Der Fall Marion S. weckt Erinnerungen: Ähnliche Verbrechen im Altkreis Halle

Steinhagen/Halle. Seit dem 5. Juli wurde die 68-jährige Marion S. vermisst. Morgens noch soll sie an ihrem leer stehenden Elternhaus in der Erfurter Straße in Steinhagen Rasen gemäht haben. Gegen Mittag verlor sich ihre Spur. Zu dem Zeitpunkt war sie mit ihrem neuen Lebensgefährten verabredet, doch traf er sie dort nicht an. Als sie auch Stunden später nirgendwo auftauchte und ebenso wenig erreichbar war, schaltete der Mann die Polizei ein. Weil Ermittler und Menschen aus dem Umfeld der Frau aus unterschiedlichen Gründen sowohl einen Suizid als auch ein spontanes Verschwinden für sehr unwahrscheinlich hielten, rückte die Möglichkeit eines Kapitalverbrechens in den Fokus. Noch am Abend des 5. Juli wurden das Haus und ihr Auto, das unverschlossen mitsamt ihres Portemonnaies in der Einfahrt vor der Tür parkte, durchsucht. Ebenso ihre eigene Wohnung, gleich mehrfach, sowie das Anwesen ihres Mannes in Halle-Kölkebeck, mit dem sie in Scheidung lebte. Die Ermittler gründeten eine Sonderkommission; sie trägt den Namen "Erfurt". Doch obwohl in den nächsten Tagen hunderte Polizisten, Leichenspürhunde und sogar Taucher im Einsatz waren - erst in Steinhagen, dann vornehmlich in ihrer alten Heimat Kölkebeck - gab es zunächst keine Hinweise, was mit Marion S. geschehen sein könnte. Bis zum vergangenen Sonntag. Dort machten Spaziergänger in Kölkebeck verdächtige Beobachtungen und informierten die Polizei - die kurze Zeit später eine Frauenleiche fand. Am Dienstagmittag kam die offizielle Bestätigung, dass es sich bei der Leiche um Marion S. handelt. Sie wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Aus der Sonderkommission ist in dem Moment eine Mordkommission geworden. Und die geht unter Leitung des Ersten Kriminalhauptkommissars Markus Mertens der Frage nach, wer für den gewaltsamen Tod der Frau verantwortlich ist. Waren der oder die Täter Fremde? Oder kannte Marion S. die Person, die ihr das Leben genommen hat? Wo ist die Tat geschehen? Wie traf sie auf diese Person(en)? Hat sie das Haus lebend verlassen? Und hat ihr Ehemann etwas mit der Tat zu tun, den Polizei und Staatsanwaltschaft als Beschuldigten führen? Ähnliche Fragen stellen sich die Ermittler in zwei anderen Fällen bis heute: Bei Nelli Graf, die 2011 in Halle brutal erstochen wurde, und bei Susanne Nieter, die 2001 in Steinhagen mit einem Dachziegel erschlagen wurde. Im Mordfall Gabriele Obst aus Halle, die 2013 erschossen wurde, verurteilte das Landgericht Bielefeld unterdessen deren Ehemann wegen Totschlags. Der Mord an Martha Riewe aus Steinhagen, die 1985 totgeprügelt wurde, konnte 20 Jahre nach der Tat durch einen DNA-Abgleich aufgeklärt werden. Der ungelöste Fall Nelli Graf Es war am 14. Oktober 2011, als Nelli Graf als vermisst gemeldet wurde. Zwei Tage später fanden Pilzsucher ihr Fahrrad in einem Wäldchen an der Haller Hachhowe. Am 9. Februar 2012 entdeckte ein Landwirt in Kölkebeck schließlich ihre Leiche. Die sterblichen Überreste der damals 46-jährigen Mutter dreier Kinder lagen in einer Senke zwischen Feld und Waldstück am Kölkenweg versteckt. Augen und Mund waren mit Panzerband verklebt, die Hände mit Kabelbindern gefesselt, der Körper von zahlreichen Stichverletzungen übersät. Der oder die Täter wurde(n) bis heute nicht gefunden, obwohl Kriminalhauptkommissar Ralf Östermann und seine Mordkommission "Ahorn" ebenso wie die zuständige Staatsanwaltschaft Bielefeld damals über Monate intensiv ermittelten und dabei Hunderte von Spuren verfolgten. Sogar Massengentests wurden initiiert und Rudi Cerne nahm den Fall in seiner Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" auf – alles ohne Erfolg. Das ungeklärte Tötungsdelikt Nelli Graf wird mittlerweile durch das Fachkommissariat zur Bekämpfung von Tötungsdelikten des Polizeipräsidiums Bielefeld und der Operativen Fallanalyse (OFA) des LKA Nordrhein-Westfalen einer Neubetrachtung unterzogen. Einen konkreten Ermittlungserfolg haben die Beamten bislang allerdings noch nicht zu vermelden, erklärte Fabian Rickel, Sprecher des Polizeipräsidiums Bielefeld, in dieser Woche auf Anfrage des "Haller Kreisblatts". Der ungelöste Mord an Susanne Nieter Am 30. April jährte sich der Mord an Susanne Nieter zum 22. Mal. Im Frühling 2001 spielte sich das bis heute ungeklärte Drama am Waldrand in Amshausen ab. Die Fakten: Gemeinsam mit ihrem Ex-Mann räumte Susanne Nieter einen Kotten am Sürenbrink aus. Bis zur Scheidung im Jahr 1996 hatte das Paar gemeinsam dort gelebt. Nach der Trennung war der Mann ausgezogen, später dann auch Susanne Nieter, die als Lehrerin in Herford arbeitete. Ihre neue Wohnung lag in Enger. Nun räumte das frühere Paar die letzten gemeinsamen Stücke aus dem Kotten am Rand des Teutoburger Waldes. Am späten Montagvormittag machte sich der 40-jährige Mann mit einem mit Sperrmüll beladenen Wagen auf den Weg zur Deponie in Halle-Künsebeck. Als er um 11.35 Uhr wieder am Haus eintraf, fand er nach eigener Aussage seine Ex-Frau blutüberströmt am Boden vor. Unverzüglich rief er den Notarzt, der die Frau, die mit schwersten Kopfverletzungen im Koma lag, in die Uni-Klinik nach Münster brachte. Vier Tage nach dem Überfall erlag sie dort ihren schweren Verletzungen. Die Tatwaffe war schnell gefunden: Mit einem Dachziegel, wie sie zu dutzendfach am Kotten lagerten, soll der unbekannte Täter zugeschlagen haben. Nach Einschätzung des damaligen Staatsanwaltes Hans-Dieter Heidbrede war der Schlag so kraftvoll, dass von einer Tötungsabsicht ausgegangen werden muss. Über Ermittlungen gegen den Ex-Mann, auf dessen Schilderungen alles aufbaute, ist nichts bekannt. Wohl aber wurden in den folgenden Wochen zwei Zeugen gesucht, die sich in der Nähe im Wald aufgehalten haben sollen. Einer der beiden soll mit einem Motorroller unterwegs gewesen sein. Auch dieser Mordfall ist längst zu einem Cold Case geworden. Bis heute haben die Ermittler allerdings - ähnlich wie bei Nelli Graf - keine Spuren entdeckt, die auf den Täter hinweisen. Martha Riewe: Täter wird 20 Jahre später entdeckt Als Martha Riewe am Nachmittag des 14. Septembers 1985 in ihrem Anwesen am Bußberg in Steinhagen gefunden wurde, lag sie auf dem Fußboden vor ihrem Bett. Der Kopf ruhte auf einem Kissen, der Körper, bekleidet mit Nachtwäsche, zugedeckt mit einen Oberbett – die Frau war tot. Staatsanwalt Hans Dieter Heidbrede war schon damals ein Strafverfolger mit Erfahrungen, als er sagte: &bdquo;Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der so bearbeitet worden ist." Offenbar wurde die alleinstehende Frau von ihrem Mörder über einen längeren Zeitraum geprügelt. