Große Projekte, großer Druck: Stadt Halle muss sich „extrem“ verschulden

Halle. Kämmerer Björn Hüllbrock ist ein Mann der Zahlen, alles andere wäre als Finanzchef der Stadt Halle auch fahrlässig. Und doch bemüht er sich jedes Jahr, seiner Präsentation zum Haushaltsplan einen unterhaltsamen Anstrich zu verleihen. Bilder sollen die Zahlenkolonnen auflockern, seine Ausführungen hangeln sich an einer Geschichte entlang. Diesmal hat sich Hüllbrock für die Metapher des &bdquo;gallischen Dorfs“ entschieden und die KI genutzt: Und so werden seine Aussagen mit farbenprächtigen Bildern im Stil von Asterix und Obelix untermauert. Die Botschaft ist klar: Noch geht es Halle - als gallischem Dorf in rauer Umgebung - wirtschaftlich gut. Doch zahlreiche Mahnungen des Zahlenexperten und von Bürgermeister Thomas Tappe folgen sogleich. Das macht Mut Tappe ist bemüht, das Haushaltsgespräch mit einer optimistischen Botschaft zu beginnen. &bdquo;Die Gemeindeprüfungsanstalt hat unsere Haushaltssituation untersucht, und dabei haben wir sehr gut abgeschnitten.“ Noch sei Halle &bdquo;ein großer Fels in der Brandung, die aber durchaus da ist“, so der Bürgermeister. &bdquo;Das haben wir unserer maßvollen und vorausschauenden Haushaltspolitik zu verdanken.“ Dann biegt der Verwaltungschef knapp ein Jahr vor der Kommunalwahl ein wenig ins Politische ab: &bdquo;Es gab übermäßige Forderungen, zum Beispiel nach dem Ausbau der Alleestraße. Das konnte letztlich nur dank der Bürgerinnen und Bürger verhindert werden, die einen maßvollen Umgang mit den Steuergeldern“ wollen. Umbau der Stadt geht voran Dank einer Verlängerung der ISEK-Fördermittel befinde sich die Stadt bei der Neugestaltung des Zentrums jetzt voll auf Kurs. &bdquo;Wir halten den Zeitplan ein. Im Bereich Kirchplatz und Remise sind Maßnahmen bereits umgesetzt worden, 2025 soll die Rosenstraße folgen - hier wollen wir den Bauzeitraum noch reduzieren. Und 2026 geht es dann mit dem nächsten Abschnitt der Langen Straße weiter“, so Tappe. Heißes Eisen Grundsteuer Die Grundsteuerreform und ihre konkrete Umsetzung hat den Kämmerern landauf, landab über Monate Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Und viele Grundeigentümer sind ebenso lange besorgt, welche &bdquo;Horrorbescheide“ da künftig auf sie zukommen könnten. Die Stadt Halle war im Zwiespalt zwischen eigenen Spielräumen bei der Gestaltung und rechtlichen Unsicherheiten. &bdquo;Wir haben uns entschlossen, sehr maßvoll mit dem Thema umzugehen“, berichtet Thomas Tappe. Heißt im Klartext: Die Stadt setzt den Hebesatz für privaten und gewerblichen Grundbesitz einheitlich auf 520 Prozentpunkte fest. Für den klassischen Musterhaushalt (vier Personen) ergeben sich im Durchschnitt damit keine Mehrbelastungen. Allerdings bedeutet das auch, dass Halle auf rund 800.000 Euro der bisher 4,8 Millionen Euro Grundsteuereinnahmen verzichtet. &bdquo;Wir können uns diesen Schritt nur einmalig leisten“, betont Björn Hüllbrock. Wenn Rechtssicherheit herrscht, wird die Stadt die Hebesätze 2026 darum erhöhen. Das zahlen die Bürger Anders als bei der Grundsteuer muss die Verwaltung bei den Schmutzwasserabgaben deutlich erhöhen: von 1,80 auf 2,80 Euro pro Kubikmeter. &bdquo;Da müssen wir eine Unterdeckung ausgleichen“, erklärt Björn Hüllbrock. Ein Vier-Personen-Haushalt mit einer Abwassermenge von 164 Kubikmetern jährlich zahlt künftig 459,20 statt 295,20 Euro im Jahr - eine monatliche Mehrbelastung von 13,67 Euro. Die Gebühr für Niederschlagswasser bleibt konstant bei 70 Cent pro Kubikmeter. Die Abgaben für eine Restmülltonne (80 Liter, ein Mal monatlich, 105,60 Euro) und den Kompost (80 Liter, 64 Euro) werden ebenso konstant gehalten. Die Straßenreinigung wird weiterhin mit 92 Cent pro Straßenmeter angesetzt. Für den Musterhaushalt würden an Grundbesitzabgaben folglich künftig 1.152,65 statt 988,65 Euro jährlich fällig - verursacht allein durch die Steigerung beim Abwasser. 50 Millionen Euro Kredite nötig Dass die Stadt überhaupt noch Spielraum hat, verdankt sie einem Jahr 2024, das wieder einmal deutlich besser gelaufen ist als erwartet. So hatte Halle mit gut 26,6 Millionen Euro Gewerbesteuer-Einnahmen kalkuliert, wird aber wohl ähnlich wie 2023 rund 35 Millionen einnehmen. Zwar bezeichnet Björn Hüllbrock die Wirtschafts- und Steuerkraft Halles gemäß der gallischen Metapher als &bdquo;Zaubertrank“, doch sei der auch dringend nötig. Thomas Tappe relativiert zudem: &bdquo;Das ist erfreulich, aber in Zukunft nicht zu erwarten. Rahmenbedingungen aus Vorjahren und einmalige Sondereffekte spielen dabei eine Rolle.