Er war so lange in der Gemeinde wie kaum ein Pfarrer zuvor

Versmold. Die Stimme vom Anrufbeantworter dürfte vielen vertraut sein. &bdquo;Im Pfarrhaus bei Leiendeckers ist zurzeit niemand erreichbar", spuckte das Band aus, sollte einmal keiner zu Hause sein. Die Ansage, die seit einigen Wochen zu hören ist, lässt kurz zusammenzucken. Denn sie erklärt, dass momentan die Pfarrstelle nicht besetzt sei. Was nicht ganz richtig ist, denn Pfarrer Leiendecker ist noch bis Monatsende im Dienst. Der Auszug aus dem Pfarrhaus neben der Kirche, das fast vier Jahrzehnte das Zuhause seiner Familie war, ist allerdings bereits erfolgt. Ein erster Schritt in einen neuen Lebensabschnitt. Telefonisch ist dort tatsächlich unter der bekannten Nummer keiner erreichbar. &bdquo;Wir haben hier Wurzeln geschlagen" &bdquo;Ich hätte noch drei Jahre weiter arbeiten können", sagt der 63-Jährige. &bdquo;Meine Frau und ich haben aber bewusst so entschieden." Birgit Leiendecker arbeitete als Lehrerin in Harsewinkel und schied mit den Sommerferien aus dem Berufsleben aus. Das Ehepaar, das einst aus dem Sauerländischen nach Versmold kam, bleibt in der neuen Heimat wohnen. &bdquo;Nach 36 Jahren haben wir hier Wurzeln geschlagen." Deshalb kauften die Leiendeckers bereits vor einigen Jahren eine Eigentumswohnung in zentraler Lage und vermieteten diese zunächst. Vor knapp zwei Monaten sind sie selbst dort eingezogen. &bdquo;Das ist mir nicht schwergefallen. Wir haben uns auf die Wohnung gefreut", sagt Dirk Leiendecker. Im Pfarrhaus ist derweil Zeit für die Handwerker. Verschiedene Renovierungen müssen erledigt werden, bevor Anfang 2022 der Nachfolger einziehen wird. Pfarrer Christian Stephan, der zurzeit noch mit seiner Familie in Paraguay lebt, übernimmt in der evangelischen Kirchengemeinde die neu gefasste Pfarrstelle Nord. Mit dem Ruhestand von insgesamt drei Pfarrern in diesem Jahr strukturiert die Gemeinde, wie berichtet, insgesamt um. Auf die Erfahrungen ihres dienstältesten Kollegen muss das Team dabei verzichten – was nicht einfach sein dürfte. &bdquo;Wenn andere überlegten, wie man ein Problem angehen könnte, hatte er bereits an der Lösung gearbeitet", schreibt Kirchmeister Hartmut Fromme im Gemeindebrief über seinen langjährigen Weggefährten. Er habe ihn als &bdquo;echten Kümmerer" mit viel Elan erlebt. Dirk Leiendecker selbst ist eher bescheiden, wenn es um die eigene Leistung und seine Rolle in der Gemeinde geht. Es werde auch ohne ihn gut weitergehen. &bdquo;Klar ist für mich, dass ich mich hier raushalten werde", sagt er. Ein Ehrenamt innerhalb der Gemeinde werde er deshalb nicht übernehmen. &bdquo;Es braucht jetzt einfach Abstand." Beerdigungen gehen ihm nahe Wie viele Gottesdienste er in seiner Laufbahn gehalten hat, kann der Pfarrer nicht sagen. Nicht einmal schätzen. Die Zahl der Taufen und Trauungen hat er zumindest grob überschlagen und kommt auf etwa 540 Eheversprechen und 900 Taufen. Eine Statistik hat Leiendecker dagegen genau geführt: 1.325 Bestattungen – von der Totgeburt bis zur 102-Jährigen. &bdquo;Das geht oft an die Nieren." Dennoch müsse man Distanz wahren. Als Pfarrer begleitet er Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, hat Teil an ihren Gedanken und Gefühlen, ist wichtiger Ansprechpartner. Authentisch zu sein sei ihm ein großes Anliegen. Mit Blick auf die eigene Person. &bdquo;Ich könnte nichts erzählen, woran ich nicht glaube." Und mit Blick auf die Person, über die er spricht. &bdquo;Ich bin nicht da, jemanden in den Himmel zu sprechen oder in die Hölle. Ich möchte jemanden darstellen, wie er gewesen ist – mit all seinen Macken", sagt Leiendecker über seine Aufgabe bei Bestattungen. &bdquo;Wenn die Leute aus der Kapelle gehen, sollen sie sagen: Ja, das war er oder sie." Es dürfe auch mal gelacht werden oder ein lockerer Spruch sein – was immer vorkommt, ist die christliche Hoffnung. Es gab Beerdigungen, die ihm besonders nah gegangen sind. &bdquo;Da habe ich für mich Trauer empfunden", sagt der 63-Jährige. Zum Beispiel um Menschen, die er lange begleitete. Und es gab Todesfälle im ganz nahen Umfeld, bei denen er ehrlich sagen musste: &bdquo;Das kann ich nicht." Da war Dirk Leiendecker selbst Teil der Trauergemeinde. Ob Taufe, Hochzeit oder Beerdigung – einen anderen Beruf als den des Pfarrers konnte sich der Versmolder nie vorstellen. Mit 16 Jahren traf Dirk Leiendecker für sich die Entscheidung. Seine Eltern und die beiden Brüder hatten engen Kontakt zur Gemeinde in Nachrodt-Wiblingwerde im Sauerland. Nach dem Abitur studierte Leiendecker in Münster Theologie und bewarb sich nach der praktischen Ausbildung auf die Stelle in Versmold. Zum 1. Oktober 1985 trat er seinen Dienst an, zunächst als Vakanzvertretung; im Frühjahr 1986 erfolgte die Ordination und im Dezember desselben Jahres wurde er offiziell Gemeindepfarrer. &bdquo;Ich bin mit Herzblut dabei" &bdquo;Ich bin immer noch mit Herzblut dabei", sagt der 63-Jährige und freut sich dennoch auf den Ruhestand. Der Zeitpunkt für den Ausstieg aus dem Beruf stand schon länger fest. &bdquo;Es kommt erst in den letzten Tagen an", schildert Dirk Leiendecker. Am Dienstag ist letzter Arbeitstag, bereits diesen Sonntag die offizielle Verabschiedung. Eine Woche danach wird Leiendecker noch die Konfirmation mit seiner Gruppe feiern; eine Hochzeit hat er ebenso bereits vor zwei Jahren für September zugesagt. Apropos Hochzeit: Im Gemeindebrief erzählt der Pfarrer von einem Fauxpas, an den er sich gut erinnern kann. Bei einer Hochzeit in der Petri-Kirche habe er einmal den falschen Vornamen der Braut genannt. &bdquo;Es waren nur Sekunden, aber man hätte eine Nadel fallen hören können, so entsetzt waren Braut, Bräutigam und Gemeinde." Zum Glück habe er noch die Kurve bekommen. Die kleine Panne dürfte ihm verziehen worden sein ... Und was macht jemand, dessen Alltag vom Gemeindeleben geprägt war, ohne diese Aufgabe? &bdquo;Es gibt keinen festen Plan. Wir lassen es auf uns zukommen." Mehr Zeit fürs Reisen, fürs Motorradfahren und für den Freundeskreis. &bdquo;Ich versuche, das Fahrradfahren für mich zu entdecken. Eigentlich bin ich eine faule Socke." Lesen Sie auch: Altersprobleme beim letzten Geleit: Kirchengemeinde sucht Sargträger

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