Heikle Entscheidung in Steinhagen: „Will niemanden an den Pranger stellen“

Steinhagen-Brockhagen. Kurz und knapp handelten die Mitglieder im Ausschuss für Schulen, Jugend, Sport und Kultur am Mittwochabend den Tagesordnungspunkt 7 ab. Darin ging es um den Bürgerantrag von Erika Puhlmann. Die pensionierte Lehrerin aus Brockhagen hatte die Verlegung eines sogenannten Stolpersteins vorgeschlagen. Damit sollte an die 1938 aus Brockhagen vertriebene Familie Hurwitz erinnert werden. Doch die Mitglieder im Ausschuss stimmten geschlossen gegen den Antrag von Erika Puhlmann und folgten damit dem Vorschlag der Gemeindeverwaltung, die das Thema als &bdquo;sensibel“ eingestuft hatte. &bdquo;Erinnerungskultur ist extrem wichtig“, unterstrich Joachim Stritz von der SPD in seiner Wortmeldung, &bdquo;aber das Persönlichkeitsrecht der Familie und deren Schutzbedürftigkeit überwiegen“. Einer Argumentation, der sich die anderen Fraktionen anschlossen. Worauf Joachim Stritz in seiner Begründung abhob: Laut Gemeindeverwaltung wird die Verlegung eines Stolpersteins von den Nachkommen der betroffenen Brockhagener Familie nicht gewünscht. Daraufhin habe die Gemeindeverwaltung abgewogen zwischen einem öffentlichen Interesse an einem Gedenkstein sowie dem Wunsch und dem Schutz der Nachkommen der jüdischen Familie. Die Verwaltung entschied sich für den Wunsch der Nachkommen. Ebenso die Steinhagener Politik. Antragstellerin will niemanden &bdquo;an den Pranger stellen“ Erika Puhlmann, die an der Sitzung am Mittwoch teilnahm, bedauert die Entscheidung und sieht die Abstimmung als &bdquo;verpasste Gelegenheit“. Sie betont im Gespräch mit dem &bdquo;Haller Kreisblatt“: &bdquo;Es geht mir um die Erinnerungskultur, die gerade heute so wichtig ist. Ich will niemanden an den Pranger stellen, oder mit dem Finger auf jemanden zeigen. Das ist mit wichtig.“ Lesen Sie auch: Steinhagen während der NS-Zeit: Gesellschaft im Gleichschritt Die Gemeindeverwaltung indes verweist auf das 2018 erschienene Buch &bdquo;Steinhagen im Nationalsozialismus“, in dem der Historiker Jürgen Büschenfeld auch das Schicksal der jüdischen Familie Hurwitz aus Brockhagen thematisiert habe. &bdquo;Die Dokumentation ist seinerzeit mit großem Interesse aufgenommen worden, und auch das Schicksal der betroffenen Familie aus Brockhagen ist umfassend aufgearbeitet worden. Hier ist bereits ein wertvoller Beitrag zur Gemeindegeschichte und mit Bezug auf heute eine Mahnung zur Wahrung der Demokratie und des friedlichen Miteinanders geleistet worden“, heißt es in einer Stellungnahme. Schwarzes Kapitel: Steinhagen im Nationalsozialismus Die Familie des bis in die 1920er Jahre in Brockhagen geachteten Viehhändlers Nathan Hurwitz war demnach die einzige jüdische Familie in Brockhagen. Mit Aufkommen des Nationalsozialismus begannen die Provokationen, die in einem Pogrom gipfelten. In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 fiel das Haus der Familie einer Brandstiftung zum Opfer. &bdquo;Die Täter, Mitglieder der NSDAP, waren langjährige Nachbarn“, heißt es im Büschenfeld-Buch. Nach dem Brand sei das Gebäude nur noch ein Trümmerhaufen gewesen. Lesen Sie auch: Dramatischer Schusswechsel: Steinhagen erinnert an tödlichen Hinterhalt Die obdachlos gewordene Familie verließ Brockhagen und zog in ein &bdquo;Judenhaus“ nach Bielefeld. &bdquo;Während Tochter Selma bereits 1940 in Bielefeld verstarb, wurden Nathan und Alma Hurwitz sowie ihr Steinhagener Verwandter Moritz Wißbrun im Sommer 1942 nach Theresienstadt und von dort weiter nach Auschwitz deportiert, wo sie schließlich ermordet wurden“, ist aus dem Buch weiter zu erfahren. Der jüngste Sohn der Familie sei mit hoher Wahrscheinlichkeit im Konzentrationslager Majdanek gestorben. Die einzige Überlebende der Familie sei die Tochter Julie Genuit gewesen, die später wieder in Brockhagen gelebt habe und dort 1972 starb. Mit Stolpersteinen soll die Erinnerung an die Menschen lebendig gehalten werden, die von den Nationalsozialisten verfolgt, vertrieben und ermordet wurden. Deutschlandweit wurden seit 1992 bereits mehr als 100.000 von ihnen hergestellt und in 1.265 Kommunen verlegt. Darunter auch Halle, Borgholzhausen und Versmold. Die im Boden einzementierten quadratischen Messingtafeln sind eine Idee des Künstlers Gunter Demnig. 📲 Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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