203 Existenz-Gründungen in Steinhagen: Einige davon sind wirklich skurril

Herr Schulz, 203 Gewerbeanmeldungen hat es im vergangenen Jahr in Steinhagen gegeben. Das klingt erst mal sehr beeindruckend. Wer verbirgt sich hinter der Zahl? Benjamin Schulz: Darunter sind einige Betriebe, die den meisten Steinhagenerinnen und Steinhagenern bekannt sein dürften. Die Übernahme des Steinhäger Häuschens etwa, die Eröffnung des Action-Marktes und die neue Fressnapf-Filiale. Beim Großteil handelt es sich aber um kleinere Gewerbe und Nebengewerbe. Zum Beispiel um Hausmeistertätigkeiten oder um den Vertrieb von Nahrungsergänzungsmitteln. Auch für die gilt: Wer mit seiner Tätigkeit beabsichtigt, einen Gewinn zu erzielen und regelmäßige Einkünfte hat, der muss ein Gewerbe anmelden. Was sagen 203 Gewerbeanmeldungen innerhalb eines Jahres über eine 21.000-Einwohner-Gemeinde wie Steinhagen aus? Ich empfinde die Zahl als relativ hoch. Die Beschäftigungsfelder sind breit gestreut. Die Steinhagener sind vielseitig. Sie haben auch Gewerbe als Kfz-Techniker, Elektrotechniker oder Kosmetikerin angemeldet. Einige exotische Geschäftsmodelle waren auch dabei. Nämlich? Es wurden Gewerbe für Livestreaming auf Onlineplattformen und für virtuelle Assistenz angemeldet. Das müssen Sie erklären! Es gibt Menschen, die auf Gaming-Kanälen wie Twitch ein Publikum erreichen, das ihnen bei Videospielen zuschaut. Wer dort eine gewisse Zuschauerzahl erreicht, kann durchaus hohe Einnahmen mit Spenden (Bits) und Werbung (Ads) generieren. So wie Montana Black, der wohl bekannteste deutsche Streamer. Bei virtueller Assistenz handelt es sich um Dienstleistungen, die online angeboten werden. Es gibt zum Beispiel Menschen, die bieten auf diesem Weg Hilfe bei der Buchhaltung an. Lesen Sie auch: Wirtschafts-Ranking beschert Steinhagener Unternehmen einen vorderen Platz Was ist das A und O für einer Existenzgründung? Wer ein Nebengewerbe anmelden möchte, hat meiner Erfahrung nach fast nie einen Businessplan erstellt und arbeitet ohne Hilfe eines Steuerberaters. Aber selbst im Nebenerwerb hat man viele Pflichten, die ein Vollerwerbstätiger auch erfüllen muss. Da stehen schnell die Berufsgenossenschaft oder das Finanzamt auf der Matte. Wer ein Gewerbe anmelden möchte, sollte deshalb Zeit in eine Existenzgründungsberatung investieren, die ich im Rathaus sogar kostenlos anbieten kann. Als Wirtschaftsförderer stehen Sie in regelmäßigem Kontakt mit den Unternehmen. Wie bewerten die heimischen Betriebe den Standort Steinhagen? Vergangenes Jahr habe ich 30 Unternehmensdialoge geführt. Der weit überwiegende Teil ist zufrieden am Standort Steinhagen. Als besonders positiv heben die Betriebe die gute Verkehrsanbindung hervor. Die Erreichbarkeit über die A33 ist für die Unternehmerschaft ein echter Segen. Darüber hinaus zeichnet sich Steinhagen aus Sicht der Unternehmen durch eine gute Infrastruktur aus. Damit sind Lebensmittelmärkte genauso gemeint wie Kitas und Schulen. Und wo sehen Steinhagener Unternehmen Verbesserungsbedarf? Unternehmen, die sich in Steinhagen vergrößern möchten, haben dazu momentan keine Möglichkeit. Erweiterungsmöglichkeiten werden von einigen Firmen aber händeringend gesucht. Wer bereits am räumlichen Limit angekommen ist, muss gegebenenfalls einen zweiten Standort aufmachen oder sogar den Standort wechseln. An der Stelle müssen wir einen Exkurs zum geplanten Gewerbegebiet Langebrede machen. Wann geht es da endlich los? Wann wir mit der tatsächlichen Vermarktung der Flächen starten können, steht noch nicht fest. Es hat ja in den letzten Monaten eine hydrologische Begutachtung des Bodens stattgefunden. Die Ergebnisse müssen nun noch besprochen werden. Die interessierten Unternehmen halten wir natürlich auf dem Laufenden. Lesen Sie auch: Steinhagener Unternehmen Hörmann eröffnet eigenes Ausbildungszentrum Die zweite große Fläche, auf der Erweiterungen möglich wären, ist das ehemaligen Gronemeyer & Banck-Gelände an der Waldbadstraße. Warum tut sich dort nichts? Das ist aktuell neben Langebrede tatsächlich die einzige Gewerbefläche, die wir in Steinhagen haben. Ich fahre dort täglich dran vorbei, und als Wirtschaftsförderer blutet mir das Herz. Es ist eine total interessante Fläche, die theoretisch sogar einen Gleisanschluss haben könnte. Anders als beim Gewerbegebiet Langebrede gehört dieses Grundstück nicht der Gemeinde, sondern einem privaten Investor. Nach meinem Kenntnisstand werden nach wie vor Flächen über einen Makler aus Gütersloh angeboten. Aber zwischen dem Investor und den Anwohnern gibt es noch immer keine Einigung. Woran hapert es aus Unternehmer-Sicht außerdem in Steinhagen? Ab und zu wird eine schlechte oder fehlende Mobilfunkabdeckung angesprochen. Ein größeres Problem ist hingegen der Fachkräftemangel und das schwierige Recruiting von Azubis. In diesem Zusammenhang wird auch die unzureichende Anbindung Steinhagens mit öffentlichen Verkehrsmitteln angesprochen; insbesondere die Verbindung zwischen dem Schulzentrum und Gütersloh gilt als ausbaufähig. Als Wirtschaftsförderer sind Sie auch für die Hausarztversorgung in Steinhagen zuständig. Warum eigentlich? Die Hausarztversorgung ist ein wichtiger Standortfaktor. Das bekomme ich auch von den Unternehmen gespiegelt. Davon abgesehen sind die Hausärzte ja auch Freiberufler und damit meine Zielgruppe. Gibt es in Steinhagen ausreichend Hausärzte? Zumindest sind wir mit aktuell zwölf vollen Stellen in Steinhagen laut Kassenärztlicher Vereinigung formell nicht unterversorgt. Aber die Praxen sind allesamt gut ausgelastet. Wenn ich mit Arbeitgebern spreche, wird mir immer wieder mitgeteilt, dass neue Mitarbeiter es schwer haben, eine Hausarztpraxis zu finden. Außerdem werden in absehbarer Zeit Mediziner in den Ruhestand wechseln. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales führt Steinhagen auf der Liste &bdquo;Gemeinden, in denen die hausärztliche Versorgung auf mittlere Sicht gefährdet erscheint“. Darauf sollten wir rechtzeitig reagieren. Lesen Sie auch: Von Steinhagen nach Halle: Ärztin eröffnet Praxis im Gerry-Weber-Komplex Was schlagen Sie vor? Wir arbeiten aktuell an einem Ansiedlungskonzept für Mediziner. Darin möchten wir die Nähe zur neuen medizinischen Fakultät in Bielefeld nutzen. Ziel muss es sein, den Studierenden schon ab dem ersten Semester klar zu machen, dass es Steinhagen überhaupt gibt und dass wir hier viele tolle Gemeinschaftspraxen haben und ein Medizin-Stipendium, das übrigens seit seiner Einführung noch nie abgerufen worden ist. Für wie vital halten Sie den Steinhagener Ortskern? Wenn ich durch Steinhagen gehe, stelle ich zumindest fest, dass wir so gut wie keinen Leerstand haben, den wir mit viel Geld kompensieren müssen. Eine Einkaufs-Flaniermeile werden wir hier nicht mehr etablieren können. Dazu reicht meine Fantasie nicht. Andererseits haben wir Kundenmagnete, die die Menschen in den Ortskern ziehen. Sei es die Bibliothek, das Gebrauchtwarenkaufhaus Möbel & Mehr oder die Eisdielen – und natürlich engagierte Einzelhändler. Ich bin gespannt auf die Revitalisierung des südlichen Fivizzanoplatzes. Da hat Steinhagen mitten im Ort neuen Gestaltungsspielraum. Was wünscht sich Steinhagens Wirtschaftsförderer fürs Berghotel Quellental? Ich finde die Idee, bis zu einer Umnutzung in dem Hotel Events zu veranstalten, sehr spannend. Gerade jetzt am Wochenende hat dort ein Fahrrad-Outlet stattgefunden, das ich selbst besucht habe. Aus dem Haus langfristig eine Art Wellness-Oase mit medizinischen Anwendungen zu machen, ist meiner Meinung nach ein gutes Konzept. Möglicherweise ergeben sich sogar noch Überschneidungen zu unserem Ansiedlungskonzept für Mediziner. Wer weiß? Es ist auf jeden Fall toll, dass es jetzt einen Investor gibt, der das Projekt in die Hand genommen hat. 📲 Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK

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