48 Jahre im Steinhagener Rathaus: Diese Krisen wird sie nicht vergessen

Steinhagen. Die Girlanden im Flur stammen noch von der Verabschiedung vor wenigen Tagen. Das Büro im Erdgeschoss des Rathauses ist schon leer geräumt. Für das Pressegespräch schließt Ellen Strothenke noch einmal auf. Das Feuerwehr-Auto auf dem Schrank hat sie ihrem Nachfolger vererbt. Ebenso die zig Aktenordner, die unter dem Fahrzeugmodell in den Regalen stehen. Als es im Gespräch um Zahlen geht, steht die scheidende Leiterin des Ordnungs- und Umweltamtes hin und wieder auf, um einen der Ordner rauszuziehen, um auch ja die richtigen Daten zu nennen. Eine Zahl muss sie nicht nachschauen: 48. So viele Jahre war sie für die Steinhagener Gemeindeverwaltung tätig. Einige davon als allgemeine Stellvertreterin von Bürgermeister Klaus Besser. &bdquo;Ich habe während dieser Zeit in den Bereichen gearbeitet, die mich schon als 19-Jährige interessiert haben“, erzählt Ellen Strothenke gut gelaunt: Gemeint sind das Sozialamt, das Finanzwesen und das Ordnungsamt. Gute Laune kommt da nicht bei jedem auf. Doch die frisch gebackene Ruheständlerin – so scheint es – können weder Aktenberge noch Zahlenkolonnen wirklich beeindrucken. Als Herausforderungen entpuppten sich vielmehr die großen gesellschaftlichen Krisen, die vor dem Steinhagener Rathaus natürlich nicht Halt machten. Und Krisen – davon gab es einige während ihres Arbeitslebens. Im Steinhagener Rathaus Karriere gemacht Als die Verwaltungsfachangestellte 1988 ins Sozialamt versetzt wird, da ist in den Nachrichten von Perestroika und Glasnost die Rede. &bdquo;Die Grenzöffnungen kamen damals sehr unvorbereitet. Ich weiß noch sehr gut, wie wir an den Wochenenden Begrüßungsgeld ausgezahlt haben.“ Während der ersten Flüchtlingswelle werden in Steinhagen Schul-Aulen und Feuerwehrgerätehäuser zu Sammelunterkünften umfunktioniert. Parallel dazu hat Steinhagen mit der Balsam-Krise zu kämpfen. &bdquo;Innerhalb von vier Wochen musste die Gemeinde einen hohen Millionenbetrag aufbringen und an das Finanzamt zurückzahlen“, erinnert sich Ellen Strothenke an eine aufreibende Zeit. Nachdem sie 1995 die Leitung des Sozialamtes übernommen hat, verlässt Ellen Strothenke von 2005 bis 2009 das Steinhagener Rathaus, um in Gütersloh das Hartz-IV-Gesetz als Teil der rot-grünen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen auf Kreisebene umzusetzen. &bdquo;Wir haben damals eine ganz neue Behörde aufgebaut“, erzählt Ellen Strothenke und meint die GT aktiv GmbH. Lesen Sie auch: Mit 74 Jahren: Was Steinhagens dienstältester Lehrer über Schule denkt 2010 übernimmt sie als Nachfolgerin von Friedhelm Köhr die Leitung des Steinhagener Ordnungs- und Umweltamtes. In der Position gehört der Krisenmodus gewissermaßen zur Jobbeschreibung. In Erinnerung bleibt ihr vor allem eine große Krise: Corona. Die ersten vier Wochen der Pandemie erlebt ausgerechnet die Amtsleiterin zu Hause in Quarantäne. Ellen Strothenke war Gast auf einer Feier, von wo aus sich das neue Virus in Steinhagen verbreitet. &bdquo;Damals habe ich meine ersten Homeoffice-Erfahrungen gemacht“, erinnert sich Ellen Strothenke. Von ihrer Wohnung in Brockhagen aus managt sie den Ausnahmezustand. Später, als das Rathaus auf Infektionsschutzgründen geschlossen wird, werden Bürgerinnen und Bürger auch mal vom offenen Fenster ihres Büros aus beraten. &bdquo;Da wurde mein Fenster zum Rathaus-Drive-In“, scherzt die 64-Jährige. Ausnahmezustand in Steinhagen: Krisen wechselten sich ab Rückblickend hat die Oberaufseherin über die unzähligen und sich ständig ändernden Maßnahmen Verständnis für Kritik