Bauprojekt in Versmold

Riesige Baustelle in Versmolds Hinterland sorgt für ungewöhnliche Kleidung

Versmold und Borgholzhausen machen gemeinsame Sache und setzen ein großes Bauprojekt um. Die Maßnahme erfolgt nicht ganz freiwillig und führt die Beteiligten an einen abgelegenen Ort.

Dirk Niggemann (v. l.), Sandra Szyczypior, Michael Meyer-Hermann, Klaus Ertel, Ralf Kloke, Nico Schaphüser, Edgar Tegelkamp und Dirk Speckmann luden ein, um die Maßnahme in Versmold vorzustellen. | © Andre Schneider

Andre Schneider
23.09.2025 | 23.09.2025, 18:02

Versmold. „Leg dich niemals mit einem Journalisten an. Wir kennen Plätze, an denen dich keiner mehr findet.“ Dieser zugegeben sehr freche Spruch steht auf meiner Kaffeetasse im Büro. Tatsächlich führt mich mein Beruf manchmal an unscheinbare Orte, die nicht jeder auf den ersten Blick erkennt. Das ist mir am 18. September passiert. Bei meiner Fahrt ins Grenzgebiet zwischen Versmold und Borgholzhausen konnte ich nun einen Blick auf ein großes Bauvorhaben werfen. Ich komme dort mit gemischten Gefühlen an. Das liegt aber nicht am Ort des Geschehens.

Es ist tatsächlich selten, dass ich mir in meiner Heimatstadt Versmold zuvor eine Route anschauen muss. Wo muss ich eigentlich hin? Halstenbeck. Casumer Bach. Ob ich dort schon einmal war, weiß ich ehrlich gesagt nicht. In der Nähe liegen der Biohof Beckerwerth und das Domizil von Tischler Hagen Franke. Die Ortsgrenze zu Borgholzhausen ist nur wenige Meter entfernt. „Wir sind definitiv noch auf Versmolder Stadtgebiet“, sagt Piums Bürgermeister Dirk Speckmann. Wir kommen fast zeitgleich an.

Rückblick: In der Mittagspause erreicht mich eine Nachricht von Stadtsprecherin Jennifer Wehmöller. Sie fragt, ob ich zum Termin komme. „Dann empfehle ich dir Gummistiefel“, schreibt sie mit einem Smiley. Da ich keine zur Hand habe, bringt sie mir welche mit. Das soll sich als sinnvoll erweisen. Denn gebaut wird mitten auf einem Acker. Für das Pressefoto steigen die Verantwortlichen in eine tiefe Grube neben einem Bagger. Versmolds Bauamtschef Dirk Niggemann bleibt um ein Haar stecken.

Baustelle zwischen Versmold und Borgholzhausen bringt viel

Weshalb mich die Stadtvertreter aus Versmold und Borgholzhausen zum Termin bitten, weiß ich. Es geht um eine Renaturierungsmaßnahme für den Casumer Bach. Auftraggeber ist der Zweckverband „Gewerbe- und Industriegebiet Borgholzhausen/Versmold“ (IBV). Der Verband bekommt so genannt Ökopunkte für die 120.000 Euro teuren Bauarbeiten. Die braucht er, um Flächen für den geplanten dritten Bauabschnitt an der A33 versiegeln zu können. Quasi als Ausgleich. Zudem, und das war mir nicht bewusst, „wird ebenso die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie fortgeführt“, so der Verband in einer Mitteilung. Damit wird ein Beitrag zur Wiederherstellung „des sogenannten guten Zustandes der Gewässer“ geleistet.

Große Fahrzeuge greifen in die Natur in Versmold ein. - © Andre Schneider
Große Fahrzeuge greifen in die Natur in Versmold ein. (© Andre Schneider)

Das macht mich ehrlich gesagt skeptisch. Denn als ich ankomme, sehe ich drei große Baumaschinen, die in die für mich intakte Natur massiv eingreifen. Ralf Kloke, Diplom-Geograf und Landschaftsplaner vom ausführenden Unternehmen NZO, hat eine Karte dabei und ordnet ein, was passiert. Der Casumer Bach wird auf einer Länge von 390 Metern renaturiert. „Im Moment ist er in einem ökologisch unbefriedigenden Zustand“, sagt er. Das Bachbett wird nach oben hin geöffnet. Auf der Karte sind Inseln zu sehen, genauso wie Totholzbereiche. Der Bachlauf wächst von 330 auf 540 Meter. „Das ist eine Aufwertung für die Landschaft. Der Bach wird gegenüber dem Klimawandel resilienter“, erläutert der Experte. Die Sekundärauen, die nun entstehen, bilden Lebensräume für Flora und Fauna.

„Die Natur wird sich hier schnell entwickeln. Das zu sehen, ist sehr schön“, findet Sandra Szczypior aus dem Versmolder Bauamt. Zwei andere Maßnahmen unterstützen ihre Aussage. Die ausführenden Firmen, das Büro NZO aus Bielefeld und die Firma Tegelkamp, haben nämlich bereits zwei weitere Projekte in Versmold umgesetzt. Am Bockhorster Bach wurden Bachläufe angepasst. Ich erinnere mich an einen Vortrag, den ich im Mai 2023 gehört habe. Die Bauarbeiten zeigten damals erste Erfolge.

Sünde aus der Vergangenheit zwischen Versmold und Borgholzhausen

Gummistiefel trägt HK-Redakteur Andre Schneider im Beruf eher selten. - © Andre Schneider
Gummistiefel trägt HK-Redakteur Andre Schneider im Beruf eher selten. (© Andre Schneider)

Trotzdem bohre ich bei dem Termin an der neuen Baustelle tiefer nach. „Warum ist der Casumer Bach denn überhaupt in diesem Zustand?“, möchte ich wissen. „Wir haben eine Karte von 1837 eingesehen. Da hatte der Bach schon seinen heutigen Verlauf“, antwortet Ralf Kloke. Das liegt wahrscheinlich an den vielen künstlich aufgestauten Mühlenteichen in dieser Gegend. Eine Sünde aus der ferneren Vergangenheit also. Vor Ort finde ich die Argumente überzeugend. Trotzdem fahre ich mit einem komischen Gefühl wieder in die Innenstadt. Man muss also erst etwas reparieren, um an einer anderen Stelle Flächen zu versiegeln? Das kommt mir komisch vor.

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Einen Tag später rufe ich Wolfgang Beuge an. Beuge sitzt für die Grünen im Stadtrat und tat sich in der Vergangenheit als leidenschaftlicher Vorkämpfer für Naturschutzprojekte hervor, ohne mit Kritik zu sparen. „Bei mir schlagen zwei Herzen in der Brust“, sagt er. „Solche Maßnahmen sind Verbesserungen. Aber die Versiegelung neuer Flächen stößt schon sauer auf.“ Als ein „kleiner Ausgleich“, so Beuge, „sind die Maßnahmen aber nicht schlecht“. Das zeigten auch die positiven Beispiele aus Bockhorst: „Daran kann man sehen, was man erreichen kann.“

Meine „Sammlung“ ist nun um einen dieser unscheinbaren Orte reicher. Aber - und das ist viel wichtiger als freche Sprüche auf einer Kaffeetasse - ich habe mit einem komischen Gefühl ausgeräumt. Denn nun weiß ich, dass der Casumer Bach hier alles andere als einen natürlichen Verlauf hatte. Dank der Baumaßnahmen entsteht ein kleines Naturrefugium. Die Landschaft wird in den kommenden Jahren dort schöner und lebenswerter.

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