
Halle-Künsebeck. Gunter Demnig ist ein Mann der Tat. Zielstrebig holt der 72-jährige Künstler sein Werkzeug aus dem dunkelroten Kastenwagen, kniet auf dem Gehweg nieder und klopft mit Hammer und Meißel auf den steinigen Boden. Mehr als 75.000 Mal hat er dies schon seit 1992 getan und somit die von ihm ins Leben gerufenen Stolpersteine verlegt. Die im Boden verlegten Messingtafeln erinnern an das Schicksal von Opfern der NS-Zeit.
Montagnachmittag war Künsebeck das Ziel des in Berlin geborenen Künstlers. An der Stelle, an der vor rund 80 Jahren das Wohnhaus von Christian Schalk gestanden hat, platziert er einen Stolperstein. Nach den vor knapp einem Jahr an der Langen Straße verlegten elf Gedenksteinen für Haller Juden folgt nun der erste Stein für einen Haller, der wegen seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas am 12. Juli 1940 hingerichtet wurde. Schalk hat als Angehöriger der Glaubensgemeinschaft Hitlergruß und Wehrdienst verweigert und somit sein eigenes Todesurteil unterschrieben.

Die Steine sollen erinnern und wachrütteln
„Seine Haltung kostete ihn das Leben", sagt Kai Drees, stellvertretender Vorsitzender der Interessengemeinschaft Künsebecker Bürger (IGKB) in seiner Ansprache während der Steinverlegung. Im Beisein von Künsebecker Bürgern, Vertretern aus Politik und aus den Reihen der Zeugen Jehovas verankert Demnig den 96 mal 96 Millimeter großen Steinquader mit Messingtafel im Boden. In seiner typischen Arbeitskleidung, bestehend aus braunem Filzhut in Cowboy-Optik, beiger Hose, Jeanshemd mit Weste und rotem Halstuch, ist er am Werk. Konzentriert, nachdenklich und ohne große Worte. Mit seinen Steinen will er erinnern und wachrütteln. Reich wird er dadurch nicht (siehe Infobox). Jeder Stein sei, so hat er einmal gesagt, einer zuviel.
„Durch die Stolpersteine wird die Erinnerung wach gehalten", sagt Bürgermeisterin Anne Rodenbrock-Wesselmann während der kleinen Feierstunde am Ringofenplatz. Torsten Schustek von den Zeugen Jehovas in Halle lobte Schalk für dessen Mut. „Er ist für uns ein Vorbild im Glauben. Er blieb standhaft und hielt an seiner Überzeugung fest", sagt Schustek. Er selbst habe noch mit Zeitzeugen reden können, welche die Witwe Schalks kannten. Diese Gespräche hätten ihn sehr beeindruckt.
Die Verwandschaft ist vor Ort
Ebenfalls vor Ort ist die 90-jährige Nichte von Christian Schalk, Lieselotte Laschtowitz aus Bielefeld-Quelle. Sie könne sich, so erklärt sie vor Ort, noch gut an ihren Onkel, der der Mann von der Schwester ihrer Mutter war, erinnern. Als er im Gefängnis in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, war sie elf Jahre alt.
Im Anschluss an die Steinverlegung empfängt Pastorin Karin Hanke die Gäste im Gemeindehaus. Zum Abschluss eines bewegenden Nachmittages wird der Abschiedsbrief von Christian Schalk verlesen, den er einen Tag vor seinem Tod geschrieben hat.