Rückschlag

Ende der Palliativpflege: Das sind die Reaktionen im Altkreis Halle

Die Ankündigung der Diakonie, ihre vorbildliche Sterbebegleitung einzustellen, bewegt die Menschen im Altkreis Halle sehr. Das „Haller Kreisblatt“ erreichten zahlreiche Leserbriefe.

Die Diakonie in Halle hat bisher eine vorbildliche Sterbebegleitung angeboten. | © Verwendung weltweit

28.01.2024 | 28.01.2024, 11:15

Halle. Die Debatte um die Palliativversorgung durch die Diakonie hat nach der Berichterstattung des „Haller Kreisblatts“ hohe Wellen geschlagen. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen Tagen ihr Unverständnis geäußert und Maßnahmen gefordert, die Situation schnell zu verbessern.

Die Stadtverwaltung will dazu ihren Beitrag leisten, indem sie am 6. März alle mit der Pflege betrauten Institutionen an einen Runden Tisch bittet. Bereits am Dienstag, 30. Januar, findet der offene Gesprächskreis für pflegende Angehörige statt, bei dem die aktuelle Situation in der Palliativversorgung mit Experten und Betroffenen diskutiert werden kann.

„Wir laden alle Menschen, die entweder unmittelbar betroffen sind, oder denen das Thema am Herzen liegt, zum nächsten Gesprächskreis ein“, sagt Sophie Balzarek von der städtischen Pflegeberatung. Der Gesprächskreis für pflegende Angehörige findet monatlich im Cafe des Bürgerzentrum Remise statt. Beginn ist am Dienstag um 20 Uhr. Der nächste Termin ist am 27. Februar.

Auf die Nachricht, dass die Diakonie Halle ihr so wichtiges Angebot der Palliativpflege einstellen wird, erreichten die Redaktion des „Haller Kreisblattes“ zahlreiche Leserbriefe und Meinungsäußerungen:

„Keine Kosten-Nutzen-Rechnung“

„Die meisten Menschen sind in ihrer letzten Lebensphase auf Betreuung angewiesen, also auf Pflege, Zuwendung, medizinische und medikamentöse Erleichterung von Unruhe – und Schmerzzuständen. Dazu gehört ein solides Fachwissen, das das Palliativteam der Diakonie in seine Arbeit eingebracht hat.

Die personelle und kräftemäßige Überlastung der Angestellten zeigt den großen Bedarf für diese Hilfsleistungen. Sterbende und ihre Angehörigen sind in einer schwer erträglichen Grenzsituation des Lebens und sollten jede mögliche Unterstützung erfahren – möglichst ohne eine belastende Einweisung ins Krankenhaus. Daher ist es für mich unverständlich, warum eine palliative Versorgung zu Hause nicht mehr vorgehalten werden kann.

Dieser Dienst am Menschen ist eine zentrale Aufgabe der Kirchen und kann nicht einer Kosten-Nutzen-Berechnung unterworfen werden. Soziale Aufgaben verbieten den Gedanken der Gewinnmaximierung. Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen des Kirchenkreises und der Diakonie diese Entscheidung noch einmal überdenken und sich auf die Suche nach kreativen Lösungen machen.“

Katrin Boidol, Haferstraße 27, 33790 Halle/Westfalen

„Vertrösten durch Schein-Alternativen“

„Vielen Dank für Ihren ausführlichen Artikel über das Palliativteam der Diakonie!Es liegt schon Jahre zurück, dass wir meinen Vater in seinen letzten Wochen bei uns zu Hause aufgenommen haben. Aber ich denke immer noch voll Dankbarkeit an die Unterstützung durch dieses Team zurück, die es meinem Vater ermöglicht hat, auch diesen seinen letzten Lebensabschnitt in Würde zu leben.Bis jetzt hatte für mich gerade in Situationen, in denen der Staat seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommt, die kirchliche Diakonie, die auch durch Spenden unterstützt wird, ihre absolute Notwendigkeit. Ich bin deshalb entsetzt, dass der Vorstand der Diakonie in Halle nun sang- und klanglos die Arbeit des Palliativteams beendet und durch Schein-Alternativen vertröstet. Die ökonomischen Probleme, die dahinter stehen, kann ich gut nachvollziehen.

Aber ich kann nicht nachvollziehen, dass für einen Bereich, der wie kaum ein anderer die Aufgabe der Diakonie zeigt, nicht gekämpft wird. Die Stadt Halle hat mit ihrem Einsatz für das Krankenhaus gezeigt, wie das Kämpfen für eine wichtige Sache geht. Für mich als Außenstehenden stellt sich nach der Lektüre Ihres Berichts die Frage, ob die Verantwortlichen der Haller Diakonie begriffen haben, wofür Diakonie steht.“

