Der Tod kennt keine Feiertage: Diese Momente haben eine Hallerin sehr bewegt

Die derzeit 13 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Hospizgruppe Halle sind auch an den Weihnachtstagen im Einsatz gewesen. Gründungsmitglied Ursula Ziesché erinnert sich an Begegnungen der vergangenen Jahre und an viele glückliche letzte Momente.

Symbolbild | © CC0 Pixabay

Uwe Pollmeier
29.12.2019 | 30.12.2019, 08:56

Halle. Die Weihnachtsfeiertage sind vorbei, die meisten Wünsche sind erfüllt und das Resultat des Konsumrauschs stapelt sich unter den bunt geschmücktem Tannenbaum. Manche Menschen aber hatten nur kleine Wünsche und das lag gerade dann, wenn ihnen bewusst war, dass sie wohl zum letzten Mal in ihrem Leben Weihnachten feiern werden. „Wer unsere Unterstützung in Anspruch nimmt, ist sterbenskrank", sagt Ursula Ziesché von der Hospizgruppe Halle. Vier Schwerstkranke haben sie und ihre derzeit zwölf ehrenamtlich tätigen Kolleginnen der 2007 gegründeten Gruppe in den vergangenen Tagen betreut. Mal genügte ein Händedruck, mal ein Gespräch oder auch nur die Nähe einer anderen Person.

„Weihnachten ist immer eine ganz besondere Atmosphäre. Es ist schön, nicht bedrückend. Und mir selbst fehlt nichts, wenn ich mal eine Stunde weg bin. Man kann doch an Weihnachten nichts Schöneres machen, als sich Zeit für andere zu nehmen", sagt Ursula Ziesché.

Ein letztes Lied am Sterbebett

Wenn sie an die besinnlichen Tage im Dezember denkt, kommt ihr die Geschichte von Elisabeth K. (Name geändert) in den Kopf. „Die Dame hatte viele Jahre im Kirchenchor gesungen, war aber mittlerweile kaum noch ansprechbar und reagierte nicht mehr", sagt Ursula Ziesché. Vor einigen Jahren kurz vor Weihnachten kamen dann noch einmal frühere Mitglieder des Chores zu ihr und sangen »Lobe den Herren«, eines ihrer Lieblingslieder. K.s Augen begannen zu glänzen und sie summte mit einem Lächeln das Lied mit. In der darauffolgenden Nacht verstarb sie.

Ursula Ziesché von der Hospizgruppe Halle - © Uwe Pollmeier
Ursula Ziesché von der Hospizgruppe Halle (© Uwe Pollmeier)

Man sagt, dass bei Sterbenden unmittelbar vor dem Tod noch einmal die letzten Lebensgeister geweckt werden und es ihnen noch einmal ungewöhnlich gut geht. Ziesché kann dies in vielen Fällen bestätigen. „Es gab einmal eine Frau, die bekam kaum noch etwas mit. Plötzlich bat sie mich an Heiligabend um ein Glas Rhabarbersaft", erinnert sich Ursula Ziesché. Um ihr den Wunsch erfüllen zu können, fuhr die Hallerin noch schnell zum nächsten Supermarkt und kaufte den Saft. Kaum hatte die alte Dame davon getrunken, begann sie ungewöhnlich klar und deutlich zu sprechen. „Sie wusste genau, was wir machen. Sie bat mich, sitzenzubleiben, und gemeinsam tranken wir Kaffee und aßen Kuchen", erinnert sich die Hospizhelferin. Glücklich ging die Frau am Abend ins Bett und verstarb in der Nacht zum 1. Weihnachtsfeiertag.

Der Tod ist nicht furchtbar

„Sterben macht natürlich Angst, und es wird gerne verdrängt. Aber es gehört dazu, ist Teil des Lebens", sagt Ursula Ziesché. Der Tod sei nichts Furchtbares, gerade in der letzten Lebensphase sei das Leben intensiv. Auch in den Tagen zwischen den Jahren, an denen Gefühle im Allgemeinen verstärkt werden – insbesondere gilt dies für das der Einsamkeit.

Ursula Ziesché selbst hat ein Schlüsselerlebnis dazu gebracht, die 100-stündige Ausbildung zur Hospizmitarbeiterin zu absolvieren. Sie sah vor vielen Jahren ihre Tante im Krankenhaus sterben und sie vermisste dabei jegliche Würde. „Ich kann nicht die Welt ändern, das war mir klar. Aber ich könnte dafür sorgen, dass Menschen beim Sterben ihre Würde behalten", sagt die 57-Jährige.

„Oft wird erst sehr spät angerufen", sagt Ursula Ziesché, und dennoch sei jede Minute kostbar. Viele hätten Hemmungen, sich zu melden und das tröstende Angebot im Angesicht des Todes anzunehmen. Die Längen der Begleitungen sind ganz unterschiedlich. „Eine Person starb noch in der Nacht nach dem Erstbesuch, eine andere habe ich elf Monate lang begleitet", sagt die dreifache Mutter, die auch in der katholischen Kirche aktiv ist. Ob zu Hause, im Krankenhaus oder im Seniorenheim – die Mitglieder der Hospizgruppe kommen überall hin.

Insgesamt 17 Klienten wurden im Jahr 2018 begleitet. Einmal für zwei Stunden, aber auch mal für 152 Stunden. „Insgesamt hatten wir 365 Besuchsstunden. Rechnet man die Fortbildungen und Bürotätigkeiten hinzu, kommen wir auf knapp 1.400 ehrenamtlich geleistete Stunden."

Man kennt Menschen und ihre Macken nicht

Wer den regelmäßigen Kontakt zu sterbenskranken Menschen als belastend und niederschmetternd ansieht, denkt nicht weit genug. „Das höre ich sehr oft. Wir lachen durchaus viel, aber natürlich sind wir auch mal verdammt traurig", gesteht Ziesché. Die Form der Hilfe sei auch sehr vielseitig. Mal reiche ein Gespräch, mal bedürfe es des Haltens einer Hand. „Wir sind unvoreingenommen, kennen den Menschen und seine Macken nicht", sagt Ziesché und erklärt somit, warum viele Klienten schnell Vertrauen zum Hospizgruppenteam gewinnen.

„Menschen gehen nicht leicht von der Welt", weiß die 57-Jährige, und sie und ihre Kolleginnen brauchen manchmal selber jemanden zum Reden, um die Erlebnisse zu verarbeiten. „Es fällt einem allerdings leichter, weil es ja keine familiäre Bindung gibt. Es herrscht eine gewisse professionelle Distanz", sagt Ursula Ziesché.

Der Tod sei für sie etwas Normales. Sie habe davor keine Angst. „Aber ich kann nicht versprechen, dass die Angst mich im letzten Moment nicht doch noch überkommen wird", gesteht sie. Ihr eigenes Leben sei durch die Hospizarbeit besser geworden, da sie es intensiver lebe und Momente mehr genieße. „Jeder im Team erlebt halt besondere Geschichten."