Vor diesem Haus in Werther fuhren sogar Rudolf Oetker und Gerhard Weber vor

Werther. &bdquo;Sie müssen genau hinschauen“, rät Jürgen Schäfer. Und tatsächlich: In einem der uralten Holzbalken im ersten Stock stecken in den Ritzen jede Menge Getreidekörner. &bdquo;Wo heute unsere Wohnung ist, befand sich früher der Getreidehandel. Das ist davon übrig geblieben.“ Nie würde er auf die Idee kommen, die Körner rauszupulen. &bdquo;Ist doch viel charmanter so“, findet er. Jürgen Schäfer besitzt in Werther eine Immobilie mit illustrer Geschichte. Alle Wertheranerinnen und Wertheraner kennen sie, viele dürften schon drin gewesen sein. Das Haus an der Rosenstraße 1 war Landhandel, Düngemittelvertrieb, Lebensmittelgeschäft, Fischverteilstelle, Volksbank, Heimat für eine kleine Kindergruppe, später für einen Friseur, heute für eine Apotheke und eine Hunde-Boutique - und immer auch Wohnhaus. Jürgen Schäfer ist hier aufgewachsen. Fest steht, dass an dieser Stelle schon Jahrhunderte ein Haus gestanden hat. Das aktuelle stammt von 1923/24. Erstmals dokumentiert wurde eine Bebauung 1768. Da befand sich das Gebäude im Besitz des Garn- und Viehhändlers Wulfrath. 1799 wurde es vom Handelsmann Meyer Abrahamson erworben, bevor es 1875 Hermann Heinrich Rüter kaufte, der hier ein Geschäft für Lebensmittel, Kolonialwaren und Dünger aufbaute. Hier bekam man alles: vorne Haushaltswaren, Zucker und Mehl, hinten Düngemittel und Getreide. Die Liebe von Oma Auguste spielte das Wertheraner Haus in neue Hände Viele dieser Informationen hat Jürgen Schäfer aus alten Akten zusammengetragen. &bdquo;Sowas macht großen Spaß. Wenn man schon in einer historischen Umgebung wohnt, will man doch wissen, was hier früher mal war.“ 1900 wurde das Lagerhaus Rosenstraße 3 angebaut. &bdquo;Die Häuser standen verschachtelt ums Eck. Würde man heute nicht mehr so machen“, ist sich Schäfer sicher. Und wie gelangte nun seine Familie an das Haus? &bdquo;Durch die Liebe meiner Oma Auguste“, erzählt er lachend. &bdquo;Diese stammte eigentlich aus dem Westerwald. Sie war eine verwitwete Schäfer und kam mit ihrem Sohn, meinem Vater Kurt, nach Werther, da ihr Bruder hier einen Textilhandel betrieb.“ Rudolf Oetker kam persönlich vorbei, um sein Backpulver zu verkaufen Es kam, wie es kommen musste. Wilhelm Rüter, dem das Haus inzwischen gehörte, und Auguste Schäfer lernten sich kennen, heirateten - und bildeten ein überaus erfolgreiches Gespann. &bdquo;Meine Oma führte den Laden, Wilhelm Rüter den Landhandel“, beschreibt Schäfer. Oft kam hoher Besuch. &bdquo;Ich weiß vom Hörensagen, dass Rudolf Oetker häufig mit dem Wagen vorfuhr, um hier sein Backpulver zu verkaufen. Das muss Anfang des 20. Jahrhunderts gewesen sein. Er war damals einer der wenigen, die überhaupt ein Auto besaßen.“ Lesen Sie auch: Notdienst unterm Tannenbaum: Wertheraner feiert Weihnachten in der Apotheke Weil der vordere Teil inzwischen alt war, wurde 1923/24 neu gebaut. Die Geschäfte entwickelten sich gut, und 1955 übernahm Kurt Schäfer den Laden. &bdquo;Naja“, relativiert sein Sohn. &bdquo;Offiziell war das so. Eigentlich arbeitete er in Bielefeld, und meine Mutter Elfriede führte das Geschäft.“ Wertheraner Geschäft war auch mal Fischverteilstelle Jürgen Schäfer wuchs praktisch darin auf. Es war Dreh- und Angelpunkt in Werther. &bdquo;In den Jahren nach dem Krieg haben wir sogar Geschirr verliehen. Die wenigsten Leute konnten sich für größere Feiern erlauben, einen Saal anzumieten. Also feierten sie zu Hause und haben bei uns für kleines Geld Teller, Tassen und Besteck geliehen. In Holzwolle eingepackt, gingen die Sachen zum Kunden. Und nachher wurde kontrolliert, ob auch alles heil und vollständig wieder zu uns zurückkam.