Steinhagens Bürgermeisterin Süß: „Ich komme auch mal mit Baby ins Rathaus“

Frau Süß, nur noch drei Wochen, bis Sie in Mutterschutz gehen. Wie fühlen Sie sich? Sarah Süß: Sehr gut, danke. Ich habe keine Wehwehchen und bin topfit. Gibt es noch bestimmte Vorgänge, bestimmte Angelegenheiten, die Sie bis zum 23. August erledigt wissen möchten? Süß: Nein, gar nicht. Wir haben in Steinhagen so viele Großprojekte, dass ich gar nicht so kurzfristig denken kann. Da sind die vielen Schulbauten - Neubauten ebenso wie Erweiterungen. Und wir haben gerade alles für den Neubau der 13. Kita in die Wege geleitet. 13. Kita! Klingt schon sehr verrückt für eine so kleine Kommune ... Aber das ist ja ein gutes Zeichen. Auch wenn in finanzieller Hinsicht ein richtig dicker Batzen auf uns zukommt. Wie steht die Gemeinde denn zur Halbzeit dieses Jahres im Hinblick auf die zu erwartenden Gewerbesteuern da? Süß: Bislang sind wir sehr zufrieden, wir liegen im Soll. Dennoch muss man die Lage immer vorsichtig optimistisch beurteilen; das Blatt kann sich auch ganz schnell wenden. Wir stehen also in jedem Fall vor einer riesigen Herausforderung. Jetzt ist ein paar Mal das Stichwort Schule gefallen: Steinhagen wird für die Realschule wieder die Vierzügigkeit beantragen. Inwiefern schauen Sie dabei nach Halle, wo zurzeit über die Zukunft der Gesamtschule diskutiert wird? Süß: Die Entscheidung in Halle beeinflusst uns bei unserem weiteren Vorgehen im Prinzip gar nicht mehr. Wir werden die Vierzügigkeit erneut beantragen und behalten uns im Falle einer erneuten Ablehnung auch vor, zu klagen. Aber wir lassen uns in Ruhe beraten - zum einen von einem Büro, das die Schulentwicklungsplanung macht, zum anderen durch eine Juristin. Die Bezirksregierung hat in ihrem Ablehnungsbescheid nicht mehr auf Halle Bezug genommen und auch nicht länger eine Bestandsgefährdung der Gesamtschule angeführt. Für unsere Begründung wird das daher ebenfalls keine Rolle spielen. Unsere eigenen Schülerzahlen sprechen bereits für sich. Welche Vorgaben müssen Sie erfüllen? Süß: Die Bezirksregierung hat uns mitgeteilt, dass wir 100 eigene Schüler brauchen. Da waren wir mit 92 Anmeldungen jetzt knapp drunter. Aber da es sich ja um eine Schule des gemeinsamen Lernens handelt und es viele Kinder mit Förderbedarf gibt, sind Klassen mit mehr als 30 Kindern schon echt eine Herausforderung. Außerdem kommen immer noch einige Kinder vom Gymnasium zurück, es gibt noch Kinder von Geflüchteten, die nach einer gewissen Zeit aus den internationalen Klassen in den normalen Klassenverband nachrücken. Deshalb wollen wir mit eigenen Zahlen den Nachweis liefern. Und wenn Sie den Blick auf die Schullandschaft im Nordkreis allgemein legen: Wie beurteilen Sie die Situation dann? Süß: Grundsätzlich ist es gut, dass es hier noch eine Realschule gibt - auch für Haller Familien. Denn eine Auswahl zu haben, ist ja erst mal von Vorteil. Und an dem Punkt ist es für uns dann schon interessant, wie es in Halle weitergeht: Sollte Halle sich womöglich doch dafür entscheiden, eine eigene Realschule zu gründen, könnten wir Haller Schüler ablehnen, weil sie eine eigene haben. Aber das steht ja noch in den Sternen. Zumindest bis in Halle eine Entscheidung über die Zukunft der Gesamtschule gefallen ist, dürften Sie wieder zurück im Rathaus sein. Der errechnete Geburtstermin Ihres Kindes ist Anfang Oktober. Stand jetzt ist Ihr Plan, nach acht Wochen wieder zu arbeiten ... Süß: Genau, das ist der Plan. Natürlich unter dem Vorbehalt, dass alles wunschgemäß läuft. Und dennoch haben Sie sich grundsätzlich erst einmal festgelegt. Weil Sie sich aufgrund Ihres Amtes als Bürgermeisterin in der Verantwortung fühlen oder weil Sie das tatsächlich so machen möchten? Süß: Ich wäre ganz unabhängig von dem Job auch sonst immer jemand