiges Vorbild: So kämpft dieser Haller trotz seines schweren Schicksals

Silvester ist die klassische Zeit dafür, dass man zurückschaut und obendrein Hoffnungen an das neue Jahr formuliert. Manche Schicksale lassen einen den Wunschzettel noch mal überarbeiten.

Der Haller Sven Heibrock (58) hat durch eine seltene Nervenkrankheit sein komplettes altes Leben verloren. Mit wie viel Kraft und Mut und Energie er die neue Abzweigung nimmt, verdient größte Hochachtung. | © Nicole Donath

Nicole Donath
04.01.2025 | 04.01.2025, 19:04

Es fiel genau in die Zeit, als wir in der Redaktion all die Geschichten für unsere Jahresrückblicke zu Themen wie innovative Geschäftsideen oder prägende Projekte, emotionale Momente, Veränderungen in der heimischen Gastro oder Entwicklungen unserer Wirtschaftsunternehmen zusammenstellten. Da landete nämlich der Newsletter von Kurt Kister in meinem Mailpostfach. Kurt Kister ist Journalist und war viele Jahre Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung. Und irgendwie mag ich diesen Misanthrop, er kann einfach brillant formulieren.

Ausgerechnet in dieser Ausgabe musste er jedoch dezent zynisch anmerken, dass ja „für Journalisten und Innen am Jahresende genau diese Rückblicke zu den alten Gewohnheiten gehörten“. Dieses Schreiben besinnlicher Artikel mit moralischem Ausblick oder das Verfassen nachdenklicher Texte, die von gestern nach übermorgen blicken. Als gäbe es nichts Wichtigeres als das, was war.

Hm, ich räume ein, dass ich unser Tun in dem Augenblick doch hinterfragt habe. Zumindest für einen Moment. Aber nein, zwischendurch mal einen Blick zurückzuwerfen und eine kleine Bilanz dessen zu ziehen, was ganz gut gelaufen und wo noch Luft nach oben ist, das passt schon. In diesem Zusammenhang ist mir übrigens auch eine ganz schöne Idee für das neue Jahr begegnet: Einmal pro Woche einen Zettel nehmen und darauf ein Ereignis festhalten, das einen hat lächeln oder lachen lassen. Dann wird der Zettel in ein großes Gefäß geworfen, um es am nächsten Silvestertag auszukippen - und tütenweise glückliche Momente präsentiert zu bekommen. So nämlich!

Wünsche an das neue Jahr noch einmal anpassen

Bestimmt haben auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, zuletzt einen Blick auf das zurückliegende Jahr geworfen und Wünsche an das neue formuliert. Angesichts des dramatischen Schicksals von Sven Heibrock, den ich zwischen Weihnachten und Silvester getroffen habe, wird der ein oder andere seine Hoffnungen unter Umständen indes noch einmal angepasst haben. Zumindest mir ging das so.

Es war im Oktober 2022, dass wir uns schon einmal begegnet waren, wenngleich eher flüchtig. Damals stand der Umzug des „Haller Kreisblatts“ von der Gutenbergstraße in den Firmensitz von Gerry Weber an der Neulehenstraße an. Mit einer kleinen Gruppe besichtigten wir die künftigen Räumlichkeiten - mit dabei: Sven Heibrock. Er sollte bestimmte Trockenbauarbeiten durchführen, hier eine Wand versetzen, dort einen Durchbruch realisieren und obendrein noch ein paar kleine Reparaturen erledigen. Doch dazu kam es nicht.

Auf einmal war der Handwerker von der Bildfläche verschwunden

Als wir das nächste Mal in unseren neuen Büros vorbeischauten, waren andere Handwerker bei der Arbeit. Das fiel nicht direkt auf, er hätte ja auch einfach mit anderen Dingen beschäftigt sein können. Aber dann hörten wir davon, dass es dem damals 56-Jährigen sehr schlecht gehe und er im Koma liege. Irgendwas mit Corona oder Schlaganfall oder so. Genaues war nicht zu erfahren. Was er tatsächlich durchmachen musste und wie er noch immer kämpft, das habe ich schließlich vor einer Woche gehört. Und beschäftigt mich noch immer.

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Es geschah im November 2022, als Heibrock binnen weniger Stunden vom Guillain-Barré-Syndrom überfallen wurde. Sein Körper wurde durch eine ebenso seltene wie brutale Nervenkrankheit gelähmt, im Wortsinne von jetzt auf gleich, ohne jede Vorwarnung. Die üblichen Vorsorgeuntersuchungen hatte er stets wahrgenommen, die Ergebnisse stets unauffällig. Stattdessen wurde er plötzlich gepeinigt von schier unerträglichen Schmerzen, künstlich beatmet, ausgestattet mit einem künstlichen Ausgang und noch einem Herzschrittmacher. Obendrein erkrankte Sven Heibrock an einer Lungenentzündung und an Covid-19, während ihn über Monate auch hohes Fieber plagte mit Temperaturen jenseits der 40 Grad. Welch ein Wahnsinn.

Nach der Hölle einen neuen Weg gefunden

Was mich an der Geschichte erschrocken gemacht hat, ist - wieder einmal - die Tatsache, wie unvermittelt sich ein vermeintlich sicheres Leben ändern kann. Wovor ich Hochachtung habe, ist es zu sehen, mit wie viel Kraft und Energie und Zuversicht sich Sven Heibrock zurück ins Leben kämpft. Seine Firma, sein Haus, seine Autos, sein Motorrad - er hat nicht nur seine berufliche Existenz und seine Wertgegenstände verloren, nein, er musste überhaupt sein altes Leben mit allen Selbstverständlichkeiten aufgeben. Sich selbstständig zu waschen, anzuziehen, zu essen, zu laufen - alles vorbei. Diese Vorstellung ist der blanke Horror. Aber am Ende dieses „Weges durch die Hölle“, wie er die vergangenen zwei Jahre selbst beschreibt, eine Abzweigung zu finden und mit sich im Reinen diesen neuen Weg weiterzugehen - diese Größe muss man erst einmal haben.

Ich wünsche all jenen, die ein schweres Schicksal meistern müssen, eben diese Kraft. Und allen, denen ein solcher Weg erspart bleibt, dass sie die schönen Dinge des Lebens zu schätzen wissen.