Werther. Was viele Bürgerinnen und Bürger befürchtet hatten, ist eingetreten: Seit Wolfgang Decius im April aus Altersgründen seine Hausarztpraxis geschlossen hat, ist die Versorgung - die schon vorher angespannt war - noch einmal dramatischer geworden. Wie dramatisch, wird jetzt an einer Patienten-Info der Gemeinschaftspraxis von Dirk Decius und Stefanie Schwalfenberg deutlich.
Beide wenden sich auf ihrer Homepage in roten Lettern an ihre Patientinnen und Patienten. Sie schreiben, dass sie „eine sehr große Zahl“ von Patienten aus der Praxis von Dr. Decius neu in ihre Betreuung aufgenommen hätten, ihre Kapazitäten damit mittlerweile aber vollständig ausgeschöpft seien. „Daher sind derzeit weitere Neuaufnahmen leider nicht mehr möglich“, heißt es.
Wie fair die drei noch existierenden Hausarztpraxen - neben Decius/Schwalfenberg die von Olaf Müller-Upmeier zu Belzen und die von Rolf Angermann und Siemke Lüdorff - versucht haben, eine bestmögliche Lösung zu finden, schildert Dirk Decius im Gespräch mit dem HK.
Alle über 80-Jährigen unter den drei Hausarztpraxen aufgeteilt
„Wir haben uns in Werther zusammengesetzt und überlegt, wie wir mit der Situation umgehen können.“ Was zeigt, wie gut die Praxen miteinander auskommen und wie gut sie untereinander vernetzt sind. „Die größte Not bestand bei Bettlägerigen, die nicht in die Praxen kommen können“, schildert Decius.
Diesen Bedarf habe man als Erstes decken wollen. Und man habe darauf geachtet, dass zunächst Leute aus Werther berücksichtigt wurden. „Angefangen haben wir damit, indem wir die über 80-Jährigen unter unseren Praxen aufgeteilt haben. Es wäre nicht zu verantworten gewesen, diese vulnerable Gruppe hängen zu lassen“, so Decius.
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Allein für seine Praxis seien das in der ersten Runde gleich einmal 100 bis 150 Patientinnen und Patienten zusätzlich gewesen. Inzwischen sei die Zahl auf gut 200 angestiegen. Zum Schluss habe man allerdings auch Jüngere aufgenommen. „Manche kamen direkt vom Kinderarzt zu uns. Aber auch sie haben Erkrankungen und brauchen Hilfe.“
In der Kartei der Praxis stehen Zigtausende Patientinnen und Patienten
„Irgendwann haben wir dann aber stoppen müssen“, sagt der 51-Jährige. Mehr als jetzt würde einfach nicht gehen. Die Arbeitsbelastung seines gesamten Praxisteams - zwei Ärzte, fünf Medizinische Fachangestellte und eine Auszubildende - sei inzwischen am Limit.
Auch deshalb, weil seine Praxis nun deutlich mehr Hausbesuche übernehmen müsse. „Wir reden hier ja nicht über Patienten, die nur einmal im Jahr ein Medikament brauchen.“ Sondern über Menschen mit einem entsprechend hohen Betreuungsanspruch. Dem sein Praxisteam auch gerecht werden wolle. „Und zwar in entsprechender Qualität“, betont Decius.
Er zählt auf, dass allein in seiner Praxis am Alten Markt Zigtausende Menschen in der Patientenkartei stünden. „Im Bereich Westfalen-Lippe rechnet man durchschnittlich mit 1.000 Patienten je Quartal je Arzt“, rechnet Decius vor.
Decius ist Arzt, Hausmeister und IT-Techniker in Einem
Aber was sagt er Leuten, die heute in seiner Praxis anrufen und dringenden Bedarf haben? „Ich muss sie auf andere Praxen außerhalb Werthers verweisen, die noch keinen Aufnahmestopp haben.“ Glücklicherweise hätte ihn jüngst eine Bielefelder Praxis angesprochen, die neu eröffnet habe und Patienten suche. „Das hat die Situation etwas entspannt.“
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Trotzdem weiß Decius, dass dies die Ausnahme ist. Er selbst arbeite zwischen 50 und 60 Wochenstunden, erzählt er, und genau das sei das Problem. „Ich bin Arzt, Hausmeister und IT-Techniker in einem. Ich kümmere mich hier um die Computer und habe gerade eine Glühbirne gewechselt.“ Junge Leute wollten das heute nicht mehr. Sie wollten die Verantwortung nicht und seien lieber angestellt mit geregelten Arbeitszeiten. In einem Krankenhaus oder einem Medizinischen Versorgungszentrum.
Für ihn selbst wäre das nichts, sagt Dirk Decius. „Ich würde nicht tauschen wollen.“ Aber ob es in Werther jemals ein MVZ geben wird? Der Allgemeinmediziner hat seine Zweifel. „Am Ende müssten ein oder zwei Ärzte das Sagen haben. Und die Ärzte müssten auch erst einmal so viel Geld erwirtschaften, dass sie einen Geschäftsführer bezahlen könnten.“
Rat an die Hilfesuchenden: Sich an die Politik zu wenden
Decius sagt allerdings, dass die Hausärzte in Werther mit der Stadt im Gespräch seien, auch schon über Themen wie ein kommunales MVZ oder einen Investor gesprochen hätten. „Aber ein Investor will natürlich eine Rendite sehen. Alles wäre vollständig durchkalkuliert, der Druck in der Praxis entsprechend hoch. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist?“ Decius glaubt: eher nicht. „Und ich will abends mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und nicht Patienten wie am Fließband durch das Behandlungszimmer schieben.“
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Weshalb Dirk Decius, seine Kollegin Stefanie Schwalfenberg und das gesamte Praxisteam vom Alten Markt das Schreiben an ihre Patientinnen und Patienten auf der Homepage mit den Worten schließen: „Wir bedauern sehr, dass wir den nicht hausärztlich versorgten Menschen derzeit kein Behandlungsangebot unterbreiten können. Allerdings können wir die politischen Versäumnisse im Gesundheitswesen nicht durch weitere Mehrarbeit bei ohnehin schon hoher Arbeitsbelastung auffangen. Daher empfehlen wir Ihnen, sich an die hiesigen Vertreter der politischen Parteien zu wenden, um der Politik die inzwischen gravierenden Auswirkungen des Hausärztemangels nahezubringen.“
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