“ Immerhin wird Halle aufgrund dieser schönen Überraschung wohl nicht das kalkulierte Defizit von gut fünf Millionen Euro einfahren, sondern &bdquo;ein Plus“, wie der Kämmerer verrät. Dennoch kalkuliert er für 2025 wieder mit einem Minus von 3,3 Millionen Euro und erwartet bis 2028 kumulierte Defizite in Höhe von gut 25 Millionen Euro. Zwar hat die Stadt aktuell gut 40 Millionen Euro auf der hohen Kante, doch wird diese Liquidität fortwährend aufgezehrt. &bdquo;Das ist besorgniserregend. Ich habe in den Planjahren bis Ende 2028 Kreditaufnahmen von über 50 Millionen Euro eingeplant“, formulierte der Kämmerer in seiner Haushaltsrede. Und bringt es beim Pressegespräch auf den Punkt: &bdquo;Wir planen, uns extrem zu verschulden.“ Kreis und Land fordern stetig wachsenden Anteil Mutig hat Halles Finanzchef für 2025 Gewerbesteuereinnahmen von 30 Millionen Euro angesetzt - auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein optimistischer Ansatz. Doch etwas Mut war nötig, um die Enden des Haushalts zusammenzubekommen. Und das für eine vergleichsweise &bdquo;reiche Stadt“ wie Halle. Der Kämmerer erläutert die vielfältigen Zwänge: &bdquo;Der Landschaftsverband und der Kreis haben hohen Bedarf, und wir müssen als wirtschaftsstarke Kommune einen großen Anteil des Kuchens übernehmen.“ Im Resultat bedeutet das für 2025 eine Kreisumlage von netto gut 34 Millionen Euro. Thomas Tappe will ausdrücklich keine Schelte des Kreises betreiben, der wiederum die Aufgaben des Landschaftsverbandes mitfinanziert und ebenso wie Halle unter stark steigenden Personalkosten ächzt. Aber: &bdquo;Solche Steigerungen können in den Kommunen zukünftig kaum noch bewältigt und zudem in keiner Weise in dieser Höhe eingespart werden.“ Und Björn Hüllbrock rechnet vor: &bdquo;Von zehn Millionen Steuereinnahmen bei uns gehen mittlerweile sechs direkt weg.“ Was Halle den Bürgern bieten kann Trotzdem kann die Stadt bis 2028 einige Projekte angehen. Der Umbau der Kläranlage soll ab dem nächsten Jahr realisiert werden - allein dieses Projekt ist bis 2028 mit 40,5 Millionen Euro veranschlagt. Und dann noch nicht abgeschlossen. Gut fünf Millionen Euro gehen als Konzernfinanzierung und Investitionszuschuss an das Klinikum Bielefeld und damit auch an das Haller Krankenhaus. Mit 2,83 Millionen Euro ist der Anbau der OGS der Grundschule Hörste veranschlagt, mit 2,65 Millionen die Umgestaltung der Langen Straße, mit 2,3 Millionen Euro der Neubau des Jugendzentrums. Und damit ist die Liste noch lange nicht komplett. Was auch einige Lasten erklärt. &bdquo;Wir haben in den vergangenen Jahren nicht unbedingt Fehler gemacht - aber unsere Investitionsquote war und ist zu hoch. Wir haben Dinge zu schnell umgesetzt“, erklärt Björn Hüllbrock. Was nicht mehr geht &bdquo;Für zusätzliche Investitionen ist aus unserer Sicht kein Raum“, betont Thomas Tappe, um dann noch einmal in den Politiker-Modus zu wechseln: &bdquo;Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Verwaltung aufgrund des bevorstehenden Wahljahres wieder vermehrt in der Verteidigungsposition gegenüber zusätzlichen politischen Wünschen finanzieller Art befinden wird.“ Das will der Bürgermeister allerdings verhindern, denn &bdquo;sonst wird aus dem Fels in der Brandung schnell ein schmelzender Eisberg“. So sehr er sich persönlich also ein Freibad wünsche, erklärt Tappe, &bdquo;ohne einen Investor werden wir so etwas nicht realisieren können“. Und auch beim geplanten Stadtpark verfüge man zwar jetzt über das Grundstück und könne in die Planungen einsteigen - &bdquo;aber wir werden das Ganze nicht mit Priorität 1 umsetzen können“, so Björn Hüllbrock. &bdquo;Beim OGS-Anbau in Hörste gehen wir über den notwendigen Mindeststandard nicht hinaus.“ Die Botschaft auch des Bürgermeisters: Für Leuchtturmprojekte wie die Grundschule Gartnisch sei vorerst kein Spielraum mehr. Worauf der Bürgermeister stolz ist In Bokel investiert die Stadt in ein neues Gemeindehaus, die Kita soll ebenfalls ein Investor errichten - &bdquo;da gibt es Interessenten“, betont Thomas Tappe. &bdquo;Wir finden in vielen Bereichen kreative Lösungen und setzen - siehe ISEK, Wohnungsbau Masch und Digitalisierung - auch viel um.“ Im gallischen Dorf sind sie bekanntermaßen stolz auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit - die hat sich Halle ebenfalls bewahrt. Zumindest noch. Diesen Handlungsspielraum zu verteidigen, wird noch viele Kräfte kosten.

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