Neustart im Knast: Diese WG macht das Gefängnis in Werther zum Zuhause

Werther-Theenhausen. Es ist ein witziger Moment, als Paul Dobra jüngst vor Ort in Theenhausen auf einen Anlieger trifft. Der muss lachen, als er erfährt, wen er hier vor sich hat: &bdquo;Wir nennen Sie hier alle die Hippies.“ Auch Paul Dobra muss lachen, als er die Geschichte erzählt. &bdquo;Also Hippies sind wir eher nicht“, meint er augenzwinkernd. Wir, das sind zehn Männer und Frauen, die seit Jahren als Wohngemeinschaft unter dem Namen &bdquo;Haus voller Freunde“ in Bielefeld zusammenleben. Und jetzt einen großen gemeinsamen Traum verfolgen: Sie wollen das ehemalige Gefängnis in Theenhausen kaufen und daraus ein nachhaltiges, soziales Wohnprojekt machen. Es ist Freitagmittag, als sich das &bdquo;Haller Kreisblatt“ mit drei Mitgliedern der WG in einem Bielefelder Café trifft. Insgesamt gehören zehn Leute zum &bdquo;Haus voller Freunde“. Das jüngste Mitglied ist 22 Jahre alt, das älteste knapp über 40. Eine Psychologin ist darunter, ein Zimmerer, ein Informatiker, ein Hörakustikermeister. &bdquo;Bei uns ist so ziemlich alles vertreten“, erzählen Linette Weiß, die selbst Biologie und Kunst studiert hat und heute als Köchin arbeitet, Paul Dobra, der Musikinstrumente baut und restauriert, und Sona Wiebe, der Erziehungswissenschaften und Soziologie studiert. &bdquo;Gestartet sind wir 2014 als Drei-Personen-WG in der Nähe der Bielefelder Uni“, erzählt Linette Weiß, die von Anfang an dabei ist. Zur Wohnung in einem alten Hofgebäude gehört ein großer Garten. &bdquo;Oh, ist das schön hier“, diesen Satz hören die Mitglieder häufig. Und so wird der Freundeskreis größer, immer mehr bleiben. Verschiedene Charaktere, verschiedene Hintergründe, die vielfältigsten Interessen und Berufsbilder - &bdquo;aber es klappt gut, weil wir echte Freunde sind“, sagen die drei. Anmeldung als Eigenbedarf war für Groß-WG ein Schock Dann im vergangenen Jahr der Schock: Der Vermieter ihrer Wohnung meldet Eigenbedarf an und kündigt dem &bdquo;Haus voller Freunde“ unverhofft. &bdquo;Auf einmal sollten wir unser Zuhause verlieren. Eine schlimme Vorstellung“, sagen sie. Zwar hatten sie schon davor immer davon geträumt, mal etwas Eigenes zu besitzen, sich auch das eine oder andere Objekt angeschaut. &bdquo;Aber finden Sie mal ein Haus für neun bis 16 Personen. Und einen Verkäufer, der etwas Geduld mitbringt.“ Die drei erklären: Als WG sei man bei der Haussuche total benachteiligt. &bdquo;Es braucht bei uns halt immer länger, bis wir uns alle besprochen und abgestimmt haben.“ Darauf wolle ein Verkäufer meist nicht warten. Ganz anders sei dies glücklicherweise bei der Besitzerin des früheren Theenhausener Gefängnisses. &bdquo;Wir sind unglaublich dankbar, dass es mit der Kommunikation so toll klappt“, sagen sie. Wohnen in einem Gefängnis? Wie lustig! Nachdem also die Kündigung ihres Vermieters eingegangen ist, starten die Mitglieder der WG ihre langwierige Suche nach einem geeigneten Objekt. &bdquo;Es war schwierig“, geben sie zu. Zu klein, zu teuer, zu weit entfernt, kein Objekt kommt wirklich infrage, Frust macht sich breit. Und Angst. Was, wenn sie ihre Gemeinschaft aufgeben müssen? &bdquo;Was wir hier haben, finden wir nie wieder“, da sind sich alle sicher. Der tägliche Blick in die Immobilienportale wird zur Belastung. &bdquo;Wir kannten jedes Objekt in Bielefeld“, erzählen sie. Und dass sie sich in ihrer Not fast für ein Gebäude entschieden hätten, das eigentlich überhaupt nicht ihren Vorstellungen entsprach, nur, um überhaupt etwas in der Hand zu haben. Und dann gibt ihnen eine Bekannte einen Tipp, dass in Werther ein ehemaliges Gefängnis zum Verkauf steht. &bdquo;Nicht ganz ernst gemeint“ sei der Hinweis gewesen, erzählen die drei und müssen lachen. Trotzdem hätten alle gedacht: &bdquo;Oh, wohnen in einem Gefängnis? Das wäre ja lustig!“ Eigene Immobilie ist hohe finanzielle Verantwortung Die Mitglieder der WG fackeln nicht lange und fahren spontan nach Theenhausen. Es ist der Spätsommer 2024. Der erste Eindruck: &bdquo;Das ist aber schön hier!