Kultgaststätte, Vereinsheim, Bäckerei: Dieser Ort in Werther hatte alles

Werther-Häger. &bdquo;Sonntags nach dem Spiel ging für mich sowas von schnell die Sonne unter.“ Es ist Mitte der 1970er Jahre, Uwe Gehring ist 18 Jahre alt und in die erste Fußballmannschaft des SV Häger gewechselt. Nach dem Abpfiff immer der gleiche Weg: hinüber zu Massmann, wo unter Spielern und ein paar Hartgesottenen vom Vorstand die Flaschen Jägermeister schneller kreisen als ein Karussell. Wenn Uwe Gehring noch denkt, &bdquo;ich kann nicht mehr“, heißt es: &bdquo;Dann wollen wir die Schlagzahl mal erhöhen!“ &bdquo;Du warst heilfroh, wenn du es mit der Sporttasche nach Hause geschafft hast“, blickt Uwe Gehring auf eine anstrengende, schräge, lustige, wunderbare Zeit zurück, in der Kameradschaft alles galt. Er erinnert sich mit Wehmut. Nicht nur, dass die Zeiten in der kultigen Gaststätte, die zugleich Vereinsheim, Dorfladen und Bäckerei war und die &bdquo;besten Brötchen von ganz Häger“ buk, längst vorbei sind. Auch die Tage des Gebäudes sind gezählt. Von den Mauern steht nicht mehr viel, der Abriss ist in vollem Gange. Es wird nichts mehr bleiben als die Erinnerung. Frau Massmann zu Herrn Massmann: &bdquo;Schick’ die doch mal nach Hause!“ Umso wertvoller, sie zu bewahren. &bdquo;Was wurde hier früher gesoffen“, blickt Gehring zurück. Nicht nur von den Spielern. Auch von den Stammgästen. &bdquo;Massmann hatte ein gutes Dutzend Fremdenzimmer, die an Monteure vermietet waren“, erzählt Gehring. Bei einer Weihnachtsfeier sei es so hoch her gegangen, &bdquo;dass sich die Hose eines Gastes in Zimmer 6, seine Socken in Zimmer 8 und er selbst sich in Zimmer 12 wiederfand“. Bier und Korn gingen bei Massmann super, Exoten wie Whisky überhaupt nicht. &bdquo;Wenn du einen zehn Jahre alten Whisky bestellt hast, konntest du davon ausgehen, dass er mindestens schon 30 Jahre alt war. Den kaufte hier niemand.“ Apropos kaufen: &bdquo;Wenn dir am Wochenende mal das Bier ausging, bist du einfach zu Massmann rübergegangen und hast dir eine Kiste Herforder aus dem Keller geholt. &bdquo;Du weißt ja, wo die Kisten stehen“, hätte Hanna nur gerufen. Bezahlt wurde später. Nicht nur nach den Spielen am Wochenende, auch nach den Trainings dienstags und donnerstags ging es hinüber zu Massmann. Manchmal wurden daraus so lange Trinkgelage, dass Hanna von hinten ihrem Mann zurief: &bdquo;Sind die immer noch da? Schick’ die doch mal nach Hause!“ Für 200 D-Mark auf einem Bierdeckel Brot und Brötchen angeschrieben Manches Mal blieben die letzten Gäste so lange, dass sie am nächsten Morgen frisches Brot aus der Bäckerei mit nach Hause nehmen konnten. Massmanns waren nette Leute, und so war Anschreiben nicht nur für Alkoholisches, sondern auch für Brot und Brötchen möglich. &bdquo;Einer der Spieler“ - Gehring nennt den Namen - &bdquo;hat mal ein halbes Jahr lang Brot anschreiben lassen. Da standen nachher 200 Mark auf dem Deckel.“ Überhaupt waren Massmanns unglaublich tolerant. &bdquo;Sie haben nie etwas gesagt, wenn wir mit unseren tiefen Stollen zur Spielerbesprechung in die Backstube kamen“, erzählt Gehring. &bdquo;Aber nur da konnten wir in Ruhe reden, ohne dass es der Gegner mitbekam.“ Ja, Hanna und Wilfried hätten schon viel mit ihnen ertragen müssen. Jahrzehntelang hat das Ehepaar die Gaststätte geführt - er die Bäckerei, weshalb ihn alle nur &bdquo;Bäcker“ nannten, sie die Kneipe. &bdquo;Beide waren so etwas wie unsere Herbergseltern“, sagt Gehring. Der Sportplatz hätte ihnen gehört, sie hätten ihn an die Stadt verpachtet und diese ihn dann dem SV überlassen. Ein schiefer Platz und ein Strafraum kürzer als der andere Dass der Platz keinen einzigen rechten Winkel hatte, machte überhaupt nichts. &bdquo;Er war einer der besten der Gegend.“ Durch geschicktes Markieren des Spielfelds konnte kaschiert werden, dass alle Ecken unterschiedlich bemessen und der eine Sechzehner einen Meter kürzer war als der andere. &bdquo;Den gegnerischen Mannschaften ist das nie aufgefallen“, freut sich Gehring bis heute. &bdquo;Es hat aber auch nie einer ausgewertet, ob das jemals ein Vorteil für uns war.“ Ausgesehen habe der Platz immer akkurat. Ob es ein Vorteil für die heimische Mannschaft war, dass Hanna Massmann ihren Spielern an kalten Tagen in der Halbzeitpause Tee mit einem ordentlichen Schuss Rum bereitstellte, daran kann sich Gehring nicht mehr erinnern. &bdquo;Auf jeden Fall hat uns das für die zweite Halbzeit sehr aufgebaut.“ Genau wie die heiße Suppe, die es manche Male nach Spielende gab. Überhaupt sei Hanna eine ordentliche Köchin gewesen. &bdquo;Zur Freude vieler Gäste machte sie immer Soleier“, erzählt Gehring. &bdquo;Die standen in einem Zehn-Liter-Glas auf der Theke. Ein Stammgast, der zu viel intus hatte, schaffte es eines Abends nicht, aus eigener Kraft aufzustehen. Er krallte sich am Soleier-Glas fest und riss es zu Boden. Hanna fand das überhaupt nicht witzig, sie hatte für den Mann ein paar passende Worte parat.“ Kasseler für die Gäste, Brotmantel für die Schweine Bei einer Weihnachtsfeier war vorher durchgesickert, dass es Kasseler im Brotteig geben würde. &bdquo;Das mochten wir alle und haben uns entsprechend darauf gefreut.“ Als dann das Essen kam, lagen zwar Scheiben Kasseler auf dem Teller, aber nicht im Brotmantel. &bdquo;Wo ist denn der Teig geblieben?“, fragte jemand. &bdquo;Wie, Teig?“, fragte Wilfried &bdquo;Bäcker“ Massmann: &bdquo;Den habe ich den Schweinen gegeben!“ Uwe Gehring muss lachen, als er das erzählt. Und auch, wie immer alle synchron aufblickten, wenn jemand Fremdes die Kneipe betrat. In Häger war man eben unter sich, jemand Fremdes fiel auf wie ein Schwan in einer Gruppe Enten. &bdquo;So ging es meiner Freundin, als ich sie zum ersten Mal mit zu Massmann nahm“, schildert Gehring. Als sie zur Toilette musste und fragte, wo denn hier &bdquo;für Damen“ sei, habe Wilfried Massmann nur geantwortet: &bdquo;Ha’m wir hier nicht.“ Stimmte natürlich nicht, &bdquo;auch bei Massmann gab’s immer schon ein Damenklo“. Der Bagger reißt eine Ära zu Boden Vor 14 Tagen hatte Uwe Gehring auf Einladung der Stadt ein letztes Mal die Gelegenheit, das Innere der Gaststätte, die zuletzt als Flüchtlingsunterkunft genutzt worden war, zu betreten. Dabei hat er zur Erinnerung viele Fotos gemacht, von den Backöfen, die noch immer im Haus standen, von leeren Zimmern, dem leeren Schankraum, einem düsteren Keller und auch von dem Zimmer, in dem der Flüchtling seinerzeit das Feuer gelegt hatte, was das Gebäude am Ende unbewohnbar machte. Auch auf dem Dachboden ist er gewesen. &bdquo;Ich hatte ein bisschen gehofft, dass man dort noch alte Dokumente finden würde, aber da war nichts mehr.“ Geblieben sind viele schöne Erinnerungen, der Pokalschrank, der inzwischen bei Weinhorst ein neues Zuhause gefunden hat, und der Sparschrank, der jetzt im Dorfladen hängt. Mit dem Bagger wird eine Ära abgerissen, wie es sie in Häger wohl nicht noch einmal geben wird.

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