Tagebuch in Kriegszeiten: Als in Werther die Tiefflieger angriffen

Werther-Isingdorf. Für Karl X. (Name geändert) war das Kriegsende offenbar ein Tag wie jeder andere. &bdquo;’Flora’ zum Hengst. - Wir haben gepflügt. Runkelland abgeschleppt und Kunstdünger gestreut“, trägt der Landwirt am 8. Mai 1945 in sein Tagebuch ein. Das Ende des Zweiten Weltkriegs, das findet irgendwo weit weg in Berlin statt. In Isingdorf geht man der täglichen Arbeit nach. Karl X. hat Tagebuch geführt. Die für ihn wichtigen Dinge notiert. Daran hatte offenbar auch der Krieg nichts geändert. Doch in den Einträgen spiegeln sich die Ausläufer des Kriegsalltags und der Nachkriegszeit durchaus wider. Da wird genau notiert, wenn ein Nachbar auf Heimaturlaub von der Front kam, wer vermisst oder gar gefallen war und wer endlich aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kam. Es wird in kurzen Sätzen erwähnt, dass die freigelassenen Zwangsarbeiter oder Gefangenen über die Höfe ziehen und auf der Suche nach Essbarem auch nicht vor Gewalt gegenüber den Hofbewohnern zurückschreckten. Es wird von Familien berichtet, die nach den Kriegswirren wieder zusammenfinden und von anderen Menschen, die als Flüchtlinge in Werther gelebt hatten und nun wieder in ihre Heimat reisten. Lesen Sie auch: Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg: Was 2.500 Menschen in Halle leisten mussten Amerikanische Panzer rücken in Werther ein Und es wird ein Stück Seife erwähnt, das er im Tausch ausgehändigt bekommt und das offenbar über die Maßen kostbar war. &bdquo;25. März 1945: &bdquo;Der Knecht von Schwentker, Bielefeld, brachte mir das versprochene Stück Seife“, ist der einzige Eintrag für diesen Tag. Damit nimmt diese Episode in dem Tagebuch genauso viel Raum ein wie die vom 2. April 1945, einem Ostermontag. &bdquo;Wetter: regnerisch, stürmisch. Mittags 12.30 Uhr rückten die Panzer der amerikanischen Armee in Werther ein. An den Sperren Artilleriefeuer. Um 8 Uhr abends rollen immer noch Panzer.“ Für Werther war der Krieg mit diesem Tag beendet und die unruhige Nachkriegszeit begann. Karls Sohn Helmut X. (Name geändert) hat das Tagebuch seines Vaters aus dem Jahr 1945 transkribiert, um Erläuterungen oder Einträge aus eigener Erinnerung ergänzt und als kleines Büchlein drucken lassen. Und er berichtet auch von einem Flugzeugangriff auf Wertheraner Gebiet. Lesen Sie auch: Werthers dunkelste Stunde: 29 Särge vorm Altar der St.-Jacobi-Kirche Angriff auf die Wertheraner Kleinbahn Insgesamt waren die Wertheraner Gebäude, anders als in der benachbarten Großstadt Bielefeld, von Angriffen zumeist verschont geblieben. Doch am 27. Dezember 1944 fiel ein Isingdorfer Hof einem Angriff eher versehentlich zum Opfer. Was man heute Kollateralschaden nennt, war damals eine Attacke, die mit der Kleinbahn zusammenhing. Die Schmalspureisenbahn führte von Bielefeld über Schildesche und Dornberg bis nach Werther und war außer für den Personenverkehr auch für die Belieferung von Firmen wie Poppe + Potthoff oder Delius zuständig. Möglicherweise war das ein Grund dafür, dass die Bahnstrecke beziehungsweise der Zug auch auf Wertheraner Gebiet ein Ziel für Angriffe wurde. Der Straßenname Bahnbreede deutet noch heute darauf hin, dass die Kleinbahnstrecke dort in Isingdorf ihren Verlauf hatte. Sie fuhr genau zwischen zwei Höfen hindurch auf dem Kamm eines kleinen Hügels, der von damals schon hohen Eichen und Buchen bestanden