am Umgang mit der Pandemie. &bdquo;Es gab fast täglich Änderungen in der Coronaschutzverordnung, die wir umzusetzen hatten. Klar kann man das heute alles anders sehen. Aber wir wussten vieles damals einfach nicht besser. Alle hatten Angst“, blickt Ellen Strothenke nachdenklich zurück. Es folgt: die Energiekrise. Plötzlich müssen Ellen Strothenke und ihr Rathaus-Team Notstromaggregate anschaffen und der Bevölkerung allen Ernstes dazu raten, ein batteriebetriebenes Radio oder Kurbelradio bereitzuhalten, damit sie bei einem lang anhaltenden Stromausfall Mitteilungen der Behörden empfangen können. Lesen Sie auch: Denkmal-Zoff: Jetzt meldet sich Steinhagens Altbürgermeister zu Wort Wenn Ellen Strothenke nach einem langen kräftezehrenden Arbeitstag – und das konnten auch mal 14 Stunden sein – nach Hause kommt, dann belohnt sie sich mit diesem Satz: &bdquo;Wir haben es geschafft.“ Zugute kommt der Brockhagenerin im Job eine Mischung aus Selbstdisziplin, Leistungsbereitschaft und Pflichtbewusstsein. Diese Werte habe sie in gewisser Weise bereits aus ihrem Elternhaus mitgebracht. Als Leistungsschwimmerin beim Schwimmclub Steinhagen-Amshausen und Volleyballerin in der Sportvereinigung dürfte sie diesen Tugenden den nötigen Feinschliff verpasst haben. Knöllchen für die Leiterin des Ordnungsamtes &bdquo;Für mich war schon immer klar, ich muss Leistung erbringen, und dann klappt das schon“, sagt Ellen Strothenke. Gerade als Frau. Frauen habe es zum Beginn ihrer Laufbahn nämlich nur wenige in der Verwaltung gegeben, erst recht in Führungspositionen. Dass sie auf eigene Kinder zugunsten der Karriere verzichtet habe, bedauere sie mitunter, erzählt Ellen Stothenke in diesem Zusammenhang. &bdquo;Aber für mich war klar, wenn ich Leitungsfunktionen übernehmen will, muss ich Prioritäten setzen.“ Die Möglichkeit, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen, sei für ihre Generation noch deutlich schwieriger gewesen als heute. Dass sie in ihrer letzten Stelle als Ordnungsamtsleiterin nicht unbedingt als Everybody’s Darling im Ort reüssieren konnte – geschenkt. Dabei hat Ellen Strothenke sogar mal von ihren eigenen Außendienstmitarbeitern ein Knöllchen bekommen. &bdquo;Da habe ich auf dem Vollbracht-Parkplatz die Parkscheibe vergessen“, verrät Ellen Strothenke und zieht lachend die Schultern nach oben. &bdquo;Und natürlich bin ich auch schon mal geblitzt worden.“ Nach 48 Jahren im Dienst am Bürger tritt Ellen Strothenke nun ihren Ruhestand an. Für Ordnung kann die ehemalige Ordnungsamtsleiterin jetzt in ihrem ganz privaten Hühnerhaufen sorgen. Den gibt’s wirklich. &bdquo;Mein Mann und ich züchten Hamburger Silberlack und Zwerg-Goldbrakel“, erzählt die Rathausveteranin schmunzelnd. Außerdem seien da noch die drei Hunde und der große Garten. Langweilig werde ihr schon nicht. &bdquo;Ich habe eine kleine Blumen-Manie“, erzählt Ellen Strothenke. Die Tütchen mit Blumensamen, die sie in ihrer letzten Gemeinderatssitzung allen Politikerinnen und Politikern auf den Tisch gelegt hat, haben also durchaus eine Bedeutung. Nach Abschied in den Ruhestand: Rathaus stellt sich neu auf In das Büro mit den vielen Aktenordnern und dem Feuerwehrauto auf dem Schrank zieht ihr bisheriger Stellvertreter Marlon Simon ein, der künftig die Amtsleitung übernimmt. Dessen Nachfolger wird Jan Philipp Merks, den die Gemeinde Steinhagen 2023 als ersten Krisenmanager angeheuert hatte. Diese Spezialaufgabe wird an Annika Eilers übertragen, die sich darüber hinaus im Rathaus um Verkehrsangelegenheiten und Großveranstaltungen kümmert.

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