
Halle. Der Mord an Nelli Graf hat für großes Entsetzen gesorgt - nicht nur in Halle. Auch wenn das Verbrechen bereits im Oktober 2011 geschah, fehlt vom Täter nach wie vor jede Spur.
Der mysteriöse Fall ist nicht nur Thema in einer Episode des neuen Podcasts "OstwestFälle", sondern auch von "Lokalzeit MordOrte" vor Kurzem noch einmal aufgearbeitet worden.
Ein Kamera-Team hat dazu den Fundort der ermordeten Hallerin besucht und HK-Redaktionsleiterin Nicole Donath als Zeitzeugin nach ihren Erinnerungen befragt. Das Recherche-Ergebnis sehen Sie in diesem Youtube-Video:
Noch mehr Einblicke in den Fall Nelli Graf
In unserem Podcast „OstwestFälle - dem True-Crime-Podcast der Neuen Westfälischen", an der auch das „Haller Kreisblatt" beteiligt ist, berichtet HK-Redaktionsleiterin Nicole Donath in der ersten Folge über ihre Recherchen und Erinnerungen in diesem Cold Case.
Der Fall Nelli Graf im Überblick:
- Am 14. Oktober 2011 verschwindet die damals 46-jährige Nelli Graf
- Am 9. Februar 2012 wird ihre Leiche in einer Senke an einem Waldstück im Haller Ortsteil Kölkebeck gefunden
- Trotz Massengentests und umfangreichen Ermittlungen konnte bis heute kein Täter gefunden werden
- Im Mai 2012 wird der Fall in der Sendung "Aktenzeichen XY...ungelöst" vorgestellt
- Der Mordfall liegt in der Datenbank "Cold Cases" des Landeskriminalamtes (LKA) Düsseldorf
Über das grausame Kapitalverbrechen haben wir immer wieder berichtet; seit dem Tag, als Nelli Graf plötzlich verschwand. Ihre Familie haben wir zuletzt vor einem Jahr besucht - im Oktober 2021, wo sich die Situation damals so darstellte:
Viktor Graf wohnt noch immer am Ahornweg. Fotos stehen in allen Zimmern. Eines zeigt ihn und seine Frau Nelli mit den drei Kindern an Weihnachten 2010, es ist das letzte gemeinsame Bild der Familie. Die Möbel hat der 57-Jährige in weiten Teilen ausgetauscht und auch alles umgestellt. „Irgendwie musst du ja weiterleben", sagt der Witwer. „Ein paar äußerliche Veränderungen helfen dabei."
Die dreifache Mutter wäre heute Oma
Sein jüngster Sohn lebt noch bei ihm im Haus. 14 war er und ging noch zur Schule, als seine Mutter Opfer eines Kapitalverbrechens wurde. Jetzt ist er erwachsen, Handwerker und hat berufliche Pläne. Die beiden älteren Kinder, Waldemar und Natali, sind längst ausgezogen und haben eigene Familien. Sie sind selbst Eltern von jeweils zwei Kindern. Viktor Graf ist heute vierfacher Großvater und stolz auf die Kleinen. Unbeschwert ist es dennoch nicht. „Je älter ich werde, umso mehr vermisse ich sie", sagt Waldemar Graf. „Andere können ihre Kinder zur Oma bringen. Das werden wir nie."
Als am 14. Oktober 2011, einem Freitag, ihr jüngster Sohn und die beiden erwachsenen Kinder am späten Mittag nach Hause kamen, war die Tür nicht verschlossen, in der Spüle lag Fleisch zum Auftauen – nur von der Mutter fehlte jede Spur. Offenbar war sie mit dem Fahrrad unterwegs, denn das stand nicht an seinem Platz. Indes, Schlüsselbund, Portemonnaie und Handy hatte sie nicht mitgenommen, all das lag auf dem Tisch. „Irgendwann bekam ich einen Anruf von ihrem Arbeitgeber. Meine Frau war nicht zu ihrer Schicht erschienen", erzählt Viktor Graf. Einen kurzen Augenblick, sagt er, hätte man gedacht, sie hätte den Dienstbeginn vielleicht vergessen. „Aber das hätte nicht zu ihr gepasst." Und auch nicht zu den Umständen.
Noch am selben Nachmittag starteten ihre Familie und die Freunde eine Suchaktion. „Wir sind überall rumgefahren", erinnert sich Waldemar Graf. „Bei Storck haben wir die ganzen Fahrradständer durchgeguckt, wir haben alles versucht, waren gefühlt überall." Ohne Erfolg. Sie suchten weiter, das ganze Wochenende über unermüdlich, hängten am Sonntag Plakate auf mit einem Bild. Der Titel: „Mama vermisst!!!"
Spurlos verschwunden: Fahrrad am Waldstück wirft Fragen auf

An diesem Sonntagnachmittag und damit zwei Tage nach ihrem Verschwinden, fanden Pilzsammler dann das Fahrrad von Nelli Graf in einem Wäldchen an der Hachhowe, etwa 500 Meter von ihrem Zuhause entfernt. „Was sie dort gemacht hat, warum sie dorthin gefahren ist, welchen Weg sie tatsächlich genommen hat – wir wissen es einfach nicht", sagt Waldemar Graf.
Des Montags wurde dann erstmals eine Hundertschaft hinzugezogen. Die Polizisten durchkämmten die Wälder, untersuchten in den nächsten Tagen die umliegenden Gewässer, während Kriminalbeamte des Polizeipräsidiums Befragungen im Umfeld der Vermissten anstellten. Alles Maßnahmen, die durch die Sonderkommission „Ahorn" unter Leitung von Kriminalhauptkommissar Ralf Östermann koordiniert wurden. Hinweise oder neue Erkenntnisse, die auf die Spur von Nelli Graf führten, gab es dennoch keine.
Die Hoffnung, sie dennoch lebend zu finden, gaben die Grafs nicht auf. „Wir haben weiter gesucht und gesucht und gesucht. Bis zu jenem Tag im Februar 2012", erinnert sich Waldemar Graf. Als am 9. Februar in dem Wäldchen in Kölkebeck eine Leiche gefunden wurde, kam eine Polizistin nach Hause zu den Grafs und berichtete davon. Noch war der Zusammenhang unklar. „An dem Nachmittag gab es ja noch keine Bestätigung", erinnert sich Viktor Graf, „aber natürlich stand es zu befürchten . . . "
Stichverletzungen und mit Kabelbindern gefesselt: Wer hat Nelli Graf so grausam ermordet?
Dann kam die grausame Gewissheit und das Suchen hatte ein Ende. Die Hoffnung auf ein gutes Ende des Dramas auch. Die sterblichen Überreste der damals 46-jährigen Mutter lagen in einer Senke zwischen Feld und Waldstück im Haller Ortsteil Kölkebeck versteckt. Augen und Mund der Leiche waren mit Panzerband verklebt, die Hände mit Kabelbindern gefesselt, der Körper von zahlreichen Stichverletzungen übersät. Ein grausamer Mordfall, der deutschlandweit für Entsetzen sorgte und sogar im TV thematisiert wurde: Rudi Cerne nahm den Fall aus dem Kreis Gütersloh in seiner Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" auf – allerdings auch hier ohne Erfolg.

Unter der Anteilnahme vieler hundert Menschen fand in der Haller St. Johanniskirche in der darauf folgenden Woche die Trauerfeier für Nelli Graf statt. „Wie oft haben wir hier am Tisch gesessen und überlegt, wer das getan haben könnte. Und warum", erzählt Viktor Graf. „Am Anfang haben wir auch zumindest in Gedanken immer mal wieder jemanden verdächtigt", erinnert sich Waldemar Graf an diese Zeit, „wir waren misstrauisch, haben jede Geste, jede Mimik und jede Auffälligkeit in unserem Umfeld gedeutet . . .".
Familie Graf zahlt Belohnung für entscheidende Hinweise
2013, als auch die Hallerin Gabriele Obst zunächst verschwunden war und dann erschossen aufgefunden wurde, dachte man zunächst an einen Zusammenhang, vielleicht sogar an Verbrechen eines Serienmörders. Hatte dieselbe Person beide Frauen ermordet? Kann so der Fall ganz neu aufgerollt werden? Zunächst gingen die Ermittler dieser Frage nach. „Das war ja dann aber doch nicht der Fall", sagt Viktor Graf. Und blickt wieder auf das Verbrechen in seiner Familie. Trotz der DNA-Spuren, die an dem Leichnam gefunden wurden, konnte der Täter bis heute nicht ermittelt werden.

Kriminalhauptkommissar Ralf Östermann und seine Mordkommission "Ahorn” hatten damals über Monate intensiv ermittelt und dabei Hunderte von Spuren verfolgt, um neue Erkenntnisse über das Verschwinden und das Verbrechen zu gewinnen. Sogar ein Massengentest wurde initiiert – ohne Erfolg. Mit dem Massengentest wird der genetische Fingerabdruck von Personen festgestellt. Massengentests sind sozusagen DNA-Reihenuntersuchungen, die die DNA-Spuren einer Person zuordnen sollen.
So intensiv wie am Anfang grübeln die Grafs heute nicht mehr. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass sie zusammen am Tisch sitzen, sich erinnern und über die grausame Tat sprechen. Und traurig sind, zutiefst verletzt. Gerade an den Jahrestagen gehen sie dann zum Friedhof und besuchen das Grab der Ehefrau und Mutter unterhalb der Friedhofskapelle. Und hoffen weiter, dass sich doch noch Zeugen finden, die neue Erkenntnisse hervorbringen zur Aufklärung des Mordfalls beitragen können. „Wir wären bereit, eine Belohnung zu zahlen", erklärt Viktor Graf. „Ja, würden wir den entscheidenden Hinweis bekommen, wer diese Tat begangen hat – wir würden das finanziell honorieren."
Mord verjährt nicht, aber Beihilfe
Warum sie auch nach zehn Jahren nicht die Hoffnung aufgegeben haben, dafür gebe es einen juristischen Grund, sagt Viktor Graf. „Mord verjährt nicht, das ist ja bekannt", erklärt der Witwer, der nach wie vor in seinem Beruf als Busfahrer arbeitet. „Trotzdem spielt die Zeit für unsere Familie. Denn Hinweisgeber und Personen, die in irgendeiner Form Beihilfe zu der Tat geleistet hatten, müssen nach so vielen Jahren wohl nicht mehr mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen."
Neu aufgerollt: Fall in Extra-Datenbank des Landeskriminalamtes
Zudem besteht die Hoffnung, dass das ungeklärte Kapitalverbrechen durch die Datenbank "Cold Cases" des Landeskriminalamtes (LKA) Düsseldorf doch noch aufgeklärt wird. Das Polizeipräsidium Bielefeld hatte den Fall Nelli Graf aus dem Kreis Gütersloh an die Datenbank gemeldet.
Als "Cold Cases” werden Kapitalverbrechen bezeichnet, die auch nach einem Jahr nicht aufgeklärt werden konnten. Ziel des Landeskriminalamtes ist es, die ungeklärten Fälle und grausamen Taten auch nach langer Zeit noch im Blick zu behalten und nach Hinweisen zu suchen. Das LKA versucht mit Hilfe ehemaliger Ermittler neue Ansätze zu finden, die die Mordfälle doch noch aufdecken.