Lost Place: Einblicke in Borgholzhausener Atomraketen-Basis mit Bunker

Borgholzhausen. Rund 20 Jahre lang unterhielt die NATO unweit vom kleinen Ort Borgholzhausen eine sogenannte "FlaRak-Stellung". Neun Flugabwehrraketen (kurz: FlaRak) des Typs Nike drohten von hier aus dem kommunistischen Feind im Osten. Allerdings hatten die Raketen, die mit Atomsprengköpfen versehen werden konnten, nur eine Reichweite von 140 Kilometern. Die deutsch-deutsche Grenze im Harz liegt etwa 160 Kilometer entfernt. Die Atomraketen hätten es im Ernstfall nicht aus der BRD heraus geschafft - allerdings waren sie auch nicht für das Bodenbombardement gedacht. Eine beängstigende Vorstellung, die den Besuch der 11,6 Hektar großen Anlage noch beängstigender macht. Heute gehört ein großer Teil der Flächen Georg Graf von Kerssenbrock. Dessen Vater Justus hatte vom Rückkaufsrecht der Familie Gebrauch gemacht, als die Alliierten abgezogen waren. "Man hatte uns enteignet, um die Anlage bauen zu können", berichtet der Grundeigentümer beim Rundgang. Sein im vergangenen Jahr verstorbener Vater habe nicht gezögert und die Flächen ins Familieneigentum zurückgeholt, als er 1987 die Chance bekam. Die Waffen waren da natürlich schon weg, nicht aber die Baracken, Depots, Wachhäuser, Zäune und die kleinen Bunker. "Hier lagen damals die Raketen", sagt Kerssenbrock und deutet auf eine betonierte Fläche. Regelmäßig wurden die Nike-Flugkörper von den Soldaten der Royal Netherlands Air Force in Abschussposition gebracht, täglich wurde der Ernstfall geprobt. "Man konnte die Spitzen über dem Bergkamm sehen", weiß der Rentner noch aus seiner eigenen Jugend. Die "Tote-Hand"-Strategie Die "Nike Hercules SAM-A-25", die von Borgholzhausen aus drohten, stammten aus amerikanischer Produktion. Die Langstrecken-Flugabwehrraketen sollten sowjetische Bomber angreifen. Sie galten als Antwort auf die "Tote Hand"-Strategie. Bei diesem befürchteten Zweitschlag der kommunistischen Supermacht wären vollautomatisch Bomberstaffeln alarmiert worden, um nukleare Sprengkörper über der BRD abzuwerfen. Ein Gürtel von Nike-Abwehrstationen sollten diese Bomber stoppen. Experten hegen heute allerdings Zweifel daran, dass die FlaRak-Stellungen dazu fähig gewesen wären. Ergänzend zur Raketenanlage befand sich auf dem gegenüberliegenden Hollandskopf-Gipfel eine bemannte Feuerleitstelle, die die Raketen steuern sollte. Was die W31-Atomsprengköpfe betrifft, ist nicht bekannt, ob und wie lange sie in Borgholzhausen lagerten. "Ob die hier immer welche auf Lager hatten? Vielleicht ist das auch so ein Mythos", sagt Graf von Kerssenbrock dazu. Sicher ist: Bis zum Ende des Kalten Krieges wurden mehr als 2.500 dieser nuklearen Sprengköpfe produziert, so sollten die Abwehrraketen besonders effektiv sein gegen Fliegerstaffeln. 40 Jahre nach Aufgabe der Stellung hat sich der Wald das ehemals kahl geschlagene Gelände zurückerobert. "Wir haben auch einiges gepflanzt, zum Beispiel Kiefern und Kirschbäume", weiß der heutige Eigentümer zu berichten. Die Bäume überragen die Hallen bei weitem, haben vermutlich etwa die Höhe der Raketen erreicht. 13 Meter ragten die damals in den Himmel. "Säurelager" und Wachhundzwinger Drei "Raketenlagerhallen" für jeweils drei Raketen sind heute noch auf dem Gelände verteilt, flankiert jeweils von einem Mannschaftsschutzbunker. Auf Schienensystemen konnten die Waffensysteme bewegt werden. Um die Hallen wurden bei den Erdarbeiten in den 1960er Jahren Wälle stehengelassen, um sie zusätzlich zu schützen. Außerdem musste der Besucher seinerzeit zwei Tore und mehrere Wachhäuser passieren, um ins Herz der NATO-Station vorzudringen. Weitere Gebäude - die Wachhundzwinger, das "Säurelager", das Anmeldegebäude oder die Trafostation - sind über das weitläufige Gelände verteilt. Die Lagerhallen sind heute verpachtet, unter anderem deponiert ein Landschaftsgärtner Material auf der ehemaligen Basis. Einiges an Vandalismus und illegaler Müllentsorgung mussten die Eigentümer in den vergangenen Jahrzehnten bereits in Kauf nehmen. Auch deshalb warnen mehrere Schilder vor dem Haupttor noch heute: "Betreten verboten!" Mehr zur FlaRak-Station und weitere Lost Places im "Haller Kreisblatt". Weitere Teile der Serie zu den Lost Places im Altkreis Halle Werthers Wassergeschichten: Die verborgene Geschichte des ersten Schwimmbads Steinhagens Verstecktes Geheimnis: Einblicke in den unterirdischen Bunker Halles Verborgene Zuflucht: Die Schutzhöhlen am Teutoburger Wald Das Rätsel von Borgholzhausen: Eine Straße, die ins Nirgendwo führt Halles Verstecktes Erbe: Die Geschichte des jüdischen Friedhofs Güterslohs Vergessene Villa: Ein Einblick in die verlassene Flughafen-Villa Steinhagens Versunkene Erinnerungen: Das vergessene Freibad im Wald Wichlinghausens Geheimnisvolle Ruine: Die Geschichte hinter den verfallenen Mauern Borgholzhausens Dunkle Vergangenheit: Der Lost Place als Zeuge einer schlimmen Zeit Steinhagens Skandalöse Vergangenheit: Das ehemalige Bordell im Fokus Geheimnis um Borgholzhausener Ruine: Auf den Spuren der Geschichte am Steinbruch

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