Kreis Gütersloh. Immer mehr Kinder und Jugendliche knirschen mit den Zähnen. Diese alarmierende Beobachtung hat Jugendzahnarzt Matthias Urbanovicz bei seinen zahlreichen Untersuchungen in Kitas und Grundschulen gemacht. Der Jugendzahnarzt gehört zum zahnärztlichen Dienst des Kreises Gütersloh. Er und sein Team haben im vergangenen Jahr etwa 13.000 Kindern und Jugendlichen in den Mund geschaut, wie er jetzt im Gesundheitsausschuss berichtete.
Die zahnärztlichen Untersuchungen durch das Kreisgesundheitsamt sind Teil eines gesetzlichen Auftrags. „Dadurch sollen Krankheiten und Fehlentwicklungen verhütet und gemildert werden“, informierte Urbanovicz. 228 Kitas im Kreis Gütersloh bekommen in allen Gruppen regelmäßig Zahnarztbesuch, ebenso 57 Grundschulen - in der zweiten und vierten Klasse - und zwölf Förderschulen.
Der Besuch des Zahnarztes in der Kita sei häufig etwas anderes, als eine Untersuchung beim Zahnarzt der Familie. „Auch wenn dort das Kind den Mund nicht aufgemacht hat, bei uns klappt’s“, ist Urbanovicz stolz. „Das liegt allerdings nicht an uns, sondern an der Umgebung. Für die Kinder ist ja alles wie immer und alles vertraut. Nur ich bin der Neue, allerdings in Zivil.“ Und wenn die Kita-Freunde dann auch freiwillig den Mund aufmachen, sei das Eis schnell gebrochen.
Erste Kita-Untersuchung ebnet den Weg in die Praxis
In der Praxis sei das anders, dort sei häufig eine ungewohnte sterile Umgebung, die vielleicht noch nach Desinfektionsmittel rieche. „Wir möchten über unsere Untersuchungen aber den Weg in die Praxis ebnen“, so der Jugendzahnarzt.
Jedes Kind, das vom zahnärztlichen Dienst untersucht wurde, bekommt einen Zettel für die Eltern. „Keine Auffälligkeiten“ steht dort, wenn alles in Ordnung ist, aber manchmal auch der Hinweis, dass besser geputzt werden sollte oder die Beobachtung, dass ein Kariesverdacht bestehe oder eine Fehlstellung der Zähne vorliege.
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„Schädliche Gewohnheiten können wir auch ankreuzen - wenn wir beispielsweise sehen, dass ein Kind sich immer auf die Wange oder die Lippe beißt oder häufig die Finger im Mund hat - das alles kann auch zu Fehlstellungen führen“, erläuterte der Zahnarzt den Politikern im Gesundheitsausschuss.
Kinder knirschen beim Computerspielen
Besorgt zeigte sich Matthias Urbanovicz über vermehrt auftretende Fälle von Zähneknirschen und Zähnepressen bei Kindern und Jugendlichen. „Der Fachbegriff lautet Bruxismus“, sagte er. „Wir beobachten tatsächlich eine Zunahme der Befunde sowohl in Kitas als auch in Schulen.“ Das sei allerdings auch bei den Erwachsenen zu beobachten, das sei nicht allein ein Phänomen von Kindern und Jugendlichen.
Der Jugendzahnarzt hat die Schulkinder dazu befragt, wann sie denn mit den Zähnen knirschen würden. „Die Antworten der Schulkinder waren: ,beim Computerspielen’ - ,wenn ich mich ärgere’ - ,aus Langeweile’ und ,nachts’’“, präsentierte er das Ergebnis seiner kleinen Umfrage. Den Kindern zeigt er dann zwei Zähne - eine glücklichen mit geschwungener Zahnkrone und einen unglücklichen mit kleiner oben glatter Krone. „Die Zahnsubstanz ist weg. „Das ist nicht wie bei einem Fingernagel - da wächst nichts nach“, so Urbanovicz.
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In der Literatur würden sich verschiedene Gründe finden, warum Kinder und Erwachsene mit den Zähnen knirschen. „Das sind die Lebensumstände, Familienverhältnisse, Stress, Traumata, plötzliche Veränderung der Lebenssituation, Medienkonsum und Schlafqualität.“ Einige dieser Gründe finde er auch in den Aussagen der Kinder bestätigt.
Zähneknirschen darf nicht zum Dauerzustand werden
„Man muss dazu sagen, Bruxismus hat es schon immer gegeben. Es hat schon immer das Kind gegeben, das traurig war, weil die Großmutter gestorben ist oder das Kind, dass ganz aufgeregt nach dem ersten Besuch des Freizeitparks und der ersten Achterbahnfahrt war“, sagt der Experte. Nur dürfe das eben nicht zu einem Dauerzustand werden. Matthias Urbanovicz hat nach seinen vermehrten Befunden die Lektüre konsultiert - ohne Erfolg. Die Angaben zur Häufigkeit von Bruxismus bei Kindern seien eher ungenau - „je nach Definition zwischen fünf und 81 Prozent.“
Nora Goldmann, Kinderzahnärztin an der Lindenstraße in Gütersloh, bestätigt, dass viele Eltern kleiner Kinder berichten, dass ihre Kinder mit den Zähnen knirschen. „Das ist nicht ungewöhnlich.“ Beim Milchzahngebiss müssten sich die Zähne aufeinander einstellen. „Das ist eigentlich mit den bleibenden Zähnen dann vorbei“, sagt sie. Wenn die ersten Backenzähne kämen, würde sich der Biss heben. „Und dann sollte man nicht mehr knirschen“, sagt sie.
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Zahnarzt Wilfried Beckmann, der mit seiner Tochter Eva in der Susannenstraße praktiziert, bestätigt die These, dass es sich beim Bruxismus um einen normalen Entwicklungsprozess beim Wechsel vom Milchzahn- zum bleibenden Gebiss handele. Nichtsdestotrotz sei bundesweit seit Corona bei Kindern und Jugendlichen vermehrtes Zähneknirschen zu beobachten. „Diese Häufung ist etwas, das neu ist.“ Warum das so sei, sei noch nicht geklärt. „Die Berliner Charité hat das Thema aber auch schon auf der Agenda.“
Eltern sollen mit Kindern zum Zahnarzt gehen
Er rät allen Eltern, die beobachten, dass ihre Kinder mit den Zähnen knirschen, diese regelmäßig dem behandelnden Zahnarzt vorzustellen. Der kläre dann, ob das Zähneknirschen ein „Habit“ sei, so nennen die Zahnärzte schlechte Angewohnheiten, oder ob vielleicht psychische Ursachen dahinterstecken oder eine Entwicklungsstörung, die ein Fall für den Kieferorthopäden sei.
Aufbiss-Schienen, wie viele Erwachsene sie beim Fall von Zähneknirschen kennen, gebe es bei Kindern eher nicht. „Das Gebiss ist ja noch im Wachstum“, so Wilfried Beckmann.
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