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Nach schwerem Schlaganfall: Borgholzhausener findet zurück in den Alltag

Matthias Poltrock (61) aus Borgholzhausen ist gerade aus dem Urlaub zurück, als ihm schwindelig wird. Seine Frau erkennt die ernste Lage und ruft den Notarzt. Und die Feuerwehr braucht es auch.

Mit geballter Power findet der Borgholzhausener Künstler Matthias Poltrock (61) nach seinem schweren Schlaganfall im Januar 2024 den Weg zurück ins knallbunte Leben. | © Nicole Donath

Nicole Donath
07.04.2024 | 17.04.2024, 13:53

Borgholzhausen. Es ist der 21. März, als sich Matthias Poltrock auf Facebook meldet. „Nach meinem schweren Schlaganfall Ende Januar war ich gestern nach Krankenhaus und Reha das erste Mal wieder im Atelier in Dauntown. Herrlich!!!!!“ - Bitte, was? Schwerer Schlaganfall? Herrschaftszeiten, im Januar hatte man doch gerade noch Kontakt, sich ein gutes neues Jahr gewünscht, über die Kunst ausgetauscht und ebenso die kleine und die große Welt. Nichts deutete da auf eine Krankheit hin. Seine Social-Media-Freunde sind erschrocken, wir sind es auch. Und haben den Rekonvaleszenten getroffen. In Dauntown, klar, mitten im knallbunten Leben. Das ist sein Ziel.

Der 61-Jährige geht durch die weitläufigen Ateliers der Industriebrache, irgendwo mitten in Kleekamp. Quer durchs Erdgeschoss, dann eine Etage hoch. Sein Gang, nein, der ist nicht mehr ganz derselbe, jetzt beugt er sich weiter nach vorn. Als Matthias Poltrock schließlich eine kleine Ecke zum Sitzen ausgewählt hat, zieht er die Jacke aus, etwas umständlich noch. Dann zuppelt er an einer kleinen Tasche, die er sich umgehängt hat. „Die brauche ich neuerdings. Fürs Handy, für Schlüssel ...“ Er zuckt mit den Schultern, aber lächelt, zumindest ein klein wenig. „Das Leben ist ein anderes geworden. Aber ich verspüre große Dankbarkeit, sehr große Dankbarkeit.“

Für einen Moment blickt er auf den Tisch und sagt nichts, schließlich schaut er auf seine linke Hand. „Die Hand soll ich immer wieder angucken“, sagt er. „Ich soll mich auf sie konzentrieren, das soll helfen. Damit sie wieder mehr auf meine Kommandos hört.“ Anstrengend sei das, richtig anstrengend. „Wenn du das zwei Stunden gemacht hast, denkste echt, du wirst verrückt.“ Aber Matthias Poltrock will sich nicht beklagen, nicht jammern, im Gegenteil. Und erzählt weiter mit einer Stimme, die leiser und rauer und auch etwas höher ist als früher, was ihm passiert ist.

Schwindel und merkwürdiges Gähnen Hinweise auf Schlaganfall

Er war gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt, als er für seine Frau Martina am nächsten Morgen noch das Frühstück gemacht hatte und im Schlafzimmer stand. Und ihm schwindelig wurde. „Ich habe mich auf die rechte Seite gelegt, Augen zu. Das war so, als hätte mich jemand ausgeschaltet.“ Seine Frau, die neben ihm lag, sprach ihn an. „Offenbar habe ich dann auch noch ganz merkwürdig gegähnt - und sie hat sofort gemerkt, was los war“, berichtet Matthias Poltrock. „Ich hatte einen Schlaganfall, sogar einen schweren, wie sich später rausstellte.“

Tränen stehen ihm in den Augen. „Ich bin ja ohnehin nah am Wasser gebaut“, sagt er dann und fährt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. „Aber das ist jetzt noch krasser geworden. Ich bin so dankbar. Hätte Martina nicht so reagiert - ich weiß nicht, ob ich heute noch leben würde.“

Notarzt und Feuerwehr Borgholzhausen schnell da

Ob es die Erinnerung an die amerikanischen Medical-Serien war, die seine Frau bislweilen guckt? Jedenfalls wählte sie die amerikanische Notrufnummer 911, die in Deutschland direkt auf die 112 umgeleitet wird. Und gute zehn Minuten später war schon der Rettungswagen da. „Das war klasse“, sagt Matthias Poltrock und nickt mit dem Kopf. „Doch dann gab es bereits das nächste Problem: Die bekamen mich mit der Trage nicht die Treppe von oben runter.“ Also wurde die Feuerwehr Borgholzhausen gerufen, die herbeieilte. Die hatten eine Tragehilfe mit Tuch und brachten den Patienten in höchster Lebensgefahr in den Rettungswagen. In der nächsten Sekunde ging’s ab nach Gilead.

Auf der Intensivstation voller Angst vor der Zukunft

„Offenbar war ich ganz knapp vor dem Tod“, berichtet Matthias Poltrock. „Jedenfalls sind die Ärzte mit der Hilfe von Kathetern in den Kopf rein und haben zwei Thromben entfernt.“ Erfolgreich. Dann folgten zweieinhalb Wochen Intensivstation. Und nie zuvor sei ihm die Zeit so lang geworden, nie zuvor habe er sich so intensiv mit seinem Leben beschäftigt. „Plötzlich liegst du da, als kleines Menschlein in deinem Bett, und bist so voller Angst vor dem, was kommt. Nichts ist mehr selbstverständlich, nicht einmal der Gang zur Toilette. Und doch hängst du so sehr an deinem Leben ...“

Der Sternenhimmel über uns bleibt immer derselbe, während sich die Welt hier unten ständig verändert. Das hat auch Matthias Poltrock erlebt. - © Nicole Donath
Der Sternenhimmel über uns bleibt immer derselbe, während sich die Welt hier unten ständig verändert. Das hat auch Matthias Poltrock erlebt. (© Nicole Donath)

Trotz der dramatischen Ausgangslage nimmt seine Situation aber schnell eine neue Entwicklung, die durchaus einem Wunder gleichkommt: Matthias Poltrock kann sprechen. Und bald sogar wieder laufen, wenngleich langsam und mit Hilfe. „Wenn du dabei auf die Vollpflegefälle guckst, die es in der Reha gab, so viele, die im Rollstuhl saßen und nicht selbstständig laufen, essen, trinken oder sprechen konnten, dann wird dir ganz anders.“ Wieder hat der bekannte Künstler Tränen in den Augen. Ganz ergriffen ist er und auch demütig. „Ich gucke jetzt noch mal ganz anders auf das Leben.“

Dankbar für die Hilfe von Ehefrau Martina und Freunden

Dass er zurzeit noch an allen Ecken und Enden Hilfe braucht, macht ihm zwar zu schaffen. Einerseits. „Aber das darf ja gar nicht sein, vielmehr bin ich glücklich darüber, wie viel Hilfe ich bekomme“, sagt er dann. „Meine Frau hat jetzt ständig ein Auge auf mich. Meine Freunde fahren mich zum Arzt, zur Physiotherapie, ins Atelier, erledigen Besorgungen. Dass auch die Feuerwehr Borgholzhausen so schnell hier war - das alles ist so toll! Und gar nicht selbstverständlich.“ Aber diese Dankbarkeit, diese so große Dankbarkeit möchte er mit der Welt teilen. Und aufklären.

„Ich wüsste jetzt nicht, was ich hätte im Vorfeld machen können, um einen Schlaganfall zu vermeiden“, sagt Matthias Poltrock. Er lässt seinen Blick durch den Raum schweifen. „Ich war bei allen Vorsorgeuntersuchungen. Und gegen den leichten Bluthochdruck hatte ich bereits Tabletten bekommen. Aber es ist unbedingt wichtig, einen Schlaganfall erkennen zu können, um dann richtig zu handeln. Denn es zählt jede Minute.“ Er nennt den bekannten FAST-Test, bei dem Face (Gesicht), Arms (Arme), Speech (Sprache) und Time (Zeit) eine wichtige Rolle spielen.

Bald geht es regelmäßig zurück ins Atelier Dauntown

Dann greift er zu seiner Jacke, die auf dem Sofa liegt und zieht sie sich, ein bisschen umständlich noch, wieder an. Richtet seine Umhängetasche. Und wirft zurück im großen Atelier prüfende Blicke auf die Arbeitstische und in die Ecken. Wo mit einem Schlag die Arbeit an den knallbunten XXXL-Bildern unterbrochen wurde. „Hier muss ich auch mal wieder aufräumen. Und dann mache ich weiter. Dann darf ich weitermachen. Und dafür bin ich unendlich dankbar, denn das Leben ist so kostbar.“

Aktuell gehen die Ärzte und Therapeuten davon aus, dass sich Matthias Poltrock weiter erholt und sein Körper mittelfristig fast vollständig wieder genesen sein wird.