In Steinhagen ist nicht einfach nur ein leer stehendes Bordell abgebrannt

Steinhagen. Was sich zwischen den Mauern dieses Gebäudes wohl schon alles abgespielt haben mag. Vermutlich wurde hier viel gelacht. Schließlich war das Steinhagener Landhaus über viele Jahre ein Gastronomiebetrieb, in dem es gesellig zuging. Geliebt wurde hier auch. Wie viel Herz dabei war, sei mal dahingestellt. Vermutlich haben sich hier aber auch menschliche Dramen abgespielt. Bekannt war das Gebäude, das in der Nacht zum 7. Oktober abgebrannt ist, auch unter dem Namen Dreischlingen. Das sollte man wissen, wenn man die Besonderheit dieses Gebäudes verstehen möchte. Wer in der Gegend aufgewachsen ist, kennt die Bezeichnung natürlich. Schließlich gibt es rund um Steinhagen noch mehr Schlingen. Hier mal zur Auffrischung: Das Einschlingen ist heute eine Bildungsstätte, idyllisch gelegen im Teutoburger Wald in Bielefeld-Quelle. Das Zweischlingen ist als Veranstaltungszentrum und Restaurant bekannt und liegt ebenfalls in Quelle. Das Dreischlingen in Steinhagen war zuletzt ein Bordell, stand aber seit Corona leer. Und im Vierschlingen in Amshausen befinden sich heute eine Moschee und eine Pizzeria. Dann gab es noch das Fünfschlingen in Borgholzhausen, später bekannt als Gaststätte Sandmann. Alte Postkarte zeigt den Schlagbaum Als im 19. Jahrhundert die ersten befestigten Landstraßen angelegt wurden, sollten die Nutzer für die Bau- und Unterhaltskosten aufkommen. Deshalb wurde ein Wegezoll eingeführt und an Zollstationen mit Schlagbäumen kassiert. Die Schlagbäume nannte man Schlingen. Eine dieser Stationen war das Dreischlingen, das vermutlich 1844 erbaut wurde. Es gibt eine alte Postkarte von dem Gebäude, auf der so ein Schlagbaum zu sehen ist. Daneben steht ein Herr im feinen Zwirn mit einer Kutsche. Auf dem Bild ist bereits der Anbau zu sehen, in dem jetzt das Feuer ausgebrochen sein soll. Die Strecke zwischen Halle und Bielefeld war damals eine beliebte Handelsroute. Darum gab es hier gleich mehrere Schlingen. Häufig waren die Zollstationen mit Gastronomie verbunden, damit sich Pferde und Reisende stärken konnten. Die Postkarte vom Dreischlingen ist ein schöner Beleg dafür. Über der Eingangstür hängt ein großes Schild: &bdquo;Restauration Dreischlingen“ steht drauf. Bordell mit Botschaften an der Hausfassade Das Dreischlingen hatte eine lange Tradition als Gaststätte. Einer der Wirte war Friedrich Schwarze, der das massiv gebaute zweistöckige Haus aus Bruchstein 1891 übernahm. Zur Gaststätte gehörten zwei Gästezimmer und ein Kolonialwarenladen. 1932 wurde das Gebäude erweitert, nach dem Zweiten Weltkrieg renoviert. Jetzt machte das Dreischlingen Karriere als beliebtes Ausflugslokal. In den 1980er Jahren eröffnete ein Bordell im Dreischlingen, das von nun an als Steinhagener Landhaus Rotlicht-Geschichte schrieb. Kein gewöhnlicher Puff, sondern ein Etablissement mit politischer Botschaft. Ja, wirklich. Auf der Fassade prominent zur Haller Straße hin gelegen waren regelmäßig wechselnde Slogans von &bdquo;Starken Frauen“ zu lesen. Wer in den 80er Jahren auf der B68 hier mit dem Auto vorbeifuhr, drehte den Kopf unweigerlich zur Seite, um zu lesen, was Neues auf der Hauswand stand. Einen Blick wert waren auch die zwei nackten Frauen, die der Betreiber aufs Dach gesetzt hatten. Die Damen - wir sprechen hier natürlich von Figuren - blickten von dort aus in die Ferne und warben für die Dienste, die im Inneren des Landhauses angeboten wurden. Zuletzt hatten Bäume sie überwuchert. Steinhagen ließ Denkmalwert des Gebäudes prüfen Mit der Corona-Pandemie musste das Steinhagener Landhaus den Betrieb einstellen. Zwischenzeitlich gab es neue Pläne für das Grundstück. Ein Investor wollte das Gebäude abreißen und durch Wohnhäuser ersetzen. Doch die Steinhagener Politik lehnten das Vorhaben ab. Seitdem stand das Haus weiter leer. Aufgerüttelt durch die Debatte um eine Neubebauung des Grundstücks ließ die Gemeinde Steinhagen 2021 auf Anregung aus der Politik den Denkmalwert des Dreischlingens untersuchen. Doch die Experten vom zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe sahen keinen Grund, das Dreischlingen unter Schutz zu stellen. Das Gebäude sei in den vergangenen Jahrzehnten so sehr herabgewirtschaftet worden, sodass vom historischen Dreischlingen kaum noch etwas wiederzufinden sei, so ihr Urteil. Was nun auf dem Grundstück passieren soll, ist nicht bekannt. Der Eigentümer aus Rietberg hat sich dazu noch nicht geäußert. Ohnehin müsste zunächst ein neuer Bebauungsplan aufgestellt werden, denn als das Dreischlingen gebaut wurde, gab es noch gar keinen. Klar ist: Das Feuer hat vergangene Woche auch ein Stück Steinhagener Gastronomie-Geschichte für immer vernichtet. Warum es in dem Gebäude in der Nacht zum 7. Oktober gebrannt hat, ist nicht geklärt. Wegen Einsturzgefahr können die Brandermittler es nicht betreten, hatte die Polizei zuletzt mitgeteilt.

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