gewesen, der frühzeitig hätte wieder anfangen wollen zu arbeiten. Nichtsdestotrotz ist es natürlich ein ungewöhnlicher Job. Man kann schlecht von fünf gewählten Jahren sagen: So, jetzt bleibe ich mal zwei oder drei Jahre zu Hause. Aber ich habe ja auch viele Möglichkeiten. Ausgehend von Ihren Arbeitstagen heute: Wie könnten die in Zukunft aussehen? Süß: Was richtig gut ist: Grundsätzlich kann ich sehr flexibel arbeiten. Ich kann mir abseits von Sitzungen viele Termine selber einteilen. Wir haben hier eine gut funktionierende Verwaltung, ich werde gut vertreten. Und ich weiß auch: Selbst, wenn ich nicht im Haus bin, halten wir uns gegenseitig auf dem Laufenden. Inhaltlich komme ich also gar nicht wirklich raus. Und dennoch kann ich mir die Zeit nehmen und sagen: Acht Wochen nach der Geburt bin ich nicht da, denn der Laden läuft ja. Wie werden Sie sich innerhalb Ihrer Familie organisieren? Süß: Mein Mann arbeitet aktuell noch in Vollzeit - auch in einer Verwaltung und auch in einer Führungsposition. Der wird im Rahmen seiner Elternzeit seine Stunden reduzieren. Auch er hat die Möglichkeit, mal einen Homeofficetag einzulegen. Meine Eltern leben ja nicht mehr, aber meine Schwiegereltern freuen sich auch auf das fünfte Enkelkind und werden uns bestimmt gerne mal unterstützen. Und was auch klar ist: Ich werde beispielsweise nicht darauf verzichten, einen Rückbildungskurs zu besuchen. Und wenn es den nur vormittags gibt, dann ist da so. Ich habe aber auch keine klassische Fünf-Tage-Woche - wenn’s brennt, bin ich immer da. Haben Sie politische Vorbilder? Frauen in einer ähnlichen Situation, von denen Sie sich etwas abgucken können? Süß: Also ich habe schon recherchiert, weil es allein schon um rechtliche Fragen ging. Und weil ich gerne Beispiele von Frauen anschauen wollte, die in einer ähnlichen Situation sind und die gut gelöst haben. Aber tatsächlich gibt es nur wenige Frauen, die Bürgermeisterin sind. Und noch viel weniger, die in der Position Kinder bekommen haben. Mit den wenigen habe ich mich mal ausgetauscht. Aber klassische Vorbilder habe ich nicht gefunden. Meistens sind es eben doch Männer in dem Amt. Und wenn die Väter werden, ist das kein echtes Thema. Welche Botschaften vermitteln Sie vor allem Frauen in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Süß: Ich würde das gar nicht so sehr auf die Mütter beziehen. Viel wichtiger ist, dass sich Familien eine Vision stricken, die sie für richtig halten. Ich kenne viele junge Frauen, durchaus emanzipiert und in guten Jobs, die sie in dem Moment aufgeben, da sie Mutter werden und dann in das alte Rollenbild fallen. Um dann mit der Situation oftmals unzufrieden zu sein. Hier sollte vieles besser verteilt werden. Haben Sie in Ihrer Familie das schon gemacht? Süß: Ja, wir kümmern uns beide um den Haushalt, und wir werden uns auch beide um die Erziehung unseres Kindes kümmern. Dabei hat mein Mann klar gesagt, dass er nicht komplett zu Hause bleiben wird. Für mich war das auch keine Option. Ich finde, man sollte nicht sagen, es geht nur das eine oder das andere. Sondern individuell gucken, welches Modell für die Familie funktioniert. Aber das sieht man leider noch nicht so oft. Wovor haben Sie dennoch aktuell den größten Respekt? Süß: Das Unerwartete! Es wird bestimmt ganz viele Situationen geben, die nicht laufen, wie gedacht. Dann wird das Kind krank, dann läuft irgendwas nicht nach Plan. Aber ich setze darauf, dass wir das schon hinbekommen. Bestimmt wird man mich auch mal mit Baby im Rathaus antreffen. Und die Reaktionen sowohl im Rathaus als auch in der Bevölkerung waren durchweg positiv. Das war schön. Zu spüren, dass niemand von einem verlangt, auf eine Familie zu verzichten, nur weil man Bürgermeisterin ist.

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