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die 63-Jährige bereits zwei Tage zuvor gestorben ist. Bis jener Mann überführt werden konnte, der sie so grausam zugerichtet hat, sollten allerdings fast weitere 20 Jahre vergehen. Was die Ermittlungen so schwierig machte: Martha Riewe lebte sehr zurückgezogen, übrigens ganz in der Nähe des Kottens, in dem Susanne Nieter wohnte, und hatte nur mit wenigen Menschen engeren Kontakt. Sie ernährte sich von dem, was auf ihrem Land wuchs. Ihren Lebensunterhalt bestritt die unscheinbare Frau derweil von Pacht- und Mieteinnahmen ihres &bdquo;beachtlichen Immobilienbesitzes", wie es damals hieß. Luxus war für Martha Riewe dennoch ein Fremdwort, vielmehr führte sie eher ein karges Dasein und für die Beamten war es daher völlig unersichtlich, wie jemand ein größeres Vermögen bei der Frau vermuten konnte. Weil das Haus an einem Wanderweg liegt, wurden Zeugen gesucht. Dabei gab es nicht mal ein neueres Foto der Getöteten: In den letzten zehn Jahren ihres Lebens hatte sie sich keinen neuen Pass mehr ausstellen lassen, auch einen aktuellen Personalausweis besaß Martha Riewe nicht. Als Polizisten den Wald rund um das Anwesen durchkämmten, fanden sie ein beiges Herrensakko der Größe 48, eine rote Kindersonnenbrille und eine Plättchenpistole. Dieser Spielzeugrevolver war aus Kunststoff und in jedem Geschäft für Spielwaren erhältlich. Wieder rief die Polizei Zeugen auf, sich zu melden – doch der entscheidende Durchbruch gelang auch mit Hilfe der Fundstücke nicht. Vorerst. Als die Hoffnung fast geschwunden war, den Mord an der 63-Jährigen jemals aufzuklären, geschah das: 2001 wurde ein Mann, der bis zur Berufsunfähigkeit in der Fleischindustrie gearbeitet und unbehelligt mit Frau und zwei Kindern in Steinhagen gelebt hatte, als Drogenkurier überführt. Seine DNA wurde getestet. Und als die Ermittler etwas später mit Hilfe moderner Analysemethoden ungeklärte Tötungsdelikte neu aufrollten und diese DNA mit Ergebnissen aus der Datenbank abglichen, landeten sie den erhofften Treffer: Die Erbinformationsträger des Mannes befanden sich bereits dort! Es waren dieselben, die an einer Zigarettenkippe auf dem Grundstück von Martha Riewe sowie an einer Blutspur neben ihrer Leiche gefunden worden waren. Als es im Herbst 2005 zum Prozess vor dem Bielefelder Landgericht kam, gestand der Serbe die grausame Tat. Nachdem er beim Glücksspiel Schulden gemacht und davon gehört hatte, dass sich in dem Haus viel Geld befinden soll, wollte er sich so finanzielle Luft verschaffen. Mit vorgehaltener Spielzeugpistole, so sein Plan, wollte er die Rentnerin dazu bringen, ihm das Geldversteck zu verraten. Aber die Frau wehrte sich – und der Mann wurde vom Einbrecher zum Mörder. Das Urteil: lebenslängliche Haft. Im April 2017 wurde er nach Serbien abgeschoben. Der Mordfall Gabriele Obst Gabriele Obst war am Morgen des 16. April 2013 als vermisst gemeldet worden. Zehn Tage später entdeckte eine Joggerin die Leiche der Zeitungsbotin nach groß angelegten Suchaktionen in einer Mulde unterhalb des Kammweges an der Großen Egge. Auf der Toten lag das Schrotgewehr, mit dem ihr in den Kopf geschossen worden war. Im Gegensatz zum Fall Graf ermittelten die Behörden hier jedoch einen Täter, den sie für den gewaltsamen Tod der Mutter zweier erwachsener Kinder verantwortlich machten – ihren Ehemann. Im Oktober 2014 wurde der damals 74-Jährige vom Landgericht Bielefeld zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft wegen Totschlags an seiner 49-jährigen Ehefrau und unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt. Er bestritt die Tat bis zu seiner Freilassung.

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