Zwangssterilisation in Werther: So grausam wurde Max Sachs’ Leben zerstört

Werther. &bdquo;Er hatte keine Chance“, sagt Ute Dausendschön-Gay sichtlich bewegt. Die Rede ist von Max Sachs, der zu seiner Zeit im kleinen Werther stadtbekannt war. Als gutmütiger Kerl, der in seiner geistigen Entwicklung ein wenig zurückgeblieben war und seinem Vater bei dessen Arbeit als Hausierer begleitete. Und auf der anderen Seite als Opfer, das Wertheraner provozierten, demütigten und sogar sexuell missbrauchten. Drei Jahre lang haben Sigrid Ellerbrake, Inge Guntenhöner, Dirk Knobloch, Ulrich Maaß, Ulrich und Ute Dausendschön-Gay vom &bdquo;Arbeitskreis jüdischen Lebens in Werther“ unermüdlich recherchiert und aus den Archiven in Bethel, Werther, Bielefeld, Detmold, Münster und Berlin Dokumente zusammengetragen, die ein trauriges Zeugnis abgeben, wie Behörden, Amtsträger und die Wertheraner Gesellschaft ein Leben zerstörten. Etwa 30 Menschen, so fanden die Ehrenamtler im Detmolder Archiv heraus, wurden in Werther nach Vorgabe des NS-Regimes zwangssterilisiert. Es dürften jedoch insgesamt an die 100 Fälle gewesen sein, vermutet Ulrich Dausendschön-Gay. Denn auch die Bewohnerinnen des damaligen &bdquo;Evangelischen Mädchenheims Waldheimat“ sollen von Zwangssterilisation betroffen gewesen sein. Aber wegen fehlender Akten könne das nicht belegt werden. Heute wäre Max Sachs ein Inklusionskind Da der Arbeitskreis aber die jüdischen Schicksale in Werther sichtbar machen möchte, konzentrierte man sich auf Max Sachs und entdeckte überraschend noch ein junges Mädchen. &bdquo;Es war tatsächlich so tabuisiert, dass selbst in seiner Familie niemand von ihm wusste“, sagt Ulrich Dausendschön-Gay. Vielleicht aus Scham, vielleicht aus Schutz. Die Familie Sachs schämte sich nicht für Max, der am 17. November 1898 in Werther geboren wurde. Das Haus der Familie, die seit 1713 in Werther ansässig war, stand an der Alten Bielefelder Straße, wo sich heute das evangelische Gemeindehaus befindet. Vater Feodor Sachs arbeitete als Textil- und Viehhändler. Zog mit seinen Stoffen und Kurzwaren von Hof zu Hof. Bei Max wurden im Kindesalter Merkmale einer leichten körperlichen Behinderung und kognitive Einschränkungen festgestellt, zudem war er kleinwüchsig. &bdquo;Heute wäre er damit wahrscheinlich als Inklusionskind an einer normalen Schule gewesen“, vermutet Ulrich Dausendschön-Gay. Der Wertheraner begleitete seinen Vater bei der Arbeit Max Sachs besuchte die jüdische Elementarschule in Werther, die er, wie er mal stolz betonte, ohne sitzen zu bleiben durchlief. Nach der Schule begann er drei Mal eine Ausbildung, scheiterte aber an seiner &bdquo;Ungeschicklichkeit“, sagte sein älterer Bruder Ludwig Sachs. So lebte Max Sachs bei den Eltern, begleitete den Vater, zu dem er eine sehr enge Bindung hatte, bei dessen Touren als Hausierer und zog auch alleine mit einem Bauchladen durch die Stadt. 1931 klagte er über Beschwerden im Magen- und Darmbereich und wurde zu stationären Untersuchungen nach Bethel für psychisch Kranke geschickt. Dort wurde festgestellt, dass seine Intelligenz der eines Acht- bis Neunjährigen entsprach und er ein aggressives Verhalten gegenüber Mitpatienten zeigte. Die Ärzte schienen aber ernsthaft bemüht, ihm zu helfen. Im Mai 1931 wurde er als gebessert entlassen. Sexueller Missbrauch zur Belustigung anderer Doch mit Machtergreifung der Nationalsozialisten änderte sich das Leben für Max. Als geistig zurückgebliebener Jude schien er Freiwild zu sein. Kinder beschimpften ihn, warfen Steine nach ihm. In Wirtshäusern überredete man ihn, sich gegen Bezahlung schlagen zu lassen. Ein von ihm als Freund bezeichneter Mann brachte ihn mit einer Frau zusammen, die - offenbar zur Belustigung anderer - mehrfach sexuelle Handlungen an ihm vornahm. Im Mai 1935 wurde vom NSDAP-Ortsgruppenführer Kleineberg Strafanzeige gegen Max Sachs gestellt, weil er angeblich zwei Monate zuvor an das Kriegerdenkmal uriniert und dies entehrt habe. Max Sachs bestritt das. Lesen Sie auch: Schreckliche Vergangenheit: Neue Straße dient als Mahnmal an Werthers dunkelste Stunden Da er sich der Verhaftung widersetzte, wurde er wegen &bdquo;Unruhe und Selbstmordgefahr“ wieder in die Anstalt Morija eingewiesen. Schon nach wenigen Tagen diagnostizierte der Arzt, dass es sich bei Max Sachs &bdquo;um einen angeborenen Schwachsinnigen“ handele. Schulrektor erstattet Anzeige nach Streit mit Jugendlichen Diese Diagnose habe man gebraucht, um das Verfahren zur Zwangssterilisation einzuleiten, schlussfolgert Ulrich Dausendschön-Gay. Denn die nationalsozialistische Regierung hatte im Juli 1933 das &bdquo;Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erlassen. Der Chefarzt in Bethel-Morija, heute Gilead IV, beantragte neun Tage später die Unfruchtbarmachung. Bis zur Durchführung musste der 36-Jährige noch sechs Monate in der geschlossenen Anstalt in Gütersloh verbringen. Zurück in Werther war Max Sachs weiterhin Opfer von Attacken. Gelegentlich, berichten Zeitzeugen, setzte er sich zur Wehr. Als der Schulrektor Bieder 1938 eine Anzeige wegen einer Auseinandersetzung mit der &bdquo;Wertheraner Jugend“ erstattete, bekam Max ein Ortsverbot und musste bei seinem Onkel in Halle wohnen. Nach der Reichspogromnacht widerfuhr ihm das auch dort und er durfte zurück zu seinem Vater - bis eine dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt gefunden worden war. In Warschau verliert sich seine Spur Am 16. April 1939 wurde Max Sachs in das &bdquo;Dauerheim für jüdische Schwachsinnige“ in Berlin-Weißensee eingeliefert. Unterlagen über seine Zeit dort gibt es nicht. Sein Name taucht erst am 2. April 1942 wieder auf: auf einer Transportliste zum Warschauer Ghetto. &bdquo;Ob er auf dem Transport, im Ghetto oder im Vernichtungslager Treblinka umgekommen ist, wissen wir nicht“, sagt Ute Dausendschön-Gay. Die ausführlichen Recherchen zur Geschichte von Max Sachs stehen in den Ravensberger Blättern 2025, die den Schwerpunkt &bdquo;Zwangssterilisation und NS-“Euthanasie“ in der Region“ tragen. Erhältlich im Antiquariat Bremer Stadtmusikanten, Schlossstraße 4; 9,50 Euro. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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