Dr. med. Frank Beier, 33824 Werther

„Umstrukturierung Schritt in die falsche Richtung“

„Anfang dieses Jahres ist unsere Mutter gestorben. Zu Hause. Diesen letzten Weg so mit ihr zu gehen, wie wir es gemacht haben, war in den letzten Tagen nur mit Unterstützung des Palliativ-Pflegedienstes der Diakoniestation Halle möglich. In Gesprächen stellen wir fest, dass es Menschen gibt, die diesen wertvollen Dienst gar nicht kennen. Oder vielleicht Vorbehalte haben gegen das Wort „Palliativ“, weil es hier um den Tod geht, den Abschied von einem lieben Menschen. Und es gibt diejenigen, die unsere Erfahrungen mit dem Palliativdienst teilen. Die erfahren haben, wie wohltuend es ist, jemanden zu haben, den man jederzeit anrufen kann, wenn es dem Angehörigen schlecht geht und man die Situation alleine nicht mehr bewältigen kann. Selbst am Heiligabend um 22 Uhr hört man die Palliativ-Schwester mit ruhiger Stimme am Telefon sagen: „Ich komme.“ Es geht bei diesem Dienst nicht nur um den Kranken, den Sterbenden. Auch die Angehörigen werden mitgenommen, werden in der schweren Situation begleitet. Das ist so wertvoll in dieser herausfordernden Situation!Nun soll dieser Dienst wegfallen oder zumindest umstrukturiert werden. Ob das zielführend ist, erschließt sich uns nicht. Wir haben als Angehörige nur wahrgenommen, wie knapp die Personaldecke im Bereich der Pflege ist. Nicht nur bei der Diakoniestation oder im Palliativ-Pflegedienst. Als Alternative zur Pflege zu Hause einen Platz im Pflegeheim zu finden – sei es nun auf Dauer oder für kurze Zeit – erscheint nahezu aussichtslos. Da gilt es doch, die häusliche Pflege zu stärken und Wege zu finden, dass es möglich bleibt, den lieben Menschen zu Hause zu pflegen. Mit entsprechender Unterstützung. Bis zum letzten Tag. Es gilt darüber zu sprechen, was der Palliativ-Pflegedienst, so wie wir ihn im Kirchenkreis Halle haben, für eine wunderbare und wertvolle Einrichtung ist. Die Kompetenz und das Einfühlungsvermögen der Mitarbeitenden für diese letzte Strecke des Lebenswegs ist unverzichtbar. Es ist bedauerlich, dass hier die Finanzierung so im Vordergrund steht. Die Auffassung, dass die Umstrukturierung des Palliativ-Pflegedienstes ein Schritt in die völlig falsche Richtung ist, teilen wir.Danke an alle, die es uns ermöglicht haben, den Weg mit unserer Mutter so zu Ende zu gehen, wie wir es gemacht haben.“

Familie Vollmer, 33790 Halle

„Engel auf Rädern“

„Im Januar 2022 ist mein Mann verstorben. Aufgrund seiner Parkinsonerkrankung wäre es für mich hilfreich gewesen, wenn ich ab November 2021 bei der morgendlichen Pflege Hilfe durch einen Pflegedienst bekommen hätte. Doch aufgrund der Coronasituation konnte ich keinen Pflegedienst bekommen. Zwischen den Feiertagen verschlechterte sich der Zustand meines Mannes so massiv, dass er am Silvestertag ins Krankenhaus hätte kommen müssen. Am 1. Januar 2022 kamen die „Engel auf Rädern“ dreimal täglich und haben es mir und meiner Tochter ermöglicht, dass der größte Wunsch meines Mannes, zu Hause im Kreis der Familie zu sterben, erfüllt werden konnte. Die liebevolle Betreuung, die tröstenden und hilfreichen Worte, die wir von den Pflegekräften bekommen haben, haben meiner Tochter die Angst vor dem Tod ihres Vaters genommen. All das hätte ein Krankenhaus nicht leisten können.“

Ina Loesenbeck, 33824 Werther

Schwoch fordert neue Strukturen

„Die Versorgung und Betreuung von schwerst kranken und sterbenden Menschen genießt im Altkreis Halle einen hohen Stellenwert“, betont Schwoch. „Das System aus professioneller Palliativpflege – bislang geleistet von der Diakonie im Kirchenkreis Halle – und engmaschiger psychosozialer Betreuung durch den Hospizverbund am Teutoburger Wald hat weit über die Kreisgrenzen hinweg Beachtung und Anerkennung gefunden.“ Nun habe man im Verbund „die Sorge, dass das bisherige Niveau der Betreuung todkranker Menschen in unserer Region nicht mehr länger aufrechterhalten werden kann. Diese Folge einer betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Entscheidung bedauern wir zutiefst“.

Es stehe zu befürchten, dass mit dem Ausscheiden langjähriger erfahrener Mitarbeitender wertvolle Fachkompetenz in der Palliativpflege verloren gehe. „Zudem müssen betroffene Familien damit rechnen, dass sie bei der Sterbebegleitung künftig nicht mehr in dem Maße auf professionelle Unterstützung wie bisher vertrauen können“, so Schwoch.

„Aus unserer Sicht ist in der Palliativpflege jetzt aber vor allem der Gesetzgeber gefragt. Er muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass todkranke Menschen überall und zu jeder Zeit auf eine professionelle Sterbebegleitung vertrauen dürfen. Zum Aufbau und zur Finanzierung eines entsprechenden Systems sollten aus unserer Sicht umgehend Gespräche und Verhandlungen mit den Kostenträgern geführt werden.“

Dennis Schwoch, Erster Vorsitzender des Hospizverbunds am Teutoburger Wald

-----------------------------------------------------

Leserbriefe geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Wir behalten uns vor, Zuschriften zu kürzen.