Vergessenes Gefängnis: Ein Haftlager in Werther, das nirgendwo erwähnt wird

Werther-Isingdorf. Ein Gefängnis in Werther. Da fällt den meisten - wenn überhaupt - höchstens die Außenstelle Theenhausen der JVA Bielefeld-Senne ein. Aber das ist nicht alles. Das kleine Werther verfügte sogar mal über zwei Gefängnisse. Neben dem in Theenhausen gab es noch eine zweite Haftanstalt. Ebenfalls weit draußen umringt von Feldern und Wäldern, ebenfalls fast an der Grenze zur Nachbarstadt. Und dazu die hartnäckigen Gerüchte, dass dort sogar mal RAF-Terroristen gesessen haben sollen. Erinnern kann sich daran heute kaum jemand. Nur die Bewohner der umliegenden Höfe wissen noch, dass es einst Gefangene gab, die auf den Feldern der Bauern schuften mussten. Jeder in der Nachbarschaft kennt jemanden, der mal davon erzählt hat oder sogar selbst für die Haftanstalt gearbeitet hat. Die Rede ist vom Gefangenenlager in Isingdorf. Aber wo lag es? In einem Wikipedia-Eintrag findet sich das Gefängnis als eine Außenstelle des Strafgefangenenlagers Oberems. Das ist alles, mehr Informationen gibt es dort nicht. Aber zum Glück gibt es beim HK eine Kollegin mit Ortskenntnissen. &bdquo;Ja, von dem Gefangenenlager habe ich schon mal gehört, das ist doch da am Arroder Weg“, sagt sie und zeigt die Lage des Gebäudes auf der Karte direkt auf der Grenze zwischen Isingdorf und Schröttinghausen. Mehr weiß sie leider nicht. Isingdorf war eines der jüngsten Lager Zum Strafgefangenenlager Oberems gibt es aber ein ganzes Buch. Karina Isernhinke, ehemalige Leiterin des Jugendzentrums Steinhagen, hatte es 2015 veröffentlicht. &bdquo;Das Strafgefangenenlager Oberems. Das nationalsozialistische Lagersystem im Gebiet des heutigen Kreises Gütersloh“ lautet der vollständige Titel. Darin sind für die Zeit 1900 bis 1945 insgesamt 38 Gefangenenlager im Kreis verzeichnet, darunter eins in Halle am Eggeberg und jeweils eins in Amshausen, Steinhagen, Werther und Isingdorf. Zusätzlich hatte die Firma Storck ein eigenes Gefangenenlager auf ihrem Gelände. Das Isingdorfer Strafgefangenenlager war eines der Letzten, das gegründet wurde: 1937. In den Strafgefangenenlagern saßen ursprünglich ganz &bdquo;normale“ Kriminelle ein. &bdquo;Nach 1933 wurden aber immer mehr Gefangene wegen politischer Delikte inhaftiert und die Gefangenenarbeit wurde erheblich ausgeweitet“, schreibt Karina Isernhinke. Und sie beschreibt auch, dass die Delikte der Inhaftierten unter nationalsozialistischer Herrschaft aus heutiger Sicht keine Delikte sind. Da reichte Kritik am Führer oder hochrangigen Parteivertretern. Die Insassen von Oberems waren zum Beispiel wegen sogenannter Äußerungsdelikte verurteilt worden, schreibt der Bielefelder Historiker Jörg van Norden in einem Aufsatz. Dazu gehörten &bdquo;Heimtücke-Reden“ und Beleidigungen, aber auch &bdquo;Rundfunkverbrechen“, &bdquo;Kriegswirtschaftsdelikte“ oder der verbotene Umgang mit Kriegsgefangenen. Zwölf Stunden lang war der Toilettengang verboten Zum Alltag der Gefangenen gehörte der Arbeitsdienst. Die Angestellten in den Lagern waren angehalten, die sogenannte Nicht-Personen-Behandlung anzuwenden, also möglichst Distanz zu wahren. Den Gefangenen war es nur in Ausnahmefällen erlaubt, die Angestellten anzusprechen. Auch andere Schikanen waren in den Straflagern bis 1945 gang und gäbe. So war es verboten, während der zwölfstündigen Arbeitszeit die Toilette zu benutzen. Briefe wurden nur mit zeitlicher Verzögerung ausgehändigt. Der Kontakt zu anderen Häftlingen war nicht erlaubt. Dass dies auch für die Inhaftierten in Isingdorf galt, ist anzunehmen, aber nicht ausdrücklich dokumentiert. Nach Kriegsende ging das Gefängnis in die Verwaltung der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne über und wurde dort, wie auch das Theenhausener Gefängnis, als eine von vielen Außenstellen geführt. Aber wie lange existierte es und wie viele Insassen gab es dort? &bdquo;Das ist wirklich eine exotische Anfrage“, sagt Axel Berger, Pressesprecher der JVA Bielefeld-Senne. In den Unterlagen der JVA ist über das Gefangenenlager Isingdorf fast nichts zu finden, bis auf das Gründungsjahr 1937. Nichts in den Archiven der offiziellen Stellen Wie lange es das Gefängnis gab, wie viele Insassen es hatte und wer dort einsaß? Dazu enthält das Archiv der JVA Senne nichts. Auch beim Kreis Gütersloh - Fehlanzeige. &bdquo;Die wenigen