Kein Nachfolger gefunden: Beliebter Hausarzt in Werther gibt Praxis auf

Werther. Es ist Montagvormittag, ein älterer Herr steht in der Hausarztpraxis von Dr. Wolfgang Decius am Tresen und wartet auf die Ergebnisse einer Blutuntersuchung. An die Sprechstundenhilfe gerichtet deutet er auf einen Zettel, der in Augenhöhe an der Glasscheibe hängt: &bdquo;Am 1. April wird die Praxis in meinem 77. Lebensjahr geschlossen“, steht darauf geschrieben. &bdquo;Eine ganz schlimme Nachricht für alle Patienten und auch für Sie“, sagt er zu der jungen Frau. &bdquo;Nur für einen freut es mich: für Dr. Decius.“ So wie dem älteren Mann geht es wohl in diesen Tagen allen Patientinnen und Patienten. Sie müssen mit der Hiobsbotschaft klarkommen, dass ihr Hausarzt nun endgültig seine Praxis aufgibt. Angekündigt hatte er dies bereits vor einer ganzen Weile, doch bis zum Schluss hatte er gehofft, doch noch einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden - vergebens. Nun also die unumkehrbare Entscheidung. &bdquo;Im September habe ich mein Team informiert“, erzählt der beliebte Arzt. Der genaue Termin habe zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht festgestanden. Erst nach Weihnachten konnte sich Wolfgang Decius zum 1. April durchringen. &bdquo;Leider kein Aprilscherz“, kann er über das Datum nicht wirklich lachen. Den Ausschlag gab die Absage eines potenziellen Nachfolgers für seine Praxis. Hausarzt war wochenlang depressiv Verstehen kann Wolfgang Decius dies nicht. &bdquo;Schöner, als in einem Ort wie Werther eine Hausarztpraxis zu betreiben, geht es doch gar nicht.“ Keine Frage, der 75-Jährige liebt seinen Beruf. Das hat er immer getan. &bdquo;Es ist ein großes Glück, wenn man das findet, was einen ausfüllt“, sagt er. &bdquo;Das war und ist genau mein Ding. Es ist eine Gnade, dies machen zu dürfen.“ Was er übrigens auch auf seinem Abschiedszettel erwähnt: &bdquo;Ich kann Allgemeinmedizin für alle Medizinstudenten unbedingt empfehlen“, heißt es da. Entsprechend habe er sich &bdquo;unglaublich lange einen Kopf darum gemacht“, wann die Schließung nun passieren soll. &bdquo;Am Ende war das Frühjahr die beste Zeit.“ Am Wochenende hatte er das Datum in der Zeitung bekannt gemacht, seit Montag hängt nun der Zettel in seiner Praxis. Verspürt er nun nicht auch ein bisschen Erleichterung? &bdquo;Gar nicht. Im Gegenteil. Ich war wochenlang depressiv deshalb. Und meine Frau musste es ertragen.“ Als er dies erzählt, steht Marie-Theres Decius neben ihrem Mann und nickt, zeigt aber großes Verständnis. Ganz aufhören kann der bekannte Hausarzt nicht &bdquo;Inzwischen geht es mir wieder gut“, stellt Wolfgang Decius klar. Weil er sich nämlich entschieden hat, das Stethoskop noch nicht ganz an den Nagel zu hängen. &bdquo;Nein, nein, ich werde nicht in den anderen Wertheraner Hausarztpraxen einspringen“, winkt er sofort ab. Aber er werde sich außerhalb von Werther etwas suchen. Vielleicht eine Vertretung in einer kleinen Praxis oder auch in einem Krankenhaus, tage- oder sogar wochenweise, &bdquo;das steht alles noch nicht fest“. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK Dass er etwas Passendes findet, daran hat er keinen Zweifel. &bdquo;Leider gibt es ja viel mehr freie Stellen als Bewerber.“ Was er schmerzlich an seiner eigenen Praxis erfahren musste. Fünf Jahre lang hat er versucht, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden. &bdquo;Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand so abgestrampelt hat wie ich“, schildert er. Überall habe er herumgefragt und Werbung für seine Praxis gemacht, auf Fortbildungen, Ärzteveranstaltungen, habe mehrere Anzeigen auf der Plattform der Kassenärztlichen Vereinigung geschaltet - vergebens. &bdquo;Da wird ja auch überall gesucht. Ich bin ja bei Weitem nicht der Einzige, der keinen Nachfolger findet.“ Woran das liegt? Für Wolfgang Decius keine Frage: &bdquo;Junge Ärzte trauen sich heute kaum noch die Selbstständigkeit zu. Im Krankenhaus haben sie feste Arbeitszeiten und bekommen am Ende des Monats ein festes Gehalt. Als Hausarzt mit eigener Praxis müssen sie sich neben den Patienten auch noch um das Personal, um Abrechnungen, Bestellungen, eben die komplette Buchhaltung kümmern. Das will kaum noch jemand.“ Der 75-Jährige gibt offen zu, dass er dafür immer seine Frau hatte. &bdquo;Sie hat mir diese Dinge abgenommen.“ Für die Patienten in Werther wird es schwer Das Personalproblem in den Praxen ende aber nicht bei den Ärzten selbst. &bdquo;Man findet ja auch sonst keine Leute“, beklagt Wolfgang Decius. In seiner Praxis arbeiteten vier Teilzeitkräfte und eine Vollzeitkraft. Eine von ihnen habe extra verlängert, obwohl auch sie schon das Rentenalter erreicht habe. Weshalb er sich ausdrücklich bei ihnen bedankt, &bdquo;die es so kompetent und treu mit mir ausgehalten haben“, meint er augenzwinkernd. Sorge, dass sie ab April auf der Straße sitzen könnten, hat er keine. &bdquo;Die Personalnot in anderen Praxen ist so groß, sie können sich ihren künftigen Arbeitsplatz aussuchen.“ Natürlich gilt der Dank des Mediziners auch seinen Patientinnen und Patienten, die ihm teils über Jahrzehnte ihr Vertrauen geschenkt haben. Dass es für viele von ihnen schwierig wird, einen neuen Hausarzt in ihrer Nähe zu finden, weiß er. &bdquo;Die anderen Praxen hier in Werther sind genauso voll wie meine, hatten sogar schon einen Aufnahmestopp.“ Langeweile für Wertheraner Hausarzt? Sicher nicht! Zwischen 1.100 bis 1.300 Patienten verarztet Wolfgang Decius im Quartal, manchmal sogar mehr. Ihnen bei der Vermittlung zu einem neuen Hausarzt helfen könne er nicht. &bdquo;Dabei haben mich die ersten Patienten schon darum gebeten. Aber sie müssen sich selbst auf den Weg machen“, bittet er um Verständnis. Verständnis, dass er nun seine Praxis aufgibt, hätten hingegen alle. &bdquo;Im März werde ich 76 Jahre alt“, sagt er. Seine Praxisräume am Wellenpöhlen wird er nun wohl anderweitig vergeben. Und er selbst? Wird er sich neben seiner künftigen Vertretertätigkeit nun mehr Zeit für Hobbys nehmen? &bdquo;Ich plane eigentlich nicht, das auszudehnen“, sagt er und erzählt lachend, dass er in vier Chören singt, gern zur Jagd geht, ein kleines Boot auf dem Dümmer liegen hat (&bdquo;von meinem Vater geerbt“) und gerne im Keller mit Holz arbeitet. Langweilig dürfte es dem beliebten Hausarzt also nach dem 1. April nicht werden.

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