“ Das Geschäft sei auch mal Fischverteilstelle gewesen. &bdquo;Es gibt noch einen Zettel, auf dem steht, dass einmal 50 Kilo Hering bei uns angeliefert wurden“, erzählt Schäfer. Er selbst habe als Kind immer mithelfen müssen. &bdquo;Ich habe alles gemacht: Regale eingeräumt, den Zigarettenautomaten bestückt, abends das Gemüse reingeholt. Ich musste auch Dinge ausliefern. Mit dem Roller. Fahrradfahren konnte ich noch nicht.“ Als Jugendlicher habe er auch oft an der Kasse gestanden. &bdquo;Natürlich hätte ich lieber gespielt. Aber geschadet hat es mir nicht.“ Haller Modeunternehmer Gerhard Weber kam zum Telefonieren vorbei Oft hatte die Sache auch ihr Gutes: &bdquo;Ein paar von den Schokoküssen, die uns geliefert wurden, habe ich manchmal mit Absicht eingedetscht. Dann ließen sie sich nicht mehr verkaufen, und ich bekam sie“, erzählt Jürgen Schäfer verschmitzt. Beeindruckt war er, wenn in gewissen Abständen Säcke mit Kaffeebohnen aus Bremen ankamen. &bdquo;Geröstet wurden sie hier bei uns. Das ganze Haus hat dann wunderbar geduftet.“ Kaffee trinkt Schäfer zwar bis heute nicht gern. &bdquo;Aber ich esse geröstete Bohnen.“ Heute in dem Gebäude: Neue Hunde-Boutique in Werther: Das gibt es Außergewöhnliches zu entdecken Noch gut erinnert er sich auch, dass der Haller Modeunternehmer Gerhard Weber häufig mit seinem BMW vorgefahren kam. In den Räumen, in denen sich heute der Secondhand-Laden der AWO befindet, habe er eine kleine Boutique betrieben. &bdquo;Die Klamotten hat er immer auf der Rückbank und im Kofferraum transportiert“, so Schäfer. &bdquo;Und wenn er telefonieren musste, kam er zu uns ins Geschäft, weil es in der Boutique kein Telefon gab.“ Nachmieter für Wertheraner Sonnen-Apotheke gesucht 1972 wurde das Lebensmittelgeschäft geschlossen. &bdquo;Genau im richtigen Moment, bevor die Supermärkte aufkamen“, blickt Schäfer zurück. Leer blieben die Räume nicht. Im selben Jahr zog die Spar- und Darlehnskasse ein, heute die Volksbank Halle, die in Werther eine Filiale eröffnete. Nebenan im Erdgeschoss schnitt seit 1974 Friseur Horst-Dieter Diembeck den Herren die Haare. Als die Volksbank 1992 auszog und gegenüber neu baute, übernahm 1993 Michael Faber und eröffnete seine Sonnen-Apotheke. Weil diese Ende November schließt, hofft Jürgen Schäfer auch hier auf einen reibungslosen Übergang und sucht einen Nachmieter. Einzelhandel, Büro, Praxis: Seiner Meinung nach würde vieles passen. In den Räumen des Herrensalons hat sich indes bereits eine Nachmieterin gefunden: Antonia Hollensteiner mit ihrer Hunde-Boutique &bdquo;Fräulein Wilma“. Das nächste Kapitel einer illustren Häusergeschichte ist also aufgeschlagen. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

Meistgelesen

Notdienst unterm Tannenbaum: Wertheraner feiert Weihnachten in der Apotheke

Frust über Politik: Wertheraner Apotheker zieht sich zurück

„Todesstoß für die Innenstadt“: Das sagen Werthers Kaufleute zu einem Lidl

Tagebuch in Kriegszeiten: Als in Werther die Tiefflieger angriffen

Schon wieder ein Wasserrohrbruch an der Haller Straße in Werther Schaden lässt sich nur bei halbseitiger Sperrung der Straße beheben. Im Berufsverkehr bilden sich lange Schlangen.

Ärgerlicher Vandalismus: Autos in Werther und Theenhausen beschädigt Heckscheibe demoliert und...