“ Fast alle können sich vorstellen, wie das Haus einmal aussehen könnte. Es gibt mehr als genug Räume, eine große Küche, Möglichkeiten für Seminare oder andere Veranstaltungen, viel Natur drumherum, und das alles nicht weit entfernt von Bielefeld. &bdquo;Abends sind wir noch mal hingefahren, um zu schauen, ob man den Lärm von der Borgholzhausener Straße hört“, schildert Linette Weiß. Ergebnis: Alles ruhig! Sollte man es tatsächlich wagen? Ein so großes Gebäude, das energetisch saniert werden muss, überhaupt erheblichen Sanierungsbedarf hat? Wirklich die - auch finanzielle - Verantwortung für eine eigene Immobilie eingehen? Groß-WG-Mitglieder empfinden großes Glücksgefühl in Werther Die WG-Mitglieder gehen auf Nummer sicher und holen sich externen Rat ein. Der bringt die Entscheidung: &bdquo;Was wollt ihr noch weiter suchen? Ihr habt hier euer perfektes Haus gefunden!“ Auch wenn letzte Details noch abgestimmt werden müssen: Man merkt den jungen Leuten an, welches Glücksgefühl sie inzwischen empfinden. Bald nicht mehr angewiesen zu sein auf das Wohlwollen eines Vermieters, sondern selbst entscheiden zu können: &bdquo;Das ist großartig!“, sagen sie. Angst, es nicht zu schaffen, haben sie keine. Oder jedenfalls fast keine. Zwar sind sie realistisch und wissen: &bdquo;Es könnte viel schief gehen.“ Aber dann überwiegt die Vorfreude auf das, was kommt. Sie wollen endlich anpacken und ihr Zuhause nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten. Auch vor körperlicher Arbeit scheuen sie sich nicht. Dass es in Theenhausen viel zu tun gibt, ist ihnen klar. Dass sie so viel wie möglich selber machen wollen, auch. So nachhaltig und ökologisch, wie es nur geht. Alle persönlichen Konflikte sind längst ausgetragen Aktuell sind sie dabei zu überlegen, wie sie das alte Gebäude energetisch sanieren können. Und wie sie nach und nach den Um- und Ausbau vornehmen wollen. &bdquo;Der Vorteil ist, dass wir schon so viel gemeinsame Wohnerfahrung haben. Alle persönlichen Konflikte haben wir schon vor langer Zeit ausgetragen.“ Und sie wohnen nicht nur unter einem Dach, sie waren auch schon mehrfach miteinander in Urlaub, haben Weihnachten und andere Feste zusammen gefeiert, sogar einen eigenen Song geschrieben. &bdquo;Für mich und die meisten von uns ist das &bdquo;Haus voller Freunde“ wie eine zweite Familie“, sagt daher Sona Wiebe. Lesen Sie auch: Frust über &bdquo;irrsinnigen Hauruck-Auszug“ aus dem Gefängnis in Werther Die Planungen der WG sind inzwischen weit fortgeschritten. Mit der Noch-Eigentümerin sei man sich einig, der Kaufvertrag nahezu unterschriftsreif, die finanzielle Seite geklärt, die rechtliche ebenfalls. Und die funktioniert nach dem Prinzip: Alle sind gleichberechtigt, keine Person wird der Haupteigentümer der Immobilie. Hoffnung auf Umzug nach Werther im Frühjahr Dazu hat die WG ihr &bdquo;Haus voller Freunde“ als Verein eintragen lassen. Dieser ist alleiniger Gesellschafter einer GmbH, die wiederum das Gebäude kaufen wird. Die WG-Mitglieder mieten dann ihre privaten Räume beim Verein. &bdquo;Solche Projekte gibt es in Deutschland eine ganze Reihe und sie funktionieren gut“, erzählen die drei. Die Bauvoranfrage beim Kreis sei gestellt, auch das Bauamt in Werther habe sie toll unterstützt. &bdquo;Klasse, wie man dort unsere Vision geteilt hat“, freuen sich Linette Weiß, Paul Dobra und Sona Wiebe. In drei Monaten, hoffen sie, wird ihr Antrag auf Umnutzung genehmigt. Dann können sie ins ehemalige Gefängnis einziehen. &bdquo;Mal sehen, was wir dieses Jahr noch hinbekommen. Wir sind voller Ideen. Alles fühlt sich unheimlich gut an! Es ist irre, wie viel Energie alle mitbringen!“ Künftig wollen sie in ihrem sozialen Wohnprojekt das machen, was sie schon heute tun: Leute zusammenbringen. Und einen Wohnort schaffen, bei dem der Preis eines Zimmers nicht von der Mietpreisentwicklung abhängt. Sie wollen Workshops anbieten, Kreativaktionen, soziale Projekte. Auch mit dem benachbarten Biohof können sie sich eine Kooperation vorstellen. &bdquo;Das wird alles die Zukunft bringen.“ Besonderer Ort ist das Tüpfelchen auf dem i Eines können sie schon heute sagen: dass die Kündigung ihrer Wohnung zwar ein harter Schlag war, sie dafür jetzt umso glücklicher sind. &bdquo;Vielleicht war dies der entscheidende Anstoß, den wir gebraucht haben, wirklich unsere eigene Immobilie zu kaufen. Dass es ein ehemaliges Gefängnis wird, ist dabei das Tüpfelchen auf dem i.“ Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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