
Es ist eine regelmäßige Frotzelei, die ich mir mit meinem Vater (74 Jahre) gönne. Wenn er mal wieder von einer Begegnung oder einem Gespräch berichtet – und ich schon weiß, worauf er hinauswill –, dann komme ich ihm zuvor: „Lass mich raten, die konnten nicht fassen, dass du schon so alt bist.“
Dann grinst er, tadelt mich für meine Unverschämtheiten und ist zugleich ein wenig stolz. Genauso wie auf die Tatsache, dass er noch einen Minijob hat. „Das tut mir gut“, sagt er dann – und ausnahmsweise stimme ich ihm hier uneingeschränkt zu. Es geht ihm dabei nicht nur darum, seine „Rentnerkasse“ aufzubessern. Sondern er zieht Befriedigung daraus, seinen Beitrag zu leisten, im Austausch mit den Kollegen zu sein, eine gewisse Struktur zu behalten, die er aus seinem Arbeitsleben kennt.
Und umso gelassener pariert er dann meine nächste Frotzelei, wenn ich ihn am Telefon weit jenseits von 8 Uhr dann doch einmal beim Frühstück erwische: „Na, heute mal ausgeschlafen, Herr Rentner?“ Denn über diese Freiheiten freut er sich dann genau wie auf den nächsten Arbeitstag.
Nach 45 Jahren wird Hallerin noch einmal Chefin in ganz anderer Branche
Und damit steht er weiß Gott nicht alleine da. Wie häufig berichten wir im „Haller Kreisblatt“ darüber, dass Menschen nach einem jahrzehntelangen erfüllten Arbeitsleben in den „wohlverdienten Ruhestand“ wechseln – und im Gespräch mit unserem Reporter stellt sich dann heraus, dass die Rentner keinesfalls nur mit Schaukelstuhl, Stricken und TV planen.
Sie suchen sich neue Aufgaben, neue Projekte, planen einen weiteren Lebensabschnitt. Der aufgrund unserer medizinischen Fortschritte zum Glück im Schnitt länger dauert als noch eine Generation zuvor. Es müssen dabei nicht immer Jobs sein – manche übernehmen wichtige und zeitintensive Ehrenämter, andere erkunden reisend noch einmal die Welt.
Doch hier soll es um die arbeitenden Rentner gehen. Denn die sind damit meist nicht nur glücklich, sondern auch sehr gefragt. Meine Kollegin Tasja Klusmeyer hat jetzt die durchaus erstaunliche Geschichte von Christiane Becker erzählt: 45 Jahre hatte sie einen verantwortungsvollen Job im Haller Klinikum – jetzt übernimmt sie mit 64 Jahren die Leitung des Kiosks am Bad Rothenfelder Freibad. Wird also Unternehmerin, wo immer noch viele mit dem Arbeitsleben abgeschlossen haben.
Lokführer mit 63? Happy End in Versmold bleibt wohl aus
Und fest steht: Wir brauchen die älteren Arbeitnehmer auf ihrem zweiten Karriereweg, sie sind gefragt wie nie. Übernehmen Verantwortung wie Christiane Becker, springen an anderer Stelle ein, wenn Not am Mann ist, oder sorgen mit ihrer Präsenz dafür, dass so mancher Dienstplan eingehalten werden kann.

Es gibt natürlich auch die Kehrseite der Medaille: Dabei wäre der Versmolder Klaus Flottmann mit seinen 63 Jahren eigentlich prädestiniert gewesen für eine solche Erfolgsstory. Denn er stürzte sich noch einmal in eine völlig neue Ausbildung zum Lokführer – und wird wohl nun daran scheitern, dass er kein Praktikum findet, um seine Ausbildung abzuschließen.
Gibt es also immer noch die Bereiche, in denen die Älteren keinen Job mehr kriegen? In diesem Fall mag es auch daran liegen, dass Klaus Flottmann aufgrund seiner familiären Situation mit einem pflegebedürftigen Vater (noch so ein Job, den immer mehr Ältere miterledigen) nicht so flexibel war, was den Arbeitsort betrifft.
Längeres Arbeiten ermöglicht heute mehr Freizeit
Und der Versmolder macht zudem keinen Hehl daraus, dass er noch ein paar Jahre arbeiten muss, um seine vollen Rentenansprüche abzusichern. Damit mich hier niemand falsch versteht: Ich will Arbeit im Alter hier keinesfalls als Weg zur Glückseligkeit deklarieren – womit wir wieder beim „wohlverdienten Ruhestand“ wären. Der steht den Menschen nach einem langen Berufsleben auch zu. Bitter, dass ihn sich viele dann nicht einmal leisten können – und dazuverdienen müssen.
Doch auch abgesehen davon gibt es Verschiebungen in unserer Arbeitswelt. Das zeigt unser Bericht über eine junge Krankenschwester, die sich nach ihrer Ausbildung bewusst für eine Teilzeitstelle entschieden hat – und dabei zumindest temporär weniger in die Rentenkasse einzahlt. Sie profitiert heute von mehr Freizeit und will ihre Altersvorsorge individuell steuern.
Klar ist jedoch auch: Wenn wir heute weniger arbeiten, brauchen wir zum einen unsere aktiven Rentner mehr denn je – und werden zum anderen selbst im Schnitt später länger arbeiten müssen. So lange das auch mit individuellem Glück und Erfüllung verbunden ist, geht die Rechnung auf und wir federn den demografischen Wandel und den Trend zu weniger Wochenstunden zumindest etwas ab.
Altersarmut bleibt weiterhin große Gefahr
Doch was ist mit denen, die gesundheitlich eben nicht mehr in der Lage sind, ab 65 noch einmal fröhlich zehn Jahre dranzuhängen? Die aber eigentlich dringend darauf angewiesen wären? Diese Altersarmut zu verhindern und Menschen aufzufangen, wird neben der Pflege eine der größten sozialen Aufgaben der kommenden Jahrzehnte werden. Und dabei sind wir alle gefragt. Womöglich auch als fröhlich arbeitende Rentner. Womit wir wieder bei meinem Vater wären – für jeden Tag Ausschlafen ist es bei dem definitiv noch zu früh.
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