
Es ist eine moderne Journalistenkrankheit: ständig und überall auf verschiedenen Portalen in Social Media präsent zu sein. Kürzlich las ich dort einen Post, der mich zugleich überraschte und kurz glücklich machte: Ein junger Vater in Elternzeit wollte einfach mal loswerden, dass er sich trotz der zahlreichen Probleme, die wir in Deutschland derzeit haben, sehr wohlfühlt und dankbar ist, in einem Land mit so guter sozialer Absicherung und Infrastruktur zu leben.
Sofort erhielt er einen sehr freundlichen Kommentar, der allerdings im dritten Satz schon das große Aber präsentierte: Gerade in der Gesundheitsversorgung gebe es doch noch viel zu tun, Mängel hier, Probleme da, viel Nachholbedarf. Und sofort schoss mit beim Lesen durch den Kopf: Das ist jetzt der Geist, der unser Land durchzieht. Natürlich gibt es berechtigten Anlass zur Kritik, aber wir haben doch alle verlernt, mit irgendetwas zufrieden zu sein.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber das merke ich auch im Gespräch mit Freunden, die mittlerweile von einer komplett negativen Grundstimmung durchzogen sind. Da ist hier wieder etwas bei der lokalen Behörde ineffizient geregelt, da hat die Regierung da wieder einen schlechten Job gemacht - und überhaupt gibt es „da oben“ doch überhaupt niemanden mehr, der uns kompetent führen kann. Ganz schnell rutsche ich dann in die Rolle des Verteidigers und plädiere für ein wenig mehr Optimismus.
Wollen wir alle unser Leben jetzt auf „Null Bock“ stellen?
Ausgerechnet in eines dieser Gespräche nach dem gemeinsamen Sport platzte die Nachricht, dass die Ampel-Regierung zerbrochen ist. Da gingen mir natürlich die Argumente aus - und wir mussten fast schon wieder grinsen. Kritik gehört dazu, das will ich - zumal als Journalist - ja überhaupt nicht bestreiten. Über was habe ich mich hier nicht schon alles mokiert, unter anderem über unsere lahmende Bürokratie. Aber ich bilde mir zumindest ein, dass ich mich über Fortschritte noch freuen kann. Seien es die unkompliziertere Termin-Buchung beim Rathaus oder die Rezeptbestellung beim Arzt, die endlich verlässlich online funktionieren.
Ausruhen dürfen wir uns auch im Altkreis Halle in der aktuellen Krise nicht, das haben die jüngsten Nachrichten der Automobilzulieferer Jtekt aus Halle und Schaeffler aus Steinhagen oder von der Druckerei Kolbe aus Versmold gezeigt. Aber das Ganze darf nicht ins Destruktive wechseln: in eine generelle Land-unter-Stimmung, die zu Fatalismus und Lähmung führt.
Denn was kommt dabei raus? Unfug wie die „Null-Bock-Tage“. Es passt ins Bild, dass wir Medien in diesen Tagen über einen solchen Begriff diskutieren. Manche Großunternehmen führen solche Tage ein, an denen ihre Angestellten zu Hause bleiben dürfen, wenn sie sich nicht nach Arbeit fühlen. Null Bock - diese Haltung darf nicht zu vorherrschenden in unserem Land, aber auch in unserem Altkreis werden.
Man muss auch mal über sich selbst lachen
Aber wo kommt er denn her, der Anlass zum Optimismus - in so einer dunklen Woche? Die USA sind zerrissen, frustriert, gespalten und ihre Einwohner miteinander unversöhnlich. Da reden die Lager nicht mehr konstruktiv miteinander. Und das Volk wählt sich einen Radikalen zum vermeintlichen Retter des Wohlstandes. Und parallel zerlegt sich unsere deutsche Regierung im Streit auf offener Bühne. Wir sind also nur noch wenig besser, da liegt „Null Bock“ schon nahe, angesichts dieses Scherbenhaufens vom 6. November.
Wie wohltuend ist es da doch, mit einem positiven, politisch engagierten Menschen aus der Region zu sprechen. Ich habe vor einigen Tagen Hermann Ludewig getroffen - Ratsmitglied aus Borgholzhausen und ausgerechnet FDP-Mann. Beim Gespräch über seinen politischen Abschied ging es zwar auch darum, dass er die liberalen Ideale vertritt. Vor allem war ihm aber eines wichtig: anderen zuzuhören und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Zur Not vielleicht auch mal über sich lachen.
Den Ausgleich, das Positive wünscht man auch den anstehenden Bürgermeister-Wahlkämpfen in unseren Kommunen. In Borgholzhausen ging es hingegen gleich mal mit einer kleinen Schlammschlacht los. Über all den Warnungen und gegenseitigen Angriffen sollten alle Beteiligten nicht den konstruktiven Blick in die Zukunft vergessen. Wie hat es der junge Vater gezeigt: Es gibt auch eine Menge Dinge, für die wir dankbar sein können. Und außerdem: Wenn wir uns ständig schlechtreden, dann glauben wir es irgendwann noch ...