
Sie können sich bestimmt noch an den Fall Nelli Graf erinnern. Jenen Mordfall aus dem Jahr 2011, der bis heute nicht gelöst wurde. Was mich bei solchen Geschichten immer mal wieder kirre macht, ist die Tatsache, dass es mindestens zwei Menschen gibt, die die Wahrheit über die Todesumstände ganz genau kennen: Das Opfer, das aber leider nicht mehr reden kann. Und der Täter, der nicht reden will - während ganze Ermittlerteams auf Spurensuche sind, Zeugen befragen, Puzzleteile zusammenfügen.
Aktuell haben wir zwei andere Fälle, zwei neue Todesfälle, die beim "Haller Kreisblatt" fast jeden Tag Thema sind und uns auf unterschiedliche Weise beschäftigen. Der eine davon ist Marion S. Auch die 68-Jährige wird noch erlebt haben, wer ihrem Leben ein Ende setzt. Nur, dass sie es niemandem mehr erzählen kann. Ebenso gibt es mindestens eine weitere Person, die um den Hergang des Kapitalverbrechens weiß - weil sie es begangen hat. Aktuell wird der Ehemann von Marion S. beschuldigt, seine Frau getötet zu haben; deshalb befindet er sich auch in Untersuchungshaft. Doch sein Verteidiger Sascha Haring hat schon angekündigt, bald Haftbeschwerde einzulegen. Nicht nur, dass sein Mandant die Vorwürfe bestreitet. Haring zufolge ist die Spurenlage obendrein zu dünn, um dem Senior den Mord nachzuweisen. Da darf man zunächst gespannt sein, wie das Gericht entscheidet. Und wie es dann weitergeht. Der Beschuldigte weiß, ob er die Wahrheit sagt - wir wissen es nicht. Und spielen auch hier in der Redaktion immer mal wieder mögliche Tatabläufe durch.

Kampfspuren soll es im Elternhaus von Marion S. in Steinhagen, also dort, wo sie zuletzt am Mittag des 5. Juli lebend gesehen wurde, ja nicht geben. Wer soll dort am hellichten Tag hingefahren sein, sie vielleicht dennoch dort getötet, dann noch unbemerkt in ein Auto gelegt und nach Kölkebeck gebracht haben? Oder ist sie noch lebend zu ihrem Mörder ins Auto gestiegen, und die beiden sind zusammen nach Kölkebeck gefahren? Aber wie könnte es dann weitergegangen sein? Zum Leichenfundort führt keine Straße. Gingen die beiden dort erst noch zu Fuß zu der Lichtung in der Tannenschonung? Oder wurde Marion S. an anderer Stelle getötet und dann in das kleine Wäldchen gebracht? Aber auch dann stellen sich Fragen.
Wer konnte so präzise unter Zeitdruck einen Mord begehen?
Wie könnte eine Leiche unbemerkt dort hingebracht und in der Erde vergraben werden? Tagsüber wäre die Gefahr zu groß, gesehen zu werden. Nachts ist es dort so finster, dass man die Hand vor Augen nicht sehen kann. Und mehr noch: Schafft es ein Mensch, eine Leiche zu Fuß über eine längere Distanz zu tragen? Und wer konnte so präzise unter dem Zeitdruck agieren? Schließlich wurde Marion S. bereits am Nachmittag als vermisst gemeldet, und die Polizei startete umgehend Suchaktionen. Fragen über Fragen. Wenn man die Tat schon nicht mehr rückgängig machen kann, so ist jetzt nur noch eines wichtig: Derjenige, der für den Tod von Marion S. verantwortlich ist, muss sicher überführt werden. Ein weiterer ungeklärter Mordfall würde die Bürgerinnen und Bürger hier endgültig verunsichern.