Der Wochenkommentar

Karte oder Cash? Hitzige Diskussion im Altkreis Halle über bargeldloses Bezahlen

Da hat Friederike Tebbe von der Bäckerei und Konditorei Welpinghus in ein Wespennest gestochen. Keine Münzen und Scheine mehr an der Kasse? Daran scheiden sich die Geister. Manches Argument verblüfft.

Bargeldloses Bezahlen via NFC mit Kreditkarte am Kartenterminal im Einzelhandel. | © picture alliance / Zoonar

Marc Uthmann
11.10.2025 | 11.10.2025, 15:29

Altkreis Halle. Irgendwas muss dieses spürbare Geld an sich haben. Mal abgesehen von seinem Wert. Das Rascheln der Scheine, das Klimpern der Münzen - es bedeutet vielen Menschen scheinbar mehr als ein schnöder Piepton, wenn das Handy oder die Girokarte beim Bezahlen auf ein Terminal gelegt wird. Anders ist jedenfalls die Aufregung nicht zu erklären, für die der Bericht meines Kollegen Claus Meyer über das bargeldlose Zahlen in der Bäckerei und Konditorei Welpinghus in Borgholzhausen gesorgt hat.

Unter dem Artikel ergoss sich in den sozialen Medien eine kleine Flut emotionaler Kommentare - beim Thema Bargeld gehen wir Deutschen offenbar immer noch sofort aus dem Sattel. Und wenn man sich die Rückmeldungen so anschaut, dann muss man wohl konstatieren: Geschäftsführerin Friederike Tebbe hat für ihre Bäckerei und Konditorei Revolutionäres gewagt.

Nämlich das Bezahlen mit Bargeld abzuschaffen. Sachlich gut begründet, wohlgemerkt. Das Wühlen nach passenden Beträgen kostet Zeit und erhöht den Nerv-Faktor in den Kundenschlangen an der Bedientheke. Und Zeit haben wir doch nachweislich alle nicht mehr. Gar nicht zu reden von der Zeit des Personals: Morgens und abends Wechselgeld zählen, regelmäßige Kontrollen der Chefin, ob es auch keine Differenzen gibt, das Sammeln der überzähligen Münzen und ihre Einzahlung bei der Bank - all das fällt künftig weg. Und spart unter dem Strich wertvolle Stunden. In Zeiten des viel beklagen Fachkräftemangels eine absolut wirtschaftliche Entscheidung.

Kritiker der Bargeld-Abschaffung in Borgholzhausen verweisen auf „die Alten“

Die auf eine Menge Beifall stoßen müsste, sollte man meinen. Wir alle nutzen ständig unsere Handys, bezahlen vielerorts damit, beklagen zugleich die schwerfälligen Abläufe in vielen Betrieben und Behörden. Aber wenn die Geschäftsführerin einer Bäckerei dann entscheidet, das Kramen nach Kleinstbeträgen mit aufwendigen Wechselprozeduren einzustellen, gibt es auf der einen Seite Applaus - auf der anderen einen Sturm der Entrüstung.

Brötchen ohne Bargeld: Bäckerei in Borgholzhausen testet neues Bezahl-Modell

Zwei Argumente führen die Wütenden ins Feld. Erstens: die Alten. Was sei denn mit denen, die mit der „modernen Technik“ nicht mehr klarkämen? Die schließe man doch vom Brötchenkauf aus. Das ist nicht wahr. Denn neben der Bezahlung per Girocard und per App offeriert Welpinghus auch die Möglichkeit, eine Vorteilskarte zu kaufen. Zwar auch mit Karte - aber jene älteren Menschen, die Probleme mit der Nutzung einer Bankkarte haben, könnten sich sicherlich von Familie oder Freunden helfen lassen, um einmal 100 Euro aufzuladen. Oder sogar vom freundlichen Personal.

Wer im Alter jegliche Art von elektronischen Zahlungsmitteln ablehnt und sich somit auch bei der Vorteilskarte nicht helfen lassen will, trifft eine Grundsatzentscheidung. Dafür wäre dann aber nicht Friederike Tebbe verantwortlich zu machen. Die interessanterweise beobachtet hat, dass eher jüngere Kunden über die Abschaffung des Bargeldverkehrs meckern, und nicht die Alten. Das scheint eine Recherche meines Kollegen Claus Meyer zu bestätigen: Er hat eine 93-jährige Borgholzhausenerin aufgetrieben, die fröhlich mit Karte zahlt ...

Diffuse Sehnsucht nach Freiheit: Viele Menschen im Altkreis Halle hängen an der Münze

Friederike Tebbe, Geschäftsführerin der Konditorei und Bäckerei Welpinghus, präsentiert zwei der drei Möglichkeiten zum bargeldlosen Bezahlen: die geschäftseigene App und die Vorteilskarte. - © Claus Meyer
Friederike Tebbe, Geschäftsführerin der Konditorei und Bäckerei Welpinghus, präsentiert zwei der drei Möglichkeiten zum bargeldlosen Bezahlen: die geschäftseigene App und die Vorteilskarte. (© Claus Meyer)

Womit wir beim zweiten Grund der Bargeldfans wären, gegen die „Welpinghus-Revolution“ zu wettern. Der lässt sich gar nicht so genau definieren, muss aber irgendwie etwas mit „Freiheit“ zu tun haben. Motto: Ich will schon noch selbst entscheiden können, wann ich bar bezahle und wann nicht. Die diffuse Angst, etwas vorgeschrieben zu bekommen, kontrolliert zu werden, schimmert durch diese Kritik. Die „ganze Technik und das Mailgedöns“, heißt es in einer Stellungnahme. Jedoch: Die Angst, dass die eigenen Daten abgesaugt werden oder man zum Werbeopfer wird, weil man elektronisch bezahlt, kann die Kritiker eigentlich nicht motivieren. Denn dann dürften sie auch nicht bei Social Media präsent sein.

Wo man also im Urlaub selbstverständlich ohne Bargeld löhnt, macht einem der Wandel im Alltag Angst. Und das Gefühl, ein Stück Freiheit entzogen zu bekommen, ist durchaus nachvollziehbar. Was allerdings wenig konstruktiv ist: Die fast schon triumphal in öffentlichen Foren vorgetragene Drohung nach dem Motto „Schade, aber es gibt ja auch noch andere Bäckereien.“ Aus der trieft ja sozusagen der Boykottaufruf. Eine engagierte heimische Unternehmerin, die gut durchdachte neue Wege geht, hätte mehr Respekt verdient.

Aktuelle News bekommen Sie täglich über den WhatsApp-Kanal des HK