Unterlagen, die wir zum Gefangenenlager Oberems haben, beziehen sich alle auf den ehemaligen Kreis Wiedenbrück. Ich kann Ihnen bei Ihrer Anfrage leider nicht weiterhelfen“, schreibt Kreisarchivar Ralf Othengrafen. Also wird in der Isingdorfer Nachbarschaft rumgefragt. &bdquo;Mein Vater war dort Aufseher und hat mit dem Gewehr die Gefangenen bei der Arbeit auf dem Feld bewacht“, berichtet einer. Aber mehr? &bdquo;Tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen, aber fragen Sie doch mal bei XY, die müssten was wissen“, das ist bei der Recherche immer wieder zu hören. Nachbarin Bettina Quermann weiß endlich mehr. &bdquo;Ja, das Lager kenne ich. Der Onkel meiner Mutter hat es geleitet und wir waren als Kinder in den 1960er-Jahren dort immer bei ihm und seiner Frau Frieda zu Besuch“, sagt sie. Erich Müller hieß der Lagerleiter. Aber an mehr kann sich Bettina Quermann auch nicht erinnern. Gute Führung brachte Arbeitsdienst ein Doch sie verweist auf Friederike Jostmann. Deren Eltern gehörte der Hof, auf dessen Grund das frühere Gefängnis steht. &bdquo;Das Haus gehörte zum Hof Dieckmann“, erzählt sie. &bdquo;Es war ein Doppelkotten, in der Mitte eine große Deele.“ Nach dem Krieg wurden in der Landwirtschaft Arbeitskräfte gebraucht. Und damit die nah bei den Bauern waren, wurden die Gefängnisse aufs Land verlegt. Ihre Großeltern hatten den Kotten auf dem Hof-Gelände damals den Justiz-Behörden vermietet. Als ihr Vater Reinhard Stückemann auf den Hof Dieckmann heiratete, blieb das Mietverhältnis bestehen. &bdquo;Bei guter Führung kamen die Gefangenen &bdquo;auf Einzel“, so hieß das damals“, erklärt Friederike Jostmann. &bdquo;Die wurden dann morgens von den Landwirten abgeholt und arbeiteten auf deren Hof mit.“ Auch Firmen, wie die Ziegelei oder Weco, liehen sich Arbeiter aus. Ganze Arbeitskolonnen, die dann auch von Justizmitarbeitern mit Karabinern bewacht wurden, gab es nur bei großen Einsätzen, wie der Rüben- oder Kartoffelernte. &bdquo;Die Gefangenen, die an ihrem Blaumann zu erkennen waren, bekamen bei uns zu essen, durften aber nicht mit am Küchentisch sitzen, sondern aßen in einer Seitenkammer“, erinnert sich Friederike Jostmann. Sie vermutet, dass die Arbeitseinsätze unter den Inhaftierten beliebt waren, weil die Verpflegung bei den Bauern besser war als im Gefängnis. Motivation mit Zigaretten &bdquo;Mein Vater kaufte immer stangenweise Zigaretten, obwohl bei uns in der Familie niemand rauchte“, sagt die Landwirtin. Damit wurden die Arbeiter zusätzlich motiviert bei schwereren Einsätzen. Ein Inhaftierter ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben, weil er auch ihren Vater so beschäftigt hat. &bdquo;Ein älterer Mann, ein ganz feiner Mensch, hat mein Vater gesagt.“ Er hatte ein Schwein notgeschlachtet, das sich verletzt hatte und war dann sofort wegen Schwarzschlachten für ein halbes Jahr verknackt worden. Rund 30 Plätze gab es in der Haftanstalt, schätzt Friederike Jostmann. Keine Schwerverbrecher oder Mörder, sondern Leute, die wegen Betrug oder Diebstahl verurteilt waren, meint sie. Im unteren Geschoss gab es einen großen Speisesaal, oben einen gemeinsamen Schlafsaal. Auch ein Garten war vorhanden. Es wurden ein paar Schweine gehalten. Arrestzellen, direkt hinter dem Büro des Lagerkommandanten, waren für die, die sich nicht an die Vorschriften hielten,“ wenn jemand stiften gegangen war zum Beispiel“, sagt Friederike Jostmann. Etwa 1970/71 wurde das Gefängnis geschlossen. &bdquo;Die baulichen Voraussetzungen waren nicht mehr gegeben. Das Haus musste irgendwann in der Zeit zwischen 1850 und 1870 gebaut worden sein. Es war einfach nicht mehr zeitgemäß.“ Erst Gastarbeiter, dann Studenten Doch trotzdem blieb es zunächst eine Sammelunterkunft. Die Schlachterei Gut Friedrichsruh aus Steinhagen nutzte die Unterkunft für türkische Gastarbeiter. Die Schlafsäle wurden in Zimmer unterteilt. Ende der 1970er-Jahre zog eine Studenten-WG in das Haus. Mitte der 80er-Jahre wurde es dann an einen Privatmann verkauft, der die Räume des Kottens zu Wohnungen umbaute. Ein Wohnhaus ist es bis heute und nichts erinnert mehr an die Vergangenheit als Gefängnis. Und was ist jetzt mit den RAF-Terroristen, die in Isingdorf gesessen haben sollen? Friederike Jostmann lacht: &bdquo;Die sind nie dort gewesen. Das sind alles nur Gerüchte.“

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