Ostermontag 1945: Als die Panzer in Werther einrollten

Werther. Der Ostermontag des Jahres 1945 war in Werther ein regnerischer und stürmischer Tag. Insofern passte das Wetter vielleicht für den ein oder anderen – je nach politischem Standpunkt – zu dem Ereignis, das diesen Ostermontag für Werther zu einem historischen Tag werden lassen sollte. Denn dieser Tag, er fiel damals auf einen 2. April, bedeutete für Werther und die umliegenden Orte das Ende des Zweiten Weltkriegs, der offiziell erst fünf Wochen später, am 8. Mai 1945, mit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht beendet wurde. Dem vorausgegangen war der Einmarsch der sowjetischen Armee in Berlin. In Werther waren es die Amerikaner, die die Stadt einnahmen. Der Isingdorfer Landwirt Karl X. (Name geändert) schrieb dazu in seinem Tagebuch: &bdquo;Mittags 12.30 Uhr rückten die Panzer der amerikanischen Armee in Werther ein. An den Sperren Artilleriefeuer. Um 8 Uhr abends rollen immer noch Panzer.“ In Werthers Stadtarchiv ist das Kriegsende kaum dokumentiert Mehr Zeilen waren dem Landwirt die Ereignisse in der Innenstadt offensichtlich nicht wert. Man hatte genug Probleme damit, den Alltag zu bewältigen in diesen Tagen vor und vor allem nach dem Ende des Krieges. Auch im Wertheraner Stadtarchiv ist die Quellenlage dünn. Drei Akten gebe es nur zu dieser Zeit, sagt Archivar Patrick Tarner. Eine zu all den Kriegsgefangenen, die hier interniert oder als Zwangsarbeiter missbraucht wurden. Dann eine weitere zu den Panzersperren, die in und um Werther errichtet wurden, um die Amerikaner aufzuhalten – die sei allerdings zurzeit nicht einsehbar. Und eine dritte mit Allgemeinverfügungen. Lesen Sie auch: Tagebuch in Kriegszeiten: Als in Werther die Tiefflieger angriffen Dort findet sich zum 2. April genau eine Seite, die jedoch die wahrscheinlich spektakulärste und dramatischste Situation des Tages wiedergibt. &bdquo;Der vermutliche Leutnant Bergen“, heißt es da, sei bei einem Gefecht gegen amerikanische Panzer an der Straße Halle – Werther gefallen. Ein Brief beschreibt die letzten Minuten der sechs jungen Männer &bdquo;Vermutlich hat Leutnant Bergen mit dem Obergefreiten Mater ein Motorrad benutzt. Die beiden Leichen mit dem Motorrad wurden an der Haller-Straße in der Nähe der Wirtschaft Waidmannsruh aufgefunden. Leutnant Bergen hatte keinerlei Ausweise und auch keine Erkennungsmarke bei sich“, heißt es in dem Bericht des Standesbeamten in den städtischen Akten. Die genannte Wirtschaft Waidmannsruh lag an der Haller Straße 78 auf der Egge und war in den letzten Jahrzehnten unter dem Namen Club 78 bekannt. Mehr dazu: Flugzeugabsturz in Werther und zwei Tote, die 25 Jahre unentdeckt blieben. Aufschluss über den genauen Verlauf der dramatischen Ereignisse gibt jedoch ein Brief, den Hobbyhistoriker Ulrich Maaß aus einem privaten Nachlass erhalten hat. Er stammt vom Wertheraner Pfarrer Albert Schmidt und ist an die Familien der sechs Soldaten gerichtet, die bei dem Kampf an der Haller Straße getötet wurden. Demnach sollen die Amerikaner &bdquo;mit einer erheblichen Anzahl von Panzern“ durch den Teutoburger Wald nach Werther gekommen sein. Zu beiden Seiten der Haller Straße hatten deutsche Soldaten vor der Panzersperre Abwehrstellung bezogen. Um 12 Uhr mittags soll der Kampf begonnen haben, eineinhalb Stunden später waren die US-Panzer durch die Abwehrstellung gestoßen – und sechs junge Männer tot. Junge Soldaten hatten keine Chance gegen Panzer Zwei Soldaten, Gerhard Glismann und Erich Kohl, waren tödlich von Maschinengewehren getroffen worden und &bdquo;lagen hinter einer Ligusterhecke vor dem Haus des Fabrikanten Baute. Die Panzerfäuste neben ihnen waren noch nicht abgeschossen worden“. Noch dramatischer müssen die letzten Minuten im Leben von Grenadier Georg Altemeier verlaufen sein. Er hatte – so hatte es der vor Ort gewesene Pastor Heuer seinem Amtsbruder Albert Schmidt berichtet – einen Durchschuss des