Das wird emotional: Wertheraner Restaurant blickt Schließung entgegen

Werther. Die ersten Tränen hat sich Cornelia Wulfmeier bereits verdrücken müssen. Am Vatertag kam eine Männertruppe, die Wulfmeiers schon seit 20 Jahren kennt, ein letztes Mal in den Bergfrieden. Die Männer aßen zu Mittag, tauschten zwei leere Bierkisten gegen zwei volle, verteilten an Wulfmeiers und alle Mitarbeiter Schokolade und schmetterten den umgedichteten Flippers-Hit &bdquo;Wir sagen Dankeschön“. &bdquo;Da mussten wir schlucken“, erzählen Cornelia und Dirk Wulfmeier. Es ist Montagmittag und ruhig in der Gaststube. Bald wird das immer so sein. Bis auf Beerdigungskaffeetrinken und Frühstück für die Hotelgäste wird das Haus seine Türen für immer schließen. Eine völlig neue Situation für das Wirtepaar, das dem kommenden Sonntag mit gemischten Gefühlen entgegenblickt. Am 30. Juni zur Mittagszeit öffnet die Gaststätte ein letztes Mal. &bdquo;So richtig werden wir es wohl erst am Montag realisieren, dass nun eine Ära zu Ende ist“, sagt Cornelia Wulfmeier. Vielleicht sei es ganz gut, dass sie und ihr Mann in den letzten Monaten nicht viel zum Nachdenken gekommen sind. &bdquo;Es gab viel zu tun, Zeit zum Durchatmen hatten wir keine.“ Knochenjob und 19-Stunden-Tage hinter sich lassen Mehr als 100 Jahre hat die Familie den Bergfrieden und das dazugehörige Restaurant geführt. Umso schwerer die Entscheidung, es nun zu schließen. Auch wenn Wulfmeiers das Hotel mit seinen 15 Zimmern erst einmal weiterbetreiben und sie genug zu tun haben werden - &bdquo;natürlich ist es uns schwer gefallen, uns dazu durchzuringen. Aber jetzt sind wir damit im Reinen.“ Die Entscheidung fiel nicht vom Himmel, sondern ist über Monate gereift. Die eigenen Kinder wollten den Betrieb nicht übernehmen, vielleicht auch, weil sie gesehen haben, was es für ein Knochenjob ist. 19-Stunden-Tage waren eher die Regel als die Ausnahme, freie Wochenenden gab es praktisch keine und Urlaub allenfalls ein paar Tage. Und wenn Silvesterpartys, Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern bis in die frühen Morgenstunden gingen, musste Cornelia Wulfmeier trotzdem am nächsten Morgen früh aus den Federn, um das Frühstück für die Hotelgäste vorzubereiten. &bdquo;Wir haben einfach festgestellt, dass unsere Kräfte begrenzt sind“, sagt das Ehepaar ehrlich. Was man früher leicht weggesteckt habe, bleibe heute in den Knochen.“Wir gehen mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagen der 63-Jährige und seine 61-jährige Frau. &bdquo;Ihr habt so tolle Matratzen“ Dass die Gäste auf die angekündigte Schließung mit großem Bedauern reagiert haben, ist für Wulfmeiers Balsam auf die Seele. &bdquo;Es ist so schön zu hören, dass es ihnen bei uns gefallen hat. Und nicht nur das Essen“, verrät Cornelia Wulfmeier. &bdquo;Gerade erst hatten wir Leute zu Gast, die für das Tennisturnier in Halle angereist waren. Sie liebten es, morgens vom Vogelgezwitscher geweckt zu werden. Und wir hätten so tolle Matratzen, meinten sie“ - Cornelia Wulfmeier muss schmunzeln. Aber nicht nur die Gäste haben schöne Erinnerungen an ihre Zeit im Bergfrieden. &bdquo;Wir natürlich auch.“ Cornelia Wulfmeier erzählt: &bdquo;Bei einer Hochzeit bin ich nachts um nach 2 Uhr ins Bett gegangen. Mein Mann blieb auf, um später abzuschließen. Als ich am nächsten Morgen um 6 Uhr aufgestanden bin, war die Party immer noch in vollem Gang. Um 7.30 Uhr wurde mit Vodka nachgelegt und weitergefeiert.“ Von Halligalli und Silvesterpartys Neben Alkohol hat oft auch Musik die Stimmung gehoben. &bdquo;Ich erinnere mich an zwei Hochzeiten, die gleichzeitig bei uns gefeiert wurden, eine große im Saal und eine kleinere im Kaminzimmer. Die im Saal war totgeplant, es gab viel Programm, aber keine Stimmung. Im Kaminzimmer dagegen herrschte Halligalli. Irgendwann ist der Musiker, den die Kaminzimmer-Leute angeheuert hatten, einfach rübergegangen Am Ende wussten wir nicht mehr, wer zu wem gehörte. Auch das Abrechnen war schwierig.“ Legendär waren auch die Silvesterpartys im Bergfrieden. &bdquo;Werbung mussten wir dafür keine machen. Es war immer voll im Saal.“ Voll war danach auch das Auto, mit dem Wulfmeiers ihre Gäste nach Hause fuhren. &bdquo;Meine Mutter hatte irgendwann damit angefangen, und wir haben es dann übernommen“, erzählt Dirk Wulfmeier. Es habe eine Warteliste für den nächtlichen Shuttleservice gegeben und eine Liste, wer in welche Richtung gebracht werden wollte - Werther, Halle, Borgholzhausen, Babenhausen, Theesen, Jöllenbeck. &bdquo;’Wo bleibt ihr denn?’, haben uns die Leute einmal gefragt, weil wir so lange unterwegs waren. Oben bei uns war freie Sicht, aber unten im Tal kompletter Nebel.“ Eine BMW Isetta ist der Knüller Den Knüller lieferten Wulfmeiers anlässlich einer goldenen Hochzeit eines Wertheraner Ehepaars. &bdquo;Die Frau hatte uns vorher erzählt, dass ihr erstes Auto eine Isetta war, und wie schön das damals war, mit dem Wagen herumzufahren.“ Wie gut, dass Dirk Wulfmeier eine Isetta besitzt. Spontan wurde das Kultauto für die Feier mitten in den Saal geschoben und die Getränke daraus serviert. Ein riesiger Erfolg. Nicht so schön war ein Vorfall im Jahr 2000. &bdquo;Wir hatten gerade unseren Windfang neu gemacht“, können sich Wulfmeiers noch gut erinnern. Das hätten sie besser bleiben lassen. &bdquo;Auf einer Silberhochzeit haben sich der Silberbräutigam und sein Sohn derart geprügelt, dass sich die Platten lösten und der Putz von den Wänden fiel. In der Woche drauf mussten wir alles neu machen lassen. Und sind dann noch ewig hinter dem Geld hergelaufen.“ Genau wie bei einer Hochzeit, von der die Brautleute ganz offenkundig schon vorher wussten, dass sie nicht würden zahlen können. &bdquo;Mit Polterabend, Hochzeitsfeier und Hotelübernachtung. Das war echt Mist.“ Was Wulfmeiers und ihr Team aus dem Effeff konnten, war improvisieren. &bdquo;Es geht immer mal was schief. Dann musst du auf Zack sein.“ Zwar gab es Momente &bdquo;in denen wir geflucht haben“, erzählen die beiden. &bdquo;Aber immer so, dass es die Gäste nicht mitbekamen.“ Glücklicherweise hatte das Wirtepaar immer einen Plan B in der Schublade. Am Sonntag dürfen sich Wulfmeiers feiern lassen Wie bei einer Fete zu einem 70. Geburtstag. Die sollte nach Wunsch des Geburtstagskindes unbedingt draußen stattfinden. &bdquo;Am Ende hat es krachend gewittert. Die Band ist unter einen Sonnenschirm geflüchtet und die Tische haben wir ruckzuck an die Wand und unter die Vordächer geschoben. Ich hatte den Mann gewarnt!“, so Cornelia Wulfmeier lachend. Gern würde sie bestimmen, wie das Wetter an diesem Sonntag wird. &bdquo;Hoffentlich schön.“ Denn wenn sie nach dem Mittagsgeschäft um 15 Uhr wirklich den Schlüssel umdrehen, dann dürfen sich Wulfmeiers selbst feiern lassen. Sie haben Familie, Verwandte, Freunde und Nachbarn eingeladen und den Grillwagen von Fleischerei Paul bestellt. &bdquo;Das wird sicher ein emotionaler Moment“, freuen sie sich darauf, fürchten sich aber auch ein bisschen. Tränen könnten auch fließen, wenn sie sich bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanken. Neun waren es zum Schluss, zwei werden für den Hotelbetrieb bleiben. &bdquo;Unser Team ist mit uns alt geworden“, sagen Cornelia und Dirk Wulfmeier. Und dass sie sich keine besseren Mitarbeiter hätten wünschen können. &bdquo;Solche Leute kannst du suchen wie die Nadel im Heuhaufen.“ Man habe sich blind verstanden, die Kommunikation klappte auch ohne Worte. Zeit für Urlaub und den Enkel Und was machen Wulfmeiers am nächsten Montag? &bdquo;Erstmal durchatmen. Und aufräumen. Und dann Urlaub“, steht für sie fest. Ein paar Tage an die See. Wohin, wird spontan entschieden. In dieser Zeit bleibt das Hotel geschlossen. Wirkliche Pläne für die Zeit nach dem Restaurantbetrieb haben sie noch keine. Aber eine große Vorfreude, die Tretmühle hinter sich zu lassen und Zeit zu zweit oder mit ihrem zweijährigen Enkel zu verbringen. Und vielleicht am Wochenende einfach mal irgendwo hinfahren. Vielleicht in ihrer Isetta...

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