
Halle. Manchmal ist es nötig, mit den schnöden Fakten zu beginnen, damit am Ende nicht der Überblick verloren geht. Denn bei der hitzigen Diskussion im Haller Stadtrat ging es nur am Rande um die zu treffende Entscheidung, als viel mehr um Emotionen – und auch ganz grundsätzlich um unterschiedliche politische Auffassungen.
Also das Ergebnis zuerst: Einstimmig hat der Rat das Bürgerbegehren „Erst planen, dann handeln" mit der Frage „Soll die Alleestraße erst nach dem Abschluss der förderfähigen ISEK-Maßnahmen überplant und umgebaut werden?" für zulässig erklärt. Damit können die Initiatoren nun beginnen, 1.400 Unterschriften zu sammeln. Gelingt ihnen das, wird es einen Bürgerentscheid über das seit langem umstrittene Thema geben. Mindestens 3.500 Hallerinnen und Haller müssten dann abstimmen, damit das Votum des Bürgerentscheides auch bindend wäre. Rechtlich zulässig ist das Bürgerbegehren nach Ansicht der Stadt ohnehin, der zuständige Fachbereichsleiter Björn Hüllbrock hatte es im Vorfeld prüfen lassen.
Rose attackiert Grüne, SPD und UWG heftig
Ring frei also für den abseits dieser Fakten viel spannenderen Schlagabtausch. Helmut Rose von der Bürgerinitiative Alleestraße durfte als Mitinitiator des Bürgerbegehrens zuerst austeilen und legte sich mächtig ins Zeug: „Die Alleestraße steht für Ihren unsäglichen Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern", attackierte er SPD, Grüne und UWG. „Ohne Einbeziehung der Stadtgesellschaft versuchen Sie Ihre Vorstellungen durchzusetzen." Es gelte, erst vernünftig zu planen und dann zu handeln – dazu sei eine ganzheitliche Betrachtung des Straßen- und Wegenetzes erforderlich.
Als „haltlose Unterstellung" brandmarkte Jochen Stoppenbrink (Grüne) die Vorwürfe Roses: „Was uns stört, ist, dass der Planungsprozess Alleestraße seit 2011 läuft. Seit 15 Monaten gibt es Ergebnisse des angepassten Planungsprozesses. Wir erwarten jetzt, sie präsentiert zu bekommen." Es gebe einen Bedarf, diese Straße zu überplanen, sonst hätte man vor zehn Jahren nicht damit begonnen. „Das jetzt bis 2027 zu schieben, ist nicht zu verantworten."
"Formulierungen des Bürgerbegehrens sind suggestiv"
Rückendeckung erhielt Stoppenbrink von Edda Sommer (SPD): „Bei mir schwingt der Verdacht mit, dass dieses Bürgerbegehren nur Partikularinteressen bedient." Besonders verärgert zeigte sich die Fraktionsvorsitzende über den Titel: „Erst planen, dann handeln impliziert doch, dass Politik und Verwaltung nicht planen." Auch die vorgebrachten Bedenken der Haller Kaufmannschaft konnte Sommer nicht nachvollziehen: „Der Umbau einer Straße legt nicht den ganzen Handel lahm. Da lassen sich Lösungen finden." Karl-Heinz Wöstmann als Sprecher der dritten von Rose attackierten Fraktion zeigte sich ebenfalls entschlossen: „Die Formulierungen des Bürgerbegehrens sind suggestiv und erwecken einen falschen Eindruck. Wir bleiben bei unserer Position und setzen uns dafür ein, die Planungen fortzusetzen. Und wir erwarten von der Verwaltung eine umgehende Vorlage des Gutachtens."
Direkt neben Wöstmann saß Harald Stützlein (FDP). Und so gut sich die beiden Männer am Abend verstanden, wenn sie sich gegenseitig das Mikro reichten, so weit entfernt voneinander lagen ihre Positionen. Nicht, was den Bürgerentscheid an sich angeht, wie eingangs erwähnt. Aber doch mit Blick auf die Alleestraße: „Es gibt keinen sachlichen Grund für den Ausbau dieser Straße", so Stützlein. Zumindest in die ähnliche Richtung argumentierte Sandra Wissmann (CDU): „Wir sehen hier keinen sofortigen Handlungsbedarf – und könnten dem Bürgerbegehren auch direkt in dieser Sitzung entsprechen."
Was wiederum bedeutet hätte: Die Befragung wäre überflüssig, die Alleestraße wäre schon am Mittwoch auf Eis gelegt worden. Das hatte Bürgermeister Thomas Tappe in seiner Vorlage auch empfohlen. Zur Erinnerung: Dass die Straße gegen sein Votum zeitnah umgebaut werden soll, hatte dazu geführt, dass er gegen seinen eigenen Haushaltsentwurf stimmte. Diese Haltung bekräftigte er erneut: „Die Verwaltung ist gerade mit anderen Aufgaben beschäftigt, um finanziellen Schaden durch verlorene Fördergelder von der Stadt abzuwenden." Es gebe also sachliche Gründe für seine Haltung. Wer ihm nun vorwerfe, er solidarisiere sich mit der Bürgerinitiative Alleestraße, der führe „Böses im Schilde".
Reimers (CDU) vermutet Angst vor einem Bürgerentscheid
Für seinen Chef in die Bresche sprang auch der stellvertretende Bürgermeister Axel Reimers (CDU): „Ich bin erstaunt, wie viel Angst hier mitschwingt, dass die Bürger abstimmen." Auch den Vorwurf, dass die Planungen in der Schublade lägen, konterte Reimers: „Der Termin für die politische Präsentation steht bereits fest." Angst vor einem Bürgerentscheid wiederum wies die SPD entschieden zurück.
Letzter Akt der Redeschlacht: ein Antrag der Grünen, der Rat möge ein klares Bekenntnis zum zeitnahen Ausbau der Alleestraße abgeben. Thomas Tappe machte keinen Hehl daraus, dass er das für nicht sonderlich zielführend hielt, ließ aber abstimmen. Das Resultat – erwartbar: 22 Mal Ja von Grünen, SPD und UWG, 16 Mal Nein von CDU, FDP und Bürgermeister. Fortsetzung folgt sicher.
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