Unterschenkels. Er wurde getroffen, nachdem er seine Panzerfaust abgeschossen und einen amerikanischen Panzer offenbar tatsächlich bewegungsunfähig gemacht hatte. Danach lief er die Böschung hinunter zu dem durch Panzerbeschuss brennenden Haus der Familie Kronsbein und muss dort abermals getroffen worden sein. &bdquo;Er hat noch am Eingang des brennenden Hauses gestanden und ist dann, ohne auf eine Frage der Tochter von Kronsbein eine Antwort gegeben zu haben, in sich zusammengesunken und war dann tot“, schreibt Schmidt an die Eltern. Der Volkssturm brachte sich schnell in Sicherheit Die beiden oben erwähnten Männer auf dem Motorrad, Leutnant Berger und Obergefreiter Mater, waren in Richtung Halle unterwegs, um festzustellen, wie nah die Panzer schon waren. &bdquo;... vor dem Hause von Brockmeier hat er gehalten. Obwohl das Motorengeräusch der Panzer schon zu hören war, ist er weitergefahren“, schreibt Schmidt. Mehr dazu: Werthers dunkelste Stunde: 26 Särge vorm Altar der St.-Jacobi-Kirche Die Panzer müssen sofort das Feuer auf die beiden eröffnet haben. Leutnant Bergen wurde durch einen Kopfschuss getötet. Ebenso sein Kollege Mater sowie ein Dritter, Grenadier Hans Kolossa. Die Gefallenen wurden von Helfern des Roten Kreuzes und Diakonissen des Krankenhauses in Bollerwagen zur Leichenhalle im Krankenhaus gefahren. Möglicherweise wird in den nächsten Jahren noch mehr von den Geschehnissen enthüllt, denn die Stadt hat einen Historiker damit beauftragt, die Zeit des Nationalsozialismus in Werther aufzuarbeiten. 15-Jährige marschierten als letztes Aufgebot durch Werther Auch die Hobbyhistorikerin Erika Stieghorst hatte in ihrem Buch &bdquo;1.000 Jahre von wartera bis Werther“ das Kriegsende nur kurz gestreift und sich dabei auf private Berichte aus ihrem Umfeld sowie des Wertheraner Schuhhändlers Paul Lütgemeyer gestützt. Die Panzersperren an der Haller und Borgholzhausener Straße sollen von Mitgliedern des Volkssturms besetzt gewesen sein, die aber beim Heranrücken der Amerikaner ihre Posten verließen. &bdquo;Andauerndes Wummern schwerer Geschütze aus der Ferne kündigte ihr Näherkommen an.“ Immer wieder zogen Kolonnen durch. Als besonders erschütterndes Bild beschreibt Erika Stieghorst einen &bdquo;Trupp Jungen, höchstens 15 oder 16 Jahre alt, in Uniform, mit Stahlhelm und Waffen, sichtbar erschöpft, aber singend: ,Wir werden weitermarschieren.’“ In der Stadt war die Anspannung zu spüren, denn allen war klar, dass die Ankunft der Amerikaner kurz bevorstand. Nachdem die US-Armee bereits Halle eingenommen hatte, wurden, so berichtet Erika Stieghorst, am Ostermontag das Lazarett in der Wertheraner Volksschule aufgelöst und die Vorräte an Butterschmalz für die Bevölkerung freigegeben. Auch die Geschäfte seien fast gestürmt worden. Plötzlich sei ein Radfahrer durch die Straße gefahren und habe &bdquo;Sie kommen“ gerufen. Kurz darauf &bdquo;rollten die ersten Aufklärungspanzer über die Werther Schanze und schossen die Besitzungen Ermshaus am Berge und Kronsbeim am Siek in Brand.“ Einwohner Werthers versteckten sich in ihren Kellern Im Ort selbst gab es keine Gegenwehr. Kampfpanzer und Panzerwagen, auf denen die amerikanischen Soldaten teilweise saßen, fuhren durch Werther und schon bald weiter in Richtung Jöllenbeck. Niemand sei auf der Straße gewesen, heißt es. Die meisten Anwohner saßen in den Kellern ihrer Häuser und hatten weiße Tücher aus den Fenstern der oberen Etagen gehängt, als Zeichen dafür, dass sie sich ergaben. Einige Mutige sollen die Tücher auch selbst aus den Fenstern geschwenkt haben. Auch weitere deutsche Soldaten hatten sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Stadt aufgehalten. Zumindest berichtet Erika Stieghorst von Wehrmachtssoldaten, die sich am Blotenberg und in der Schoregge versteckten und mehrere Tage von der Bevölkerung heimlich verpflegt wurden. Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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