Wertheraner Hausarzt sagt „Tschüss“: Patienten mit Tränen in den Augen

Werther. Wolfgang Decius könnte in diesen Tagen einen Süßwarenladen aufmachen. In der Praxis, in der Küche und im Flur stapeln sich süße Abschiedsgeschenke, die alle sagen: &bdquo;Schade, dass Sie aufhören!“ An diesem Montag, 31. März, wird der beliebte Hausarzt ein letztes Mal Patientinnen und Patienten in seiner Praxis am Wellenpöhlen behandeln. Am 1. April ist für ihn Schluss. Und keiner könnte das mehr bedauern als er selbst. Das &bdquo;Haller Kreisblatt“ hat den 76-Jährigen gebeten, 17 Sätze zu vervollständigen – über schöne, traurige und ganz besondere Momente in seiner langjährigen Tätigkeit als Arzt. Der erste Tag, an dem er nicht in seine Praxis geht ... Wolfgang Decius: ... wird kein schöner sein. Ab Montag, 31. März, 24 Uhr, bin ich kein Kassenarzt mehr. Ich kann mich noch gut erinnern, wie mir vor 44 Jahren der Bielefelder Oberbürgermeister in einer Feierstunde die Hand gedrückt und mich zu meiner Zulassung beglückwünscht hat. Er trug Anzug und Krawatte, ich auch. Der Ausstieg war deutlich unglamouröser. Ich habe ein Formular runtergeladen und zurückgefaxt. Das Bedauern seiner Patientinnen und Patienten ... ... war und ist sehr berührend. Ich erlebe praktisch jeden Tag, wie Menschen sich von mir mit Tränen in den Augen verabschieden. Und ich höre den Satz: &bdquo;Darf ich Sie einmal in den Arm nehmen?“ Da kommen mir dann selbst fast die Tränen. Viele meiner Patienten kenne ich schon, seit ich hier praktiziere. Manchmal habe ich schon deren Eltern, Großeltern oder auch deren Kinder versorgt. Sich von ihnen zu verabschieden, ergreift mich, das ist sehr emotional. Als traurigsten Ausspruch, weil er seine Praxis aufgibt, hört er ... ... &bdquo;Wo soll ich jetzt hingehen?“ Viele meiner Patienten sagen auch: &bdquo;Ihre Art der Medizinausübung stirbt aus.“ Das bedeutet für mich ein großes Lob, ist aber auch traurig, denn es entspricht in Teilen ja der Wahrheit. Seinen Patientinnen und Patienten, die nun einen neuen Hausarzt oder eine neue Hausärztin suchen müssen, sagt er ... ... dass wir vor Ort eine Regelung gefunden haben. Menschen, die stark an Werther gebunden sind, sei es aus sozialen Gründen, oder weil es ihnen gesundheitlich wirklich schlecht geht, habe ich auf eine Liste aufgenommen und den anderen Hausarztpraxen in Werther zukommen lassen. Damit sie diese Personen eher aufnehmen als Patienten, die mobil und nicht so stark erkrankt sind. Ansonsten weiß ich, dass sich viele nach Halle und Neuenkirchen, andere nach Jöllenbeck oder Hoberge orientiert haben. Ich hoffe, dass alle gut unterkommen. Über seinen nun beginnenden Ruhestand sagt er ... ... dass ich mich nicht auf meine Rente freue. Den viel zitierten Satz: &bdquo;Jetzt können Sie Ihr Leben so richtig genießen“ betrachte ich für mich als nicht zutreffend. Ich hatte die ganzen Jahre über nie das Gefühl, dass ich schwer arbeiten würde. Ich liebe das, was ich tue. Zu seiner Entscheidung, die Praxis aufzugeben, sagt er ... ... dass ich sie nicht freiwillig getroffen habe, sondern sie mir im Grunde aufgezwungen wurde. Ich hätte gern noch ein oder zwei Jahre weitergemacht, aber ich habe das Personal dafür nicht. Mir fehlen eine Vollzeitkraft und zwei Teilzeitkräfte, um die Praxis weiterzuführen. Meine bisherigen Mitarbeiterinnen haben Überstunden in einer Höhe gemacht, die sie nicht mehr durchhalten konnten. Und sie sind einfach toll und nicht zu ersetzen. Ohnehin findet man praktisch keine Leute. Und wer will schon bei einem alten Arzt wie mir anfangen, wenn er weiß, dass er sich in ein paar Jahren wieder etwas Neues suchen muss? Traurig, keinen Nachfolger oder keine Nachfolgerin für seine Praxis gefunden zu haben, ist er ... ... sogar sehr. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich abgestrampelt habe, um jemanden zu finden. Das hat mich erheblich belastet. Seine Pläne, auch ohne eigene Praxis weiter als Arzt zu arbeiten, sind ... ... weit gediehen. Ich habe mich bei zwei Gesellschaften angemeldet, die Ärzte für Vertretungen vermitteln, und meine Unterlagen hingeschickt. Dort wird erst einmal verifiziert, dass ich wirklich ein approbierter Arzt bin, was ich gut und richtig finde. Jetzt warte ich voller Spannung, was auf mich zukommt. Denn ich würde gern tage- oder wochenweise irgendwo aushelfen. Ab dem 1. April hat er mehr Zeit für ... ... Besuche bei meinen vier Kindern und elf Enkeln, fürs Arbeiten mit Holz, für Fahrten zum Dümmer, um auf die Jagd zu gehen – und fürs Singen. Ich bin Mitglied in vier Chören. Mein aufregendstes Erlebnis als Arzt war ... ... als ich 1979 als junger Notarzt am Kreiskrankenhaus Eutin zu einem Notfall gerufen wurde. Ich war in einer Phase, da ich sehr von mir überzeugt war und dachte, ich kann alles schaffen. Es würde wie immer ein Unfall sein, ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall. Ich also hinten zu den zwei Sanitätern in den Krankenwagen. &bdquo;Na, Jungs, wohin geht’s denn?“, habe ich sie gefragt. &bdquo;Zu einer Geburt“, lautete die Antwort. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ab da wars vorbei mit meiner Souveränität. Ich hatte richtig Bammel. Am Ende hat alles prima geklappt. Es war schon das dritte Kind der Mutter, nach kaum zehn Minuten war ihr Sohn geboren, auf dem Küchentisch. Später bekam ich von ihr zwei Flaschen Spätlese als Dankeschön. Die mochte ich zwar nicht, gefreut habe ich mich trotzdem. Mein lustigstes Erlebnis als Arzt war ... ... die Sporttauglichkeits-Untersuchung der Sportkegler aus Werther 1981. Ich war gerade hier angekommen, die Praxis befand sich noch im Umbau und war eine Baustelle. Doch die Sportler brauchten die Bestätigung für einen Wettkampf, also fanden Belastungs-EKG und Lungenfunktionstest in den nackten Räumen statt. Immerhin waren schon Fenster und Türen drin. Mein traurigstes Erlebnis als Arzt war ... ... wenn man einen Patienten verliert, den man schon viele Jahre kennt. Und es gibt viele traurige Arten, zu sterben. Aber das gehört zum Leben dazu. Pläne für meine Praxis sind ... ... für die nächsten zwei Monate die Räume so zu belassen, wie sie sind – in der Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch ein Kollege findet, der die Praxis übernehmen wird. Ansonsten würde ich die Räume ab Juni vermieten. Vielleicht an einen Dienstleister wie einen Krankengymnasten oder einen Steuerberater. Das wird sich dann ergeben. Er selbst möchte in seinem Haus wohnen bleiben, weil ... ... ich so wunderbare Nachbarn habe. Aber das funktioniert natürlich nur, wenn ich einen Mieter für meine Praxis finde. Die größte Kritik am System ist für ihn ... ... die Finanzierung unserer immer potenter werdenden Medizin. Sie ist im höchsten Maße qualitätvoll, man kann mit ihr unglaublich viel Gutes tun, Leben retten, die Lebensqualität verbessern, die Lebenserwartung verlängern, aber sie kostet extrem viel Geld. Langfristig wird sie aus meiner Sicht nur finanzierbar sein, wenn Patienten zum Beispiel Medikamente unter 20 Euro selber bezahlen, also die Selbstbeteiligung – natürlich sozialverträglich – erhöht wird. Der Ärztelandschaft in Werther wünscht er ... ... ein gemeinsames Ärztehaus für alle niedergelassenen Hausärzte. Das ist übrigens nicht nur mein Wunsch, sondern auch der aller meiner Kolleginnen und Kollegen. Das würde den bürokratischen Aufwand zentralisieren und alle Abläufe sehr erleichtern. Meinen Patientinnen und Patienten sowie meinem Mitarbeiterteam möchte ich ... ... danken, dass sie mir ihr Vertrauen geschenkt haben, und bei meinen Mitarbeiterinnen, dass sie es so kompetent und treu mit mir ausgehalten haben. In Werther Hausarzt zu sein, war eine hochbefriedigende Tätigkeit mit allen Höhen und Tiefen ärztlicher Aufgaben und Entscheidungen. Danke!

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