Der Wochenkommentar

Haller Unternehmen geraten ins Wanken - Kampf um wertvolle Arbeitsplätze

Gleich zwei wichtige Unternehmen verkünden an einem Tag, dass sie schwer in der Krise stecken. Das kostet Hunderte Jobs in der Region. Äußerst fraglich, ob die zurückkehren werden.

Flexicon hat einen Antrag auf Einleitung einer Insolvenz in Eigenverantwortung gestellt. Das Amtsgericht Bielefeld hat diesem Antrag am 13. Juni stattgegeben. | © HK

Marc Uthmann
01.07.2023 | 05.07.2023, 16:42

Was war das für ein mieser Montag. Erst wird öffentlich bekannt, dass der Haller Druckdienstleister Flexicon in eine Schieflage geraten ist. Und am späten Nachmittag schockiert der ohnehin schon seit Jahren angeschlagene Modekonzern Gerry Weber Mitarbeitende und Partner: Das Filialnetz wird auf ein Minimum zusammengestrichen, eine jahrzehntelange Geschäftsstrategie für gescheitert erklärt und der Kampf ums nackte Überleben ausgerufen.

So unterschiedlich die Vorzeichen in beiden Fällen waren und so zufällig die Ballung der Hiobsbotschaften an einem Tag: Für den Wirtschaftsstandort Halle und die gesamte Region bedeuten sie einen großen Rückschlag. Denn nun werden die Folgen der durch Corona und vor allem den Ukraine-Krieg ausgelösten Rezession, von Teuerung sowie Kauf- und Investitionszurückhaltung erneut ganz konkret bei den Menschen spürbar.

Was bei Flexicon passiert, ist dabei nicht zu unterschätzen. Klar stand das Unternehmen nie so im Fokus wie die großen Haller Arbeitgeber Storck oder eben auch Gerry Weber. Doch wurde bei der Ankündigung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung eben auch klar, dass es hier um 185 hochwertige Arbeitsplätze eines soliden Mittelständlers geht. Und die bilden an Standorten wie Halle oder auch den anderen Kommunen in der Region nun mal das Rückgrat der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Ukraine-Krieg hat Krise bei Flexicon noch verschärft

Flexicon arbeitet in der sogenannten Druckvorstufe. Wenn kreative Agenturen Ideen für Verpackungsdesigns entwickeln, ist es an den Hallern, daraus druckfähige Vorlagen zu entwickeln, die genau dem erwarteten Farbspektrum und der optischen Ausgestaltung entsprechen. Mitunter stellen die Experten vom Gartnischer Weg auch die Druckplatten für die spätere Massenproduktion her.

Ein spannende Wertschöpfungsstufe, internationale Kunden, zum Teil große Fische aus der Lebensmittelindustrie - was sollte da schiefgehen? Corona hat alle Branchen erwischt, hier konnte Flexicon in der Krise aber zum Teil sogar profitieren, weil es in bestimmten Bereichen mehr Aufträge gab. Der Ukraine-Krieg hat das Unternehmen nach HK-Informationen indes hart getroffen, weil jetzt überall Sparkurse gefahren werden - und dabei eben auch beim Verpackungsdesign.

Nun muss das Unternehmen schrumpfen. Hatte es einst deutlich mehr als 200 Mitarbeitende, sind es nun noch 185, und die Zahl wird sich wohl noch weiter reduzieren. Maßnahmen, um die sich abzeichnende Krise zu bewältigen, seien eingeleitet worden, heißt es vom Druckdienstleister. Sie würden allerdings erst in den kommenden Monaten ihre Wirkung entfalten.

Zukunft von Gerry Weber ungewisser denn je

Personalabbau ist ein klassisches Sanierungskonzept - ob die Arbeitsplätze wiederkommen, wenn sich die Lage am Markt entspannt, bleibt abzuwarten. Denn sicherlich wird das Unternehmen erst einmal kein Risiko eingehen wollen, auch wenn sich die Rahmenbedingungen wieder verbessern.

Immerhin gibt es eine solide Perspektive - eben weil Flexicon breit aufgestellt ist und die Kunden ihre Verpackungen im gewissen Rhythmus ohnehin auf den neuesten Stand bringen müssen. Da kommt die Expertise der Haller dann wieder ins Spiel.

Angelika Schindler-Obenhaus, Vorstandssprecherin der Gerry Weber International AG, hat angekündigt, um das verbliebene Filialnetz zu kämpfen. - © Nicole Donath
Angelika Schindler-Obenhaus, Vorstandssprecherin der Gerry Weber International AG, hat angekündigt, um das verbliebene Filialnetz zu kämpfen. (© Nicole Donath)

Weit ungewisser sieht der Blick in die Zukunft da schon bei Gerry Weber aus. Denn anders als bei Flexicon haben die Mitarbeitenden des Modeherstellers ja schon eine jahrelange Tour der Leiden hinter sich. Eine Sparrunde jagt die nächste, der Konzern ist schon längst von einst mehr als 6.000 auf gut 2.100 Mitarbeitende geschrumpft - und jetzt sollen noch einmal 425 Vollzeitarbeitsplätze wegfallen. Der Sanierer spricht gar von der "letzten Chance".

Wo soll das Vertrauen der Belegschaft herkommen

Doch wo soll denn das Vertrauen der Belegschaft noch herkommen, die seit Jahren so für den Fortbestand des einst so stolzen Unternehmens kämpft? Denn irgendwann wird das Mittel des Personalabbaus an seine Grenzen kommen. Und überhaupt: Mit den Mitarbeitenden verlässt ja auch Know-how den Modehersteller. Wer soll irgendwann noch die Impulse setzen?

Die widersprüchlichen Signale der Verantwortlichen tragen darüber hinaus nicht dazu bei, das Vertrauen darin zu erhöhen, dass diese Sanierungsrunde nun endlich Erfolg haben wird. Einerseits setzt man mit der Schließung von 122 der 177 Standorte ein Zeichen dafür, dass der Filialkurs gescheitert ist und man sich wieder als Modegroßhändler definieren will. Andererseits hält CEO Angelika Schindler-Obenhaus an der Aussage fest, sie stehe zur Filiale.

Bei Gerry Weber jedenfalls sind weitere hunderte Arbeitsplätze weg, auch die Zentrale in Halle wird weiter ausgedünnt. Und ob dieser wichtige Arbeitgeber jemals in der Lage sein wird, wieder mehr Menschen eine berufliche Perspektive zu geben, ist seit dem "miesen Montag" fraglicher denn je.

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