"Letzte Chance" für Haller Modekonzern Gerry Weber - Chefin erntet Frust

Halle. Am Mittwoch sah sich Angelika Schindler-Obenhaus auf ihrem Instagram-Account (gut 70.000 Follower) schließlich zu einem ernsthaften Post genötigt: "Montag tat es sehr weh! So weh, wie ich es mir nie hätte vorstellen können", schreibt die Vorstandschefin des sanierungsbedürftigen Haller Modekonzerns Gerry Weber und gesteht noch einmal offen ein: "Der vor mehr als 10 Jahren eingeschlagene Kurs einer zu ambitionierten Expansion des eigenen Retail hat sich als nicht marktgerecht und zukunftsfähig erwiesen." Das "Filialnetz der Zukunft" umfasse weniger Standorte, betont die Chefin. Angesichts der Schließung von 122 der zuvor bestehenden 177 Outlets und Stores könnte man indes auch von einer radikalen Streichung des Filialnetzes sprechen. Schindler-Obenhaus schreibt ihren Followern, dass man sich nun auf moderne, bereits profitable Standorte "in guten Lagen" fokussiere. Auch für sie persönlich sei der Schritt eine "Zäsur", da es bei den wegfallenden 424 Vollzeitstellen um Kolleginnen und Kollegen gehe, die zum Teil seit Jahrzehnten für Gerry Weber gearbeitet und für das Unternehmen "gebrannt" hätten. "Wir haben mit einem Großteil der Kolleg:innen gesprochen. Das war sehr emotional. Ich bin jetzt noch angefasst", schreibt Schindler-Obenhaus noch und ergänzt, dass sie hoffe, "dass all diese Kolleg:innen schnell ein neues berufliches Zuhause finden." Sie schließt mit einem Aufruf an ihr Netzwerk, sich zu melden, wenn man "Top-Modeberater" oder Mitarbeitende in anderen Unternehmensbereichen suche. Statement als Reaktion auf kritische Stimmen aus der Gerry-Weber-Belegschaft am Montag Offenbar ist dieses Statement eine Reaktion auf den Gegenwind, den die Managerin mit ihrem Auftritt bei Instagram am Montag erntete. Ergänzt unter anderem mit den Hashtags "toughtimes", "Respekt" und "Wertschätzung" war die Vorstandsvorsitzende in den Tag gestartet, an dem sie weitere Massenentlassungen verkünden würde. Und hatte das modische Selbstporträt mit dem Satz "Respekt - vor den Aufgaben des Tages" versehen. Der lässige Auftritt kam bei einigen Followern im Nachgang alles andere als gut an. "Ich hoffe, der Urlaub war schön. Für das Personal von Gerry Weber ist es jetzt weniger schön", schreibt eine Userin mit Blick auf die Ferienimpressionen und Sinnsprüche, die Schindler-Obenhaus in den Tagen zuvor mit ihren Followern geteilt hatte. Ein anderer Kommentar beklagt einen "katastrophalen Tag" bei Gerry Weber und dass man für das Unternehmen als Person "nichts zähle". "Würde mich auch gerne jeden Morgen, bevor ich zu Gerry arbeiten gehe, einfach schick präsentieren. Habe vorhin erfahren, dass unsere Filiale geschlossen wird und somit mein Job wegfällt", lautet eine weitere Stellungnahme. Ein Statement weist darauf hin, dass Schindler-Obenhaus erst im Mai gepostet hatte: "Good things are coming". Gute Nachrichten folgten allerdings nicht. Und das, obwohl die Gerry-Weber-Chefin noch im April, als das Unternehmen einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für den Retail-Bereich gestellt hatte, öffentlich betonte: "Wir glauben fest an die Filiale." Dieser Glaube dürfte nun bei zahlreichen Mitarbeitenden des Konzerns nachhaltig erschüttert sein. Spätestens jetzt ist klar: Gerry Weber muss auch als Großhandelsunternehmen in der Modebranche in den kommenden Monaten ums nackte Überleben kämpfen. Und wie schnell Pläne derzeit überholt sind, zeigen die am Montag bekannt gewordenen Verschärfungen des Sparkurses und die erstmals öffentlich bekundete Abkehr vom Filialnetz. "Können es verstehen, wenn Mitarbeitende frustriert sind" Das will der Konzern auf Anfrage des "Haller Kreisblatts" allerdings so nicht stehen lassen: "Wir glauben fest an die Filiale gilt auch heute noch", heißt es in der Stellungnahme. "Unser Filialnetz wird zwar kleiner sein, hat aber eine wichtige Funktion. Die Filiale ist wichtig für die Markenführung. In der Filiale werden unsere Marken für unsere Kundinnen mit allen Sinnen erlebbar gemacht, hier werden echte Marken- und Einkaufserlebnisse geschaffen. Hier finden Austausch und persönliche, individuelle Beratung statt. Dadurch werden die digitalen Shoppingwelten durch echte Mehrwerte ergänzt." Das dürfte indes den Frust all jener Mitarbeitenden nicht lindern, die ihren Job bald verlieren werden. "Wir können es verstehen, wenn Mitarbeitende frustriert sind", teilt das Unternehmen dazu gegenüber dem HK mit. "Sie alle haben sich immer mit viel Leidenschaft und Energie für unser Unternehmen und unsere Marken eingesetzt. Mit einer enormen Power. Dass wir uns nun erneut neu aufstellen müssen und so harte Schnitte notwendig sind, ist für unsere Mitarbeitenden natürlich eine schwierige Situation. Auch wir hätten uns die anderes gewünscht, haben aber keine andere Option." Der als Sanierer eingesetzte Dr. Christian Gerloff wurde diesbezüglich sogar noch deutlicher: "Gerry Weber muss diesen Sanierungsprozess konsequent nutzen, um trotz aller Widrigkeiten im Markt eine nachhaltig profitable Geschäftsbasis zu schaffen. Eine weitere Chance dazu wird das Unternehmen nicht bekommen." Mancher Post dürfte der Belegschaft übel aufstoßen Mit Blick auf die Ereignisse der vergangenen Tage mutet es da fast schon grotesk an, dass Schindler-Obenhaus - die ihren Account immer wieder auch für berufliche Botschaften nutzt - manch flapsigen Sinnspruch postete. "Man muss übrigens gar nichts machen, wenn man die To-Do-Liste einfach anzündet", lässt die Chefin des Unternehmens ihre Insta-Follower am 20. Juni wissen. In jener Woche also, in der bereits Entlassungen kommuniziert wurden. Da liegt es nahe, dass sich vor allem mittlerweile gekündigte Mitarbeitende verhöhnt fühlen könnten. Der betreffende Post, mit dem das HK das Unternehmen auch konfrontierte, wurde übrigens noch am Mittwoch vom Account der CEO entfernt. Wie wollen die Verantwortlichen ihrer Belegschaft jetzt eine glaubwürdige Perspektive aufzeigen? "Wir haben für unser Unternehmen eine Strategie", teilt der Modehersteller dazu mit. "Und wir haben einen Plan, wie wir diese umsetzen. Wir glauben daran, dass wir eine nachhaltig profitable Basis für unser Unternehmen schaffen können, wenn wir den Sanierungsprozess konsequent nutzen." Das versuche man dem gesamten Führungsteam und den Mitarbeitenden zu vermitteln und ihnen auch wieder Zuversicht zu geben. "Der Kommunikation kommt dabei eine ganz wichtige Rolle zu." Was die Zukunft des Standortes Ravenna-Park in Halle angeht, hat Gerry Weber auf Anfrage allerdings noch keinen Durchbruch zu verkünden. Das Outlet werde man weiterführen, heißt es vom Unternehmen. "Ob die Fläche gegebenenfalls angepasst wird, ist Inhalt von noch laufenden Gesprächen." Die werden aktuell mit dem Käufer des Logistikzentrums, dem Unternehmen Walbusch, geführt. Offen ist zudem, in welchem Umfang Gerry Weber besagtes Logistikzentrum künftig nutzen will. "Auch hierzu befinden wir uns aktuell in konstruktiv geführten Gesprächen, die noch andauern. Daher können wir hierzu noch keine Angabe machen." Abseits dieser Weichenstellungen dürfte es für die Verantwortlichen in diesen Tagen vor allem darum gehen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

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