Der Wochenkommentar

Philippinische Auszubildende in Halle - ist das ein Grund zur Freude?

Drei Menschen sind vom südostasiatischen Inselstaat nach Deutschland gekommen, um beim Marktkauf Speicher zu arbeiten. Doch der neue Weg im Kampf gegen den Fachkräftemangel wirft auch Fragen auf.

Kriz Alethea Manalo (v. l.), June Angelo Jacinto und Michaelle Benban Mondido beginnen eine Ausbildung beim Marktkauf Speicher. | © Uwe Pollmeier

Marc Uthmann
25.10.2025 | 25.10.2025, 09:08

Das Foto meines Kollegen Uwe Pollmeier suggeriert maximale Zufriedenheit: Silvia und Oliver Speicher recken ihm ebenso den Daumen entgegen wie Kriz Alethea Manalo, June Angelo Jacinto und Michaelle Benban Mondido. Die Inhaber des Haller Marktkauf Speicher begrüßen ihre neuen Auszubildenden von den Philippinen. Nach einigen bürokratischen Hürden hat der Supermarkt neue Mitarbeitende, und die drei Azubis erhalten die Perspektive auf ein wirtschaftlich besseres Leben. Ende gut, alles gut - eine der viel zitierten „Win-win-Situationen“?

Beim zweiten Blick auf die Rahmenbedingungen dieses Fachkräfte-Deals schleichen sich da doch leichte Zweifel ein. Natürlich - und das betonen die Speichers auch - erhalten die Neuzugänge aus Übersee „die üblichen Ausbildungen und werden nach Tarif bezahlt“. Nun, das sollte auch selbstverständlich sein. Aber ein wenig schwingt in dieser Klarstellung die Sorge mit, man könne dem Marktkauf vorwerfen, er wolle sich mit billigen Arbeitskräften versorgen.

Fest steht: Es gibt weiterhin einen Fachkräftemangel im Einzelhandel. Der Handelsverband Deutschland konstatiert, dass 57 Prozent der Unternehmen unter fehlendem Personal leiden. Und das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung hat erhoben, dass 2024 immer noch rund 122.000 Stellen im Einzelhandel unbesetzt geblieben sind. Und in der Reihe der Betriebe, die vergeblich und mitunter auch zunehmend verzweifelt Mitarbeitende suchen, steht nach eigenem Bekunden der Marktkauf Speicher in Halle: Die Bewerbungen seien seit Corona zurückgegangen, heißt es vom Unternehmen.

Philippinische Auszubildende in Halle hat schon studiert

Um den Fachkräftemangel zu lindern, braucht es Zuwanderung, lautet schließlich seit Jahren eine feststehende Diagnose für unsere Wirtschaftspolitik. Na also, könnte man sagen: Hier hat doch endlich mal was funktioniert. Menschen kommen nach Deutschland, tun etwas gegen den Fachkräftemangel vor Ort und verbessern ihre eigenen Perspektiven. Und das Ganze noch bei einem angesehenen Arbeitgeber.

Das Projekt: Marktkauf in Halle geht neue Wege - drei Azubis kommen aus Südostasien

Schaut man allerdings auf Kriz Alethea Manalo, dann kommen Fragen auf, ob das mit der Zuwanderung wirklich so gedacht gewesen sein kann. Die Frau ist 36 Jahre alt, hat in ihrer Heimat nach eigenem Bekunden ein Wirtschaftsstudium absolviert - und eine Familie mit vier Kindern im Alter zwischen drei und 15 Jahren. Und sie ist jetzt aus finanziellen Gründen gezwungen, diese Familie für drei Jahre zu verlassen, um noch einmal eine Lehre zu machen?

Man könnte zumindest zu dem Schluss kommen, dass sie überqualifiziert ist. Und man fragt sich nach der Gerechtigkeit in einer Welt, in der manche Menschen ihre Familie verlassen müssen, um sie zu ernähren. Und in der durch diese Praxis zumindest indirekt ein reicheres Land von einem armen profitiert. Wie groß müssen die Sorgen dieser Menschen sein?

Frau mit vier Kindern zieht als Auszubildende in Halle in WG mit Fremden

Im Marktkauf Speicher haben jetzt neun neue Auszubildende angefangen. Drei von ihnen fallen dabei aus dem gewohnten Rahmen. - © Uwe Pollmeier
Im Marktkauf Speicher haben jetzt neun neue Auszubildende angefangen. Drei von ihnen fallen dabei aus dem gewohnten Rahmen. (© Uwe Pollmeier)

„Ich möchte mich beruflich und persönlich weiterentwickeln“, sagt Kriz Alethea Manalo im Gespräch mit meinem Kollegen. Und zieht jetzt in eine WG mit zwei fremden Menschen und fängt als Lehrling an ... Natürlich sind die philippinischen Auszubildenden liebevoll empfangen worden - natürlich macht eine WG Sinn, um Menschen mit ähnlicher Situation und gleicher Sprache um sich zu haben. Das entbindet allerdings nicht von der moralischen Pflicht, solche Modelle kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Lesen Sie auch: Von den Philippinen nach Steinhagen: Pflegekräfte erzählen von Kulturschock

Klar, wenn Integration gelingt, wenn die Zugewanderten in Deutschland eine neue Heimat finden, unsere Gesellschaft bereichern und unseren Arbeitsmarkt stärken, dann darf man von einem Erfolgsmodell sprechen. Auch die Filipinas und Filipinos in unserem Beispiel könnten die Familien nachholen, wenn Lebensunterhalt und Wohnraum gesichert seien, heißt es. Aber wie realistisch ist es, dass Kriz Alethea Manalo mit einem Job im Einzelhandel künftig eine sechsköpfige Familie ernährt?

Der Bielefelder Unternehmer, der die Arbeitskräfte vermittelt, hat zu den Philippinen eine persönliche Beziehung und auf den ersten Blick nachvollziehbare Motive. Letztlich - und so viel muss klar sein - betreibt auch er ein Geschäft. Und gerade die Branche der Vermittlung von ausländischen Arbeitskräften hat in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen mit misslungener Integration und handfesten Missständen gemacht.

Genau hinschauen, ob Marktkauf Speicher Erfolgsmodell geschaffen hat

Dieses Projekt ist also ein Experiment - es kann aufgrund der Seriosität der Beteiligten ein Erfolg werden. Und trotzdem sollten alle genau hinschauen, ob hier wirklich eine „Win-win-Situation“ entstanden ist. Spätestens nach drei Jahren können die neuen Azubis eine ehrliche Bilanz ziehen.

Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK