Halle. Für eine lange Zeit sorgen Eltern zunächst einmal für ihre Kinder und nicht umgekehrt. Und so ähnlich war es auch bei den Heibrocks. Als Tochter Kim (30) dann älter wurde, besuchte sie ihren Papa schon mal auf dessen Baustellen, zusammen ging es in den Urlaub, und sehr regelmäßig verabredeten sie sich in ihrer Freizeit. Bis vor gut zwei Jahren, bis zum 22. November 2022 - bis zu jenem Tag, der alles veränderte.
„Diese Nacht werde ich niemals vergessen“, erzählt Kim Heibrock. „Eigentlich stelle ich mein Handy nachts nie aus, wirklich nie, aber ausgerechnet in der Nacht war es auf lautlos. Und erst am nächsten Morgen sah ich die ganzen Anrufe aus dem Krankenhaus.“ Sie habe dann direkt zurückgerufen und konnte sogar noch ganz kurz mit ihrem Vater selbst telefonieren. „Hinfahren ging ja nicht, mein Lebensgefährte und ich hatten beide Corona ...“, fügt sie an. Derweil wurde die Lage immer dramatischer.
Würde der Papa die nächste Nacht überleben ...?
Die Stimme der jungen Frau stockt. „Der Arzt sagte damals zu mir, wenn Papa die nächste Nacht überlebt, wäre es schon mal gut ... Aber wir müssten ihn auch gehen lassen, wenn er gehen wolle ...“ Und dann rollen die Tränen. Die Erinnerungen an diese Zeit, da ihr Vater von jetzt auf gleich um sein Leben kämpfen musste und die Ärzte während der gesamten Leidenszeit sogar viermal dachten, sie würden ihn verlieren, haben Spuren hinterlassen.
Zu den großen Sorgen und der Angst um den Papa, der - plötzlich gelähmt vom Guillain-Barré-Syndrom - mittlerweile ins Koma gefallen war, mussten obendrein dringend verschiedene Aufgaben erledigt werden. „Wir brauchten erst mal die Kundenkontakte von seinem Handy, die Bankkarten, überhaupt ganz viele Unterlagen - vor allem auch die Passwörter.“ Kim Heibrock schüttelt lächelnd mit dem Kopf. „Allein das war schon ein totaler Akt.“ Und dabei doch nur der erste kleine Schritt.
Im Koma liegend brauchte Heibrock einen rechtlichen Betreuer
Denn im Koma liegend und damit nicht mehr entscheidungsfähig, benötigte ihr Vater nun einen rechtlichen Betreuer. Keine Transaktion bei der Bank, keine Entscheidung in seiner Firma war vor einer entsprechenden Bestellung möglich. Und weil für einen solchen Fall niemand im Vorhinein bestimmt worden war, trat erst mal - so ist es üblich - das Amtsgericht auf den Plan. Während Kim Heibrock bei Gericht beantragte, eben diese Rolle übernehmen zu dürfen: rechtliche Betreuerin ihres Vaters. Verkehrte Welt - und in dem Augenblick doch die einzig richtige Entscheidung.
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„Etwa vier Wochen dauerte es, bis das offiziell war“, berichtet sie. Einerseits ein guter Moment, nach dieser Zeit nun endlich im Sinne ihres Papas handeln zu dürfen - vor allem ohne dass eine fremde Person zwischengeschaltet werden musste. Andererseits der Augenblick, ab dem große Verantwortung auf der jungen Frau lastete.
„Alleine hätte ich das alles nicht geschafft“, räumt sie ganz ehrlich ein. „Meine Mutter Britta hat total viel geholfen.“ Denn obwohl die Eltern geschieden sind: In der Not hielten und halten noch alle zusammen. „Ümit, mein Lebensgefährte, hat auch viele Aufgaben übernommen, obwohl auch er kein Handwerker ist. Und Jörg Detert, damals Hausmeister bei Gerry Weber, war bei der Abwicklung von Papas Firma eine richtig große Stütze für uns“, zählt Kim Heibrock, die selbst bei einem Personaldienstleister arbeitet, ein paar Namen auf. Indes, nicht auf alle sei so ein Verlass gewesen.
„Zum Beispiel hatte Papa kurz vorher noch einen großen Auftrag in Bielefeld angenommen; den wollten wir mithilfe von Subunternehmern auch unbedingt ausführen.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Was soll ich sagen ... Ausgerechnet in der Situation wurden wir trotz vorheriger Zusage hängengelassen. Und haben am Ende dann sogar noch draufgezahlt.“ In der Not hätte die Familie bald erkannt, wer zu ihnen hielt und wer nicht.
Sven Heibrock sollte im Krankenhaus nie ohne Besuch sein
Darüber hinaus stand es für sie außer Frage, dass ihr Papa im Krankenhaus nicht einen Tag ohne Besuch sein sollte. „Und es hat tatsächlich funktioniert, wir haben es geschafft: Immer war einer von uns bei ihm.“ Kim Heibrock lächelt. Und erinnert sich an einen Tag im April 2023, den sie nie vergessen wird.
„Das war Papas 57. Geburtstag. So lange war er da noch nicht wieder aus dem Koma erwacht, jedenfalls sind wir alle zusammen hingefahren, jede Menge Luftballons hatten wir dabei ... Das Team im Johannisstift hatte extra Personal bereitgestellt, damit Papa wegen der Ansteckungsgefahr kurz nach draußen durfte - natürlich noch an Schläuchen und im Rollstuhl. Wir hatten Skylar mit, also Papas Bulldogge, die seitdem bei mir wohnt. Und die ist dann natürlich auch gleich auf ihn zugerannt ... Das war wirklich total besonders.“ Und so bedrückend die Umstände grundsätzlich waren, so überwog am Ende doch die Dankbarkeit: „Immerhin konnten wir seinen Geburtstag überhaupt feiern“, sagt Kim Heibrock.
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Seit dem Sommer vergangenen Jahres hat Sven Heibrock Krankenhäusern und Reha-Kliniken mittlerweile den Rücken gekehrt und ist in Halle zurück. Nicht mehr in seinem alten Haus, dafür in einer behindertengerechten Wohnung mit Rollstuhl, Rollator, Gehbock und Krankenbett. Und kämpft sich hier zurück ins Leben. Aber er macht das tapfer und kann weiter auf die Unterstützung seiner Familie zählen. Die sich übrigens mittlerweile gegenseitig Generalvollmachten ausgestellt und Patientenverfügungen formuliert hat. „Ja, wir haben ja gesehen, wie wichtig das sein kann“, bestätigt Kim Heibrock.
Kim Heibrock verrät ein Geheimnis für die Zukunft
„Aktuell kaufen wir jeden Tag ein und bringen Papa immer etwas zu essen“, berichtet sie weiter. „Wobei ich mich schon darauf freue, wenn wir mal wieder rausgehen können und auch draußen zusammen einen Wein trinken.“ Und dann lächelt Kim Heibrock und verrät ein Geheimnis. „Ja, überhaupt soll der sich mal schön weiter anstrengen und bald wieder alleine laufen können - schließlich muss er ja irgendwann den Kinderwagen schieben!“ Im Juli soll ihr erstes Baby zur Welt kommen, Sven Heibrock wird Opa. Bessere Nachrichten könnte es für die Familie nach dieser schweren Zeit kaum geben.