war. Der Rauch lockte Tiefflieger an Auch am 27. Dezember 1944 war die Bahn auf der Strecke unterwegs und transportierte Waren nach Werther. &bdquo;Es war ein klarer frostiger Wintertag. Die weiße Wolke über der Lokomotive der Kleinbahn beim Verlassen des Waldes bei Rüter war weithin sichtbar“, fasst Helmut X die Ereignisse zusammen, wie er sie aus mündlicher Überlieferung immer wieder gehört hat. Beim Hof Rüter war damals der Isingdorfer Haltepunkt für die Bahn. Die Rauchwolke aus dem Schornstein der Lokomotive muss, so erklärten es sich die damaligen Augenzeugen, wohl die Aufmerksamkeit der Besatzung eines alliierten Tieffliegers auf sich gezogen haben, der aus Richtung Werther kommend über den Gleisen flog. In Karl X.s Tagebuch ist für diesen Tag notiert: &bdquo;Mittags gegen zwei Uhr Angriff mit Bordwaffen auf den Kleinbahnzug, der Güter nach Werther fuhr. Dabei ist Meyer zu Köcker in Flammen aufgegangen. Emma Meyer zu Köcker hat eine Schussverletzung. Dr. Droellner hat Überführung ins Krankenhaus ... angeordnet. Eine Kuh durchschossen. ... Wir haben ein fettes Schwein und zwei Stangenschweine.“ Zwei Höfe in Isingdorf wurden von Geschossen getroffen Es waren also keine Bomben abgeworfen, sondern mit Bordwaffen aus den Tieffliegern heraus geschossen worden. Der Lokführer der Kleinbahn hatte - so wird es noch heute von Nachbarn berichtet - den Zug zwischen den hohen Bäumen zum Stehen gebracht, offenbar mit der Absicht, darunter etwas geschützter vor den Luftangriffen zu sein. Der Plan ging allerdings nicht auf, denn die fast laubfreien Bäume boten nicht genügend Sichtschutz. Allerdings trafen die Schützen offenbar nicht die Kleinbahn, sondern die beiden Höfe, die links und rechts der Schienen standen. Zwei Einschüsse sind noch heute in einem der Häuser zu sehen. Auch in den Eichen sollen noch zwei Geschosse stecken. Wesentlich schlimmer aber traf es den zweiten Hof Meyer zu Köker. Durch Leuchtspurmunition, so wird es berichtet, wurde die mehrere Hundert Jahre alte Diele in Brand gesetzt und stand bald in hellen Flammen. &bdquo;Nachbarn und die alarmierte Feuerwehr Werther versuchten vergeblich, das alte Haus zu retten. Das Vieh und einiges vom beweglichen Hab und Gut konnte jedoch in Sicherheit gebracht werden. ... Der tatkräftige Einsatz der Jugendwehr Werther, besonders von Lore Altemeyer, wurde bei Schilderungen des Vorfalls immer wieder lobend erwähnt“, schreibt Helmut X. in seinen Erinnerungen. Tiere bezahlten Angriff mit dem Leben Mit dem Leben bezahlt hat am Ende nur eine Kuh den Angriff. Wegen des erlittenen Durchschusses musste sie notgeschlachtet werden. &bdquo;Das Fleisch wurde jedoch für minderwertig erklärt und musste zur Abdeckerei gebracht werden“, schreibt Helmut X. Auch eines der Schweine, die gerettet und beim Nachbarn untergebracht worden waren, verendete wenige Tage später. In Kriegszeiten hielt man sich nicht lange mit dem Beklagen des Verlustes auf, sondern packte an. Dass die Nachbarn dabei mithalfen, war damals eine Selbstverständlichkeit. &bdquo;In der Folgezeit waren die Nachbarn oft bei Meyer zu Köcker, um beim Aufräumen und dem späteren Wiederaufbau zu helfen“, erinnert sich Helmut X. Und schon am 11. September achteinhalb Monate nach dem Angriff notiert sein Vater Karl in sein Tagebuch: &bdquo;Richtfest Meyer zu Köcker in kleinem Rahmen bei uns hier auf der Deele gefeiert.“

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