
Werther. Um kurz nach sieben am Sonntagabend hat Veith Lemmen nach eigenem Bekunden schon mehr als 100 Nachrichten auf seinem Telefon, da klingelt es. „Jetzt ruft er an", sagt Wertherscher frisch gewählter künftiger Bürgermeister und zeigt das Display: Da ist „Norbert Walter-Borjans" zu lesen. Kurz scheint es, als wolle Lemmen „seinen" Bundesvorsitzenden wegdrücken und erst das Pressegespräch zu Ende führen. Dann drückt er die grüne Taste. „Grüß dich No-Wa-Bo." Sein Gesprächspartner beglückwünscht zum Stichwahlsieg.
Bevor Berlin gratuliert, hat Lemmen schon die Runde durch seinen baldigen Arbeitsplatz gemacht. Im Ratssaal hat es den Blumenstrauß von Wahlleiter Guido Neugebauer gegeben. Noch-Amtsinhaberin Marion Weike hat ihren Parteigenossen Lemmen beschworen, es „ja ordentlich zu machen" als Bürgermeister. Konkurrent Johannes Decius hat Lemmen – mit Maske – den Arm um die Schulter gelegt. Und von Ehefrau Wiebke Esdar hat es einen dicken Kuss gegeben.
Jetzt sitzt Veith Lemmen am ansonsten verwaisten Tisch, der in Coronazeiten für die UWG gedacht ist, und die Anspannung des Wahltags fällt sichtbar von ihm ab. Im Gottesdienst ist er gewesen, später hat er das Fußballspiel von Werthers B-Mädchen gegen den DSC Arminia angeschaut. In allen Wahllokalen Werthers hat er sich bei den Wahlhelfern und -helferinnen für deren „Einsatz für die Demokratie" bedankt. Den danken ihnen auch die Bürger und Bürgerinnen, denn die Wahlbeteiligung von 57,14 Prozent ist für eine Stichwahl ordentlich.
„Ich musste den Tag über in Bewegung bleiben wegen der Nervosität", sagt Lemmen. Irgendwann habe er sich zu Hause 30 Minuten auf dem Sofa gegönnt. „Es war eine besondere Situation und eine intensive Zeit", sagt Werthers künftiger Bürgermeister mit Blick auf die vergangenen Monate – und meint nicht nur den Wahlkampf. „Ich war von Tag zu Tag zuversichtlicher", verrät Lemmen. Gleichzeitig hieß es für ihn irgendwann: „Jetzt muss es aber auch klappen."
„Nicht jeder Wertheraner und jede Wertheranerin wird immer mit allem einverstanden sein"
Vielleicht werde es jetzt in den Herbstferien für drei, vier Tage zur Entspannung rausgehen. Gespräche mit Marion Weike, um eine gute Amtsübergabe zu gewährleisten, werde es selbstverständlich in Kürze geben. „Aber ich werde sicherlich nicht ab Montag der Schattenbürgermeister sein", sagt Lemmen mit einem Augenzwinkern.

Der unterlegene Johannes Decius verlässt recht schnell nach Bekanntwerden des Endergebnisses das Rathaus. Eine Flucht ist es nicht. Hier ist einer mit sich im Reinen. „Ich kann mir nichts vorwerfen", sagt Decius mit Blick auf seine gut 45 Prozent Stimmenanteil und auf den Wahlkampf, den er geführt hat. Von seinem UWG-Team hat es ein Erinnerungsfoto an die Kommunalwahlen 2020 gegeben. Lächelnd hält es Decius in die Kamera.
Heute wird der Gymnasiallehrer ab der dritten Schulstunde seinen Biologieleistungskurs unterrichten. „Sie werden sehr froh sein, dass ich sie jetzt aufs Abitur vorbereite", sagt Decius. In Werthers Kommunalpolitik will sich der UWG-Bürgermeisterkandidat einbringen, auch wenn er kein Ratsmandat hat. Vielleicht als sachkundiger Bürger mit seiner Expertise in Schule und Sport.
An seinem siegreichen Mitbewerber soll ein konstruktives Miteinander nicht scheitern. „Ich werde das Amt verantwortungsvoll ausfüllen", verspricht Veith Lemmen und stellt den politischen Entscheidungsträgern eine pragmatische Zusammenarbeit in Aussicht. „Nicht jeder Wertheraner und jede Wertheranerin wird immer mit allem einverstanden sein", sagt Lemmen. „Aber ich bin sicher, dass es gute Jahre werden."