
Halle. Als wir am Montagmorgen in der Redaktion die Themen für die nächsten Tagen besprachen, meldete sich mein Kollege Uwe Pollmeier und kündigte einen Nachruf an. Einen Nachruf auf den Koch und Pizzabäcker Juan Antonio Gianangeli, der war im Alter von nur 51 Jahren gestorben. Pollmeier schätzte, dass er wohl um die 120 Zeilen schreiben werde - das entspricht in etwa einem kleinen Aufmacher. Fügte aber auch an, dass er zunächst mal telefonieren müsse.
Am Abend waren aus den 120 Zeilen 200 geworden. Dieses Paket passte so gar nicht in die Planung. Aber als ich den Text erst mal gelesen hatte, mochte ich nicht eine Zeile davon kürzen. Die Geschichte von Gianangeli war so bewegend, so bedrückend, dass sie unbedingt erzählt werden musste - auch auf der Länge. Sein früher Tod war die eine Sache. Die Umstände, seine Einsamkeit, sein trauriges Leben die andere.
Geboren wurde Juan Antonio Gianangeli 1973 in El Salvador. In den Wirren des Bürgerkriegs gaben ihn seine Eltern zur Adoption frei. Erst kam er in ein Heim, dann wurde er von einer italienischen Familie adoptiert und lebte fortan gemeinsam mit einem Stiefbruder in Mittelitalien. Dort wurde er schließlich zum Koch ausgebildet und kam dann vor rund 20 Jahren nach Deutschland. Die letzten 15 davon arbeitete er im „Da Vinci“ in der Tennishalle. Gestorben ist er schließlich ganz alleine.
Haller Koch Gianangeli ist ganz alleine gestorben

„Er war sein Leben lang sehr alleine“, erzählt eine Bekannte. Richtige Freunde habe er nicht gehabt, Familie auch nicht. Eigentlich wisse auch sie nur wenig über ihn. Und obwohl ich den Mann nicht kannte, hat mich das sehr betroffen gemacht. Zumal er obendrein keinen Einzelfall in Halle darstellte.
Es ist noch gar nicht lange her, vielleicht zwei Monate, dass vor einem kleinen Häuschen hier am Stadtrand Feuerwehr, Polizei und Notarzt standen. Nachbarn hatten die Rettungskräfte alarmiert, weil sich vor der Haustür die Zeitungen stapelten. Abends hörte ich, der Mann konnte nur noch tot geborgen werden. Dabei hatte er offenbar schon länger dort gelegen, ganz einsam, ganz unbemerkt. Und vor einer Woche dann die gleiche Szenerie - kaum 300 Meter weiter.
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Wieder standen Feuerwehrwagen, Polizei, ein Rettungswagen sowie ein Notarzt vor einem Haus, Blaulicht erhellte die Nacht. Wieder hatten Nachbarn Alarm geschlagen, weil sie befürchteten, dem Mann hier könne etwas zugestoßen sein. In diesem Fall trafen die Rettungskräfte ihn nicht an. Aber dass er offenbar schon geraume Zeit zuvor in ein Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte auch niemand so richtig mitbekommen.
Mit Hilfe der Nachbarschaft gegen die Einsamkeit

Aber was heißt das denn nun für uns? Was nehmen wir aus diesen Ereignissen mit? Irgendwie schäme ich mich, weil sich die beiden Einsätze nicht unweit unseres Zuhauses abgespielt haben. Und frage mich, ob ich an den Schicksalen etwas hätte ändern können. Doch wenn ich ehrlich bin, werde ich mich auch in Zukunft nicht um alte, einsame Männer kümmern; wahrscheinlich geht es anderen Menschen ebenso. Ein Aufruf in diese Richtung wäre plump wie unrealistisch gleichermaßen. Und dennoch gibt es Möglichkeiten, sein Umfeld zu unterstützen. Ein Stichwort lautet: gute Nachbarschaft als Gruppe.
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„Menschen, die sich in ihrer Nachbarschaft gut eingerichtet haben, haben ein geringeres Risiko, sich einsam zu fühlen“, sagt beispielsweise Einsamkeits- und Altersforscher Oliver Huxhold. Manche Nachbarschaften hätten auch Formate für gemeinsame Aktivitäten gefunden, berichtet Ina Remmers, Mitgründerin des Nachbarschaftsportals Nebenan.de. Und ja, die Idee, als Gruppe auf die Menschen in der Umgebung Obacht zu geben, fühlt sich tatsächlich schon anders an.
Mit feinen Antennen aufspüren, wo Gefahr droht
Im Vorbeigehen mit mehreren versuchen, über banale Themen wie das Wetter kurz ins Gespräch zu kommen. Die Menschen animieren, sich einem Gruppenspaziergang anzuschließen. Kurz die Neuigkeiten aus der Stadt anreißen - das sind natürlich nur Beispiele. Wenn jeder einfach in seinem eigenen Umfeld Obacht gibt und mit feinen Antennen spürt, wo offenbar Gefahr droht, ist schon viel gewonnen.
Im Fall von Juan Antonio Gianangeli setzt sich eine Gruppe gerade dafür ein, dass er ein ordentliches Begräbnis erhält, und sammelt Spenden. Das ist wirklich schön. Doch dann geht es darum, die Lebenden zu stärken. Dass das in der Großstadt-Anonymität von Berlin, München oder Köln mitunter schwierig ist – geschenkt. Aber wir in unserer kleinen Stadt müssen das doch wohl hinbekommen.
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