Achtfache Oma (70) läuft für Borgholzhausener Club fantastische Zeiten

Borgholzhausen/Bielefeld. Anfang Oktober ist Marianne Niemann 70 geworden. Andere Frauen ihres Alters tanken beim gemächlichen Spaziergang frische Luft. Oder auf einer Runde mit dem E-Bike. Die Sportlerin vom LC Solbad Ravensberg läuft Marathon. Drei Wochen nach ihrem runden Geburtstag schaffte sie in Frankfurt die 42,195 Kilometer in 4:14:01 Stunden – trotz Windböen und Dauerregen auf der zweiten Hälfte mit einem Durchschnittstempo von sechs Minuten pro Kilometer. Dass sie damit am Jahresende Platz eins der deutschen Bestenliste in ihrer Altersklasse W 70 belegte – und zwar mit deutlichem Vorsprung –, überraschte Marianne Niemann selbst am meisten. Denn ihre Trainingspensum mit täglichem Frühschwimmen, mit drei bis vier Laufeinheiten pro Woche und möglichst vielen Kilometern auf dem Rad ist für die Mutter von fünf Kindern und Oma von acht Enkeln seit Jahren eine Selbstverständlichkeit. &bdquo;Ich bin ein Bewegungsmensch. Ich kann nicht tagelang zu Hause rumhocken“, sagt die Bielefelderin, die vor Jahren als Inlineskaterin dem LC Solbad beitrat und dem Verein seitdem die Treue hält. Ihr Bewegungsdrang hatte ihr schon als Schülerin gute Sportnoten beschert, aber der Kontakt zum Vereinssport kam damals nicht zustande. Später stand die Familie im Vordergrund. Erst mit Anfang 40 fand sie mit ihrem Mann über einen Anfänger-Laufkurs beim PSV Bielefeld zum Ausdauersport. &bdquo;Ich habe erkannt, wie schön es für mich ist, bei Wind und Wetter in Bewegung zu sein. Von dem guten Gefühl, bei schlechter Witterung sein Pensum geschafft zu haben, profitiert man auch insgesamt“, blickt Niemann zurück. Seit Jahren eine feste Größe beim Hermannslauf Ihre Sport-Geschichte erstreckt sich im Lauf der Jahre auch auf starke Leistungen im Inlineskating – dort wurde sie 2013 deutsche W 60-Meisterin im Marathon – und Triathlon. In dem Jahr, als sie 60 wurde, blieb sie mit Bestzeit (2:29:23) beim Hermannslauf unter den begehrten Zweieinhalb-Stunden-Marke. Ein Jahr zuvor war sie in Essen mit 3:21:02 Marathon-Bestzeit gerannt. Die Motivation, den inneren Schweinehund zu überwinden, lässt Marianne Niemann bis heute, fast 30 Jahre nach den Anfängen nicht los. Im vergangen Jahr hat sie beim &bdquo;Hermann“ in 3:02:55 Stunden die W 70-Wertung gewonnen – ihr zehnter Altersklassensieg in Folge bei der 31,1 Kilometer langen Bergprüfung. In der ostwestfälischen Langstreckenszene ist Marianne Niemann eine feste Größe, lässt regelmäßig weiterhin die meisten jüngeren Frauen hinter sich. &bdquo;Viele sagen: Deine Altersklasse gewinnst du sowieso, dann kannst du den Lauf ja genießen“, berichtet Marianne Niemann. Aber als Wettkämpferin durch und durch misst sie sich nicht nur an der Platzierung: &bdquo;Den Genuss habe ich, wenn ich im Ziel auf die Zeit schaue und sagen kann: Wow, das hat geklappt, das hatte ich mir vorgenommen.“ Cooles Tattoo auf dem Knöchel Damit das gelingt, kann die Vorbereitung nicht nur aus lockeren Joggingläufen bestehen. &bdquo;Beim TSVE Bielefeld habe ich gelernt, wie man strukturiert trainiert“, erinnert sich Marianne Niemann. So verbesserte sie sich beim &bdquo;Hermann“ 2002 gleich auf eine Zeit deutlich unter der Drei-Stunden-Marke. Die Erkenntnis: &bdquo;Wenn ich das Erlebnis, das ich im Ziel haben möchte, erreichen will, muss ich diszipliniert sein und mich im Training auch quälen.“ Mit dieser Zähigkeit hat die 70-Jährige schwere Rückschläge überstanden. Zum Beispiel bei dem einzigen ihrer mehr als 20 Hermannsläufe, den sie nicht beenden konnte: &bdquo;Da hat es auf dem Ehberg im Knie geknackt, und ich bin gewissermaßen statt im Ziel im Operationssaal gelandet“, erinnert sich Marianne Niemann. Während ihres Lieblingslaufs, dessen Profil sie sogar seit einigen Jahren als Tattoo auf dem Knöchel trägt, erlitt sie einen Meniskusriss. Nach einem Fahrradunfall mit mehreren Brüchen im Schulterbereich kämpfte sie sich ebenfalls zurück – ähnlich wie 2021, als sie nach einer Not-Operation im Frühjahr im Herbst mit ihrer Amsterdamer Marathon-Zeit von 4:01:04 Stunden wieder an die Spitze der nationalen W 65-Bestenliste lief. Damals staunten die Ärzte und kamen zu dem Schluss: &bdquo;Wenn Sie nicht so sportlich aktiv wären, hätten Sie diesen Rückschlag nie so verkraftet.“ Auch mit 70 noch vor jedem Lauf nervös Ein Beleg dafür, dass intensive Bewegung buchstäblich zum Lebenselixier werden kann. Und Bestätigung dafür, dass Marianne Niemann auf dem richtigen Weg ist. Auch wenn sie mit ihrer selbstkritischen Einstellung viele in der Läuferszene verblüfft: &bdquo;Das versteht kein Mensch, aber schon 14 Tage vor einem Wettkampf bin ich meistens total nervös. Erst wenn ich am Start stehe, ist alles gut.“ So soll es auch am 28. April wieder sein, wenn der nächste Hermannslauf ansteht. Und Sohn Julian hat schon gefragt: &bdquo;Wo laufen wir dieses Jahr zusammen Marathon?“ Neue Ziele gibt es genug – und das gute Gefühl im Ziel lässt hinterher jedes Lampenfieber vergessen.

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