Lost Place: Schutzhöhlen am Rande des Teutoburger Waldes in Halle

Halle-Künsebeck. Die Konturen verschwimmen. Spuren werden undeutlich. Und die, die sie lesen könnten, werden rar. Knapp 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gehen uns die Zeitzeugen aus. Die aber werden benötigt, um zu erklären, um einzuordnen und um zu berichten, wofür und warum. Das gilt auch für die Höhlen am Rande des Teutoburger Waldes in Künsebeck, oberhalb des Amshausener Weges. In der Kinderzeit waren sie ein magischer Spielort. Verboten, natürlich, denn es drohte schon Anfang der 70er Jahre akute Einsturzgefahr. Dass die Warnungen der Eltern in den Wind geschlagen wurden, muss nicht erwähnt werden. Der Reiz des Verbotenen, vermischt mit dem Geheimnisvollen ließ uns die Höhlen erkunden und Legenden entstehen. Legenden von Tieren, die angeblich dort hausten oder von Landstreichern – dieses Wort war damals durchaus gebräuchlich – die ihr Quartier dort aufgeschlagen haben sollen. Eine Melange des Mystischen. Unheimlich, gefährlich und damit magisch anziehend. Ein Ortstermin bestätigt die Erinnerung, in der die Höhlen riesig erscheinen. Ihre Öffnungen sind über die Jahre durch Abbrüche und Abrutschungen schmaler geworden. Ursprünglich waren es drei Höhlen. Die linke und kleinste von ihnen ist heute nicht mehr zusehen. Wie ein zahnloser Mund erscheint der Eingang der beiden verbliebenen heute. Ein Blick in den dunklen Schlund dahinter zeigt, dass der Höhlenkörper sicher mehr als zwei Meter in der Höhe aufweist. In den 1980er-Jahren wurde der Zugang mit einem schweren Eisengitter versperrt. &bdquo;Um die Fledermaus-Population zu schützen", sagt Hartmut Lüker vom BUND, der dabei war, als die Sperrvorrichtung eingebaut wurde. Detlev Hardieck, dessen Elternhaus unterhalb der Höhlen liegt, erinnert sich: "Als Kinder haben wir in diesen Höhlen gespielt. Die rechte war sicherlich 30 Meter lang, die linke etwa zehn Meter." Sie werden Weltkriegshöhlen genannt Doch welche Funktionen hatten diese Höhlen? Dass sie nicht natürlichen Ursprungs sind, macht das Umgebungsrelief deutlich. Vom Waldrand zu den Eingängen zieht sich eine Zuwegung, seitlich von aufragenden Hügeln aus Kalkstein umrahmt. Hier wurden von Menschenhand oder mit Hilfe von Maschinen gewaltige Mengen an Gestein bewegt und am Ende des Weges zwei Höhlen in den Berg gegraben. Doch wozu? Der Besitzer des Waldstückes Ernst Niedermeyer weiß zu berichten, dass die Höhlen als Weltkriegshöhlen bezeichnet wurden. Unklar bleibt zunächst hingegen, welchem Zweck sie dienten. Der Künsebecker Hermann Künsemöller berichtet, dass dort die Beschäftigten der Dürkoppwerke bei Fliegeralarm Zuflucht fanden. Detlev Hardieck bestätigt das. "Im Angriffsfall sollte die Belegschaft dorthin evakuiert werden. Meine Eltern berichteten, dass die drei Höhlen auch verbunden werden sollten. Dazu ist es aber nie gekommen." Ein Zeitzeuge indes berichtet, dass er in Kriegszeiten zusammen mit der Mutter und den Großeltern dort viele Nächte verbracht hat. Splittersicherer Unterstand Ein Blick ins Stadtarchiv bringt neue Erkenntnisse. Und die haben zum einen mit dem Rüstungsbetrieb Dürkopp unterhalb der ehemaligen B68 zu tun, zum anderen mit einem Tarnbahnhof mitten im Teutoburger Wald. Auf Veranlassung des Luftgaukommandos wurde im Steinbruch des Bauern und Bürgermeisters Dellbrügge eine Fliegertarnalage geschaffen. Dort wurden unter anderem reflektierende Platten verlegt, um Gleisanlagen zu simulieren. Außerdem leuchteten große Scheinwerfer den Steinbruch aus, um Flugverbände, die als Ziel das Dürkoppwerk oder die Ruhrstahl AG in Brackwede hatte, abzulenken. Das bedeutete natürlich erhebliche Gefahren für die in der Nähe der Tarnanlage liegenden Häuser und Gehöfte. In einem Schreiben vom Juli 1940 an den Landrat führte der Haller Polizei-Verwaltungsinspektor Pohlmann aus, dass innerhalb einer 600 Meter liegenden Zone um die Fliegertarnanlage insgesamt 37 Personen bedroht waren. Im November 1940 heißt es in einem weiteren Schreiben an den Landrat: &bdquo;Aus Anlass der Errichtung eines Scheinwerkes in der Gemeinde Steinhagen durch die Firma Ruhrstahl AG in Brackwede ist für die Besitzungen Dellbrügge, Dröge, Windau und Schoneweg die Anlage eines gemeinsamen splittersicheren Unterstandes erforderlich." Die Besitzungen seien jede Nacht zu räumen. Der gemeinsame Unterstand könne in einem Abhang errichtet werden, der von allen Besitzungen gleich weit entfernt liege. Die Höhlen könnten eben dieser Unterstand gewesen sein. Das bestätigt auch der Künsebecker Fritz Schlüpmann. In seinem Buch "Unser Künsebeck" heißt es: "Wegen weiterer zu befürchtender Angriffe wurden im Bergteil oberhalb des heutigen Amshausener Weges zum Schutz der Bevölkerung die so genannten Stollen in das Kalkgestein getrieben. Weitere Teile der Serie zu den Lost Places im Altkreis Halle Werthers Wassergeschichten: Die verborgene Geschichte des ersten Schwimmbads Steinhagens Verstecktes Geheimnis: Einblicke in den unterirdischen Bunker Relikte des Kalten Krieges: Borgholzhausens Atomraketen-Basis Das Rätsel von Borgholzhausen: Eine Straße, die ins Nirgendwo führt Halles Verstecktes Erbe: Die Geschichte des jüdischen Friedhofs Steinhagens Versunkene Erinnerungen: Das vergessene Freibad im Wald Wichlinghausens Geheimnisvolle Ruine: Die Geschichte hinter den verfallenen Mauern Borgholzhausens Dunkle Vergangenheit: Der Lost Place als Zeuge einer schlimmen Zeit Steinhagens Skandalöse Vergangenheit: Das ehemalige Bordell im Fokus Geheimnis um Borgholzhausener Ruine: Auf den Spuren der Geschichte am Steinbruch

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