80 Jahre neben einem Gefängnis: Für diese Wertheraner Familie Alltag

Werther. Wie ist das, fast 80 Jahre neben einem Gefängnis zu wohnen? Praktisch täglich Kontakt mit Häftlingen zu haben? Einige von ihnen sogar näher kennengelernt zu haben, wenn sie als Arbeitskräfte auf dem eigenen Hof eingesetzt waren? Sigrid Meyer zu Theenhausen blickt zurück. &bdquo;Das ist weit weniger aufregend, als sich die Leute das vielleicht vorstellen. Für mich war das nie etwas Besonderes, sondern Alltag. Ich kannte es ja nicht anders.“ Der Großvater von Sigrid Meyer zu Theenhausen hat die Haftanstalt 1946 gleich neben dem großen Hof erbauen lassen. &bdquo;In der Anzeige des Immobilienmaklers steht, das Haus wäre um 1900 errichtet worden. Das stimmt aber nicht. So alt ist es nicht.“ Auf wessen Initiative hin das Gebäude errichtet wurde, kann Sigrid Meyer zu Theenhausen nicht sagen. &bdquo;Ob mein Großvater die Idee hatte oder die Justizverwaltung auf uns zugekommen ist, weiß ich nicht.“ Häftlinge als Arbeitskräfte Fest steht, dass von Anfang an erklärtes Ziel war, in dem Haus Häftlinge unterzubringen. &bdquo;In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fehlten überall auf dem Land Arbeitskräfte“, schildert Sigrid Meyer zu Theenhausen. &bdquo;Viele Männer waren im Krieg geblieben oder so schwer verwundet, dass sie nicht mehr arbeiten konnten.“ Doch gerade in der Landwirtschaft seien dringend Arbeitskräfte gesucht worden. &bdquo;Weshalb man an vielen Orten Häftlinge dafür heranzog. Und für sie brauchte man passende Räume.“ &bdquo;Das Gebäude sah damals genauso aus wie heute“, sagt Sigrid Meyer zu Theenhausen. In den frühen 1980er Jahren sei das Haupthaus um einen Erweiterungsbau mit Flachdach vergrößert worden. So existiert es bis jetzt. &bdquo;Das Gefängnis war nie eigenständig, sondern immer eine Außenstelle der Zentrale in Bielefeld“, erzählt die Hofbesitzerin. Und dass damit bald Schluss sein wird. Wie berichtet will Sigrid Meyer zu Theenhausen das Gebäude verkaufen, Ende des Jahres läuft der Mietvertrag aus. Begleitet von einem Aufseher mit Gewehr Aktuell ist noch das Justizministerium NRW Mieter des Objekts. Betrieben wird es als eine von 15 Außenstellen der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne. Bald wird nicht mehr viel an die langjährige Geschichte erinnern. Tausende Gefangene haben hier in den vergangenen 78 Jahren ihr vorübergehendes &bdquo;Zuhause“ gefunden. Die Gitter an den Fenstern sind schon vor Jahren verschwunden, bald werden auch die 51 Haftplätze Geschichte sein. Sigrid Meyer zu Theenhausen kann sich noch gut erinnern, wie sie als Kind beobachtet hat, als die Kolonnen (&bdquo;so hießen die Gruppen von Häftlingen“) auf die Felder zogen. &bdquo;Es gab ja noch keine Mechanisierung. Welcher Landwirt konnte sich damals schon einen Trecker leisten?“ Alles musste von Hand gemacht werden, säen, mähen, Getreide einbringen, Kartoffeln auflesen. &bdquo;Die Häftlinge konnten damals von den umliegenden Bauern angefordert werden. Auch auf unserem Hof wurden die Kolonnen - das waren meist zehn oder zwölf Häftlinge - eingesetzt. Begleitet wurden sie von einem Aufseher mit Gewehr. Er hat die Männer mit aufs Feld begleitet. Auch daran kann ich mich noch erinnern.“ Häftling beim Fluchtversuch beobachtet Manchmal, erzählt Sigrid Meyer zu Theenhausen, wurden auch nur einzelne Häftlinge auf den Betrieben gebraucht. &bdquo;Diese sogenannten Einzelgänger waren in der Regel gut eingearbeitet und blieben länger auf den jeweiligen Höfen. Auch bei uns. Sie wurden hier auch verköstigt. Probleme gab es nie.“ Was durchaus vorkam, waren Fluchtversuche von Häftlingen - mit mal mehr, mal weniger Erfolg. &bdquo;Eine Episode, an die ich mich erinnere, muss passiert sein, als ich elf oder zwölf Jahre alt war. Mein Vater war Jäger und saß auf dem Hochsitz, als er beobachtete, wie ein entlaufener Häftling das Weite suchte. Und obwohl mein Vater eine Waffe hatte, hat er es lieber nicht darauf ankommen lassen. Der Mann soll ein Bandenführer gewesen sein.“ Und wurde er am Ende wieder festgesetzt? &bdquo;Wen man beim Fluchtversuch erwischte, kam wieder in den geschlossenen Vollzug“, berichtet Sigrid Meyer zu Theenhausen. Unter den Häftlingen in Theenhausen waren nicht nur kriminelle &bdquo;Leichtgewichte“ wie Ladendiebe oder Betrüger. &bdquo;Es waren auch schwere Kaliber wie Mörder darunter“, erzählt Sigrid Meyer zu Theenhausen. &bdquo;Wir hatten auch lange einen Mörder hier bei uns auf dem Hof. Er war sehr nett und freundlich und hat lange bei uns gearbeitet.“ Viele frühere Insassen führen heute ein normales Leben Sigrid Meyer zu Theenhausen erzählt, dass es viele Fälle gab, in denen die Männer vollständig resozialisiert wurden und nach ihrer Haft ein normales Leben führten, eine Arbeit fanden, eine Familie gründeten. Schon darum will sie nicht zu viel erzählen und hält sich lieber bedeckt. Wenn also die Zusammenarbeit mit den Justizbehörden immer gut funktionierte und es auch mit den Häftlingen praktisch nie Probleme gab, warum will sie das Gebäude dann verkaufen? &bdquo;Die JVA hätte sich gern vergrößert und wünschte sich einen Anbau, um mehr Platz für die Sozialräume sowie die Verwaltung zu haben und von den Doppelzimmern wegzukommen“, erzählt Sigrid Meyer zu Theenhausen. Die Zellen nur noch mit einer Person zu belegen, sei keine Option gewesen. &bdquo;Dann stünden die Ausgaben für das Personal in keinem Verhältnis zur Zahl der Insassen.“ Traum vom Wohnprojekt Alt und Jung geplatzt Ein Aus- und Anbau, wie er von der JVA gern gesehen worden wäre, wäre für sie allerdings in Anbetracht der derzeitigen Baupreise nicht in Frage gekommen. &bdquo;Das hätte ich weder finanzieren können noch wollen. Ich möchte mich nicht über Jahre verschulden“, sagt sie ehrlich. Aus einer anderen Idee, die sie für das Gebäude hatte, sei leider nichts geworden. &bdquo;Ich hatte immer den Traum, hier ein Wohnprojekt für Alt und Jung zu realisieren.“ Im Grunde wäre das Haus dafür ideal, genau wie die Lage, der schöne Garten und der Innenhof. &bdquo;Ich wäre froh gewesen, wenn ich jemanden gefunden hätte, der hier mit einsteigt. Doch alle Sozialträger, die ich angesprochen habe, haben abgelehnt. Mit der Begründung, dass das Haus zu abseits liegen würde und der Weg zu Einkaufsmöglichkeiten oder zum Arzt zu weit wäre.“ Gespannt, was aus dem langjährigen Knast wird Richtig verstehen kann Sigrid Meyer zu Theenhausen die Argumente nicht. &bdquo;Es gibt eine Bushaltestelle in der Nähe. Und viele der älteren Menschen wären wahrscheinlich ohnehin nicht mehr mobil gewesen und hätten zum Arzt gefahren werden müssen. Ob von uns aus oder vom Zentrum Werthers, ist doch egal.“ Letzten Endes sei dann die Entscheidung für einen Verkauf gefallen - und für sie inzwischen auch okay. &bdquo;Jetzt bin ich einfach mal gespannt, was in Zukunft aus unserem Gefängnis wird.“

Meistgelesen

Groß-WG will in ehemaligem Gefängnis in Werther einziehen

Ex-Gefängnis in Werther wird Groß-WG: Das steckt dahinter

Nach Schussabgabe: Polizei ermittelt gegen JVA-Mitarbeiter

Neustart im Knast: Diese WG macht das Gefängnis in Werther zum Zuhause

Züchterin aus Hingabe: Schafe aus Werther landen niemals beim Schlachter Lieb, zutraulich, mit gewaltigen Hörnern: Tina Esser betreibt in Werther eine Herdbuchzucht mit seltenen Waldschafen. Warum sie ein langes Leben führen dürfen und aktuell die Haller Golfer begeistern.

Bezahlung ohne Bargeld: Wertheraner Bäcker verteidigt Borgholzhausener Kollegin Patrik Kröger